Die Ideologie der Gleichheit führt zu Ungerechtigkeit
Jeden Tag nervt man uns in den Medien mit angeblichen Ungerechtigkeiten. Weltweit verdienen Frauen weniger Geld als Männer, die Schulerfolge moslemischer Kinder erreichen nicht die deutscher Kinder, der Kaffee ist unfair billig – alles angeblich ungerecht.
Die Ideologen des Gleichheitswahns werden keine Ruhe geben, bis alles „gleich“ ist. Sie mißbrauchen die ehrwürdige Idee der Gerechtigkeit, weil sie diese gar nicht begreifen.
Das abstrakte Gerechtigkeitsprinzip lautet, daß man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln soll. Der heutige Egalitarismus nimmt aber an jedweder Ungleichheit Anstoß. Er findet alle ungerecht, selbst wenn sie gar nicht durch eine menschliche Handlung hervorgerufen wurden und selbst dann, wenn diese Handlung zurecht etwas Ungleiches ungleich behandelt.
Das Gerechtigkeitsprinzip ist eine ethische Maxime. Sie beantwortet die Frage: „Was soll ich tun?“ Damit betrifft sie also menschliche Handlungen, sonst nichts. Etwas gleich oder ungleich zu behandeln, ist immer erst einmal ein Handeln. Ohne menschliche Handlung ist die Frage nach der Gerechtigkeit völlig sinnlos. Es ist darum nicht ungerecht, daß die Saurier ausstarben, daß Insekten weniger Beine haben als Spinnen und daß wir in der Neuzeit leben (müssen) und nicht im Mittelalter. Das Schicksal oder die blind waltende Kausalität der Natur werfen keine ethischen Fragen nach Gerechtigkeit auf.
Wenn wir als Menschen handeln und zwei Menschen in irgendeiner Weise behandeln, verlangt das Gerechtigkeitsprinzip, Ungleiches ungleich zu behandeln. Das ist sehr leicht, wenn wir dabei nur an abstrakte Begriffe denken. Auf einen abstrakten Begriff gebracht, kann man alle Menschen scheinbar gleich machen. Solange ich nur an „zwei Kinder“ denke, müßte ich sie gleich behandeln, weil sie begrifflich gleich sind. Denke ich aber an den faulen Hans, 14 Jahre, der sein Zimmer nicht aufräumen und keine Hausaufgaben machen will, und an die fleißige, achtjährige Liese, die das alles gern tut und noch dazu ihrer abgearbeiteten Mutter hilft, sind beide Kinder gar nicht mehr gleich.
Konkrete Einzelmenschen sind niemals gleich. Jeder ist eine einmalige, einzigartige, unverwechselbare Person. Ungleich zu sein macht uns erst zu Menschen. Es unterscheidet uns zum Beispiel von Ameisen ohne individuelle Persönlichkeit. Darum liegen wir im Zweifelsfall erst einmal richtig, wenn wir zwei verschiedene Menschen als Ungleiche behandeln.
Wir können aber jederzeit etwas in Wirklichkeit Verschiedenes in dieselbe Schublade unseres Denkens stecken und auf diese Weise als gleich betrachten. Zum Beispiel haben Krokodile und Bachstelzen Schwänze. Darin gleichen sie sich und gehören in die Schublade für „Geschwänzte“. Manchmal ist derartiges Kategorisieren sinnvoll. Oft führt es uns aber nicht weiter im Bemühen, die endlose Vielfalt des Lebens geistig zu sortieren. Die beiden „Geschwänzten“ beim Füttern gleich behandeln zu wollen, wäre Unsinn.
Es ist ebensolcher Unsinn, alle Menschen gleich zu behandeln, nur weil sie Menschen sind. Klugerweise nimmt unser Staat derzeit noch Notiz von manchen Unterschieden. Es empängt nicht jeder Armenunterstützung, und nicht jeder mu0 wegen eines Diebstahls gleich ins Gefängnis. Aber der Ruf nach Gleichheit in allen Lebensbereichen wird immer lauter. Jede Ungleichheit wird rechtfertigungsbedürftig – in den Augen von Egalitaristen generell, hintergründig in durchtriebener Ansagetechnik („Framing“) unseres Fernsehens und ganz offen von Politikern linker Parteien.
Immanuel Kant hat in seiner allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten an die zweite Stelle gesetzt: „Neminem laede! (Tue niemandem Unrecht)“ und fordert an dritter Stelle:
„Tritt (wenn du das letztere nicht vermeiden kannst) in eine Gesellschaft mit anderen, in welcher jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribue)“
Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Königsberg 1798, Einleitung, XLIII.
„Jedem das Seine“ bildet unter den Rechtsprinzipien das Kronjuwel aller, die nicht gleichgemacht werden wollen. Es entspringt zutiefst bürgerlichem Denken. Seine soziale Funktion besteht darin, wohlerworbene Rechte und Freiheiten zu bewahren. Es gab schon zu Kants Zeiten viele, die das nicht gelten ließen und „Jedem das Gleiche“ forderten statt „Jedem das Seine“. Die französische Revolution hatte Kant anschaulich gezeigt, wohin gleichmacherisches Denken führt: Vom Besitzneid über Enteignungen zur Guillotine, der großen Gleichmacherin.
Eine Gefahr für Hab und Gut, manchmal auch für Leib und Leben bildete seitdem immer wieder der Staat. Seine Gewalt stand in altpreußischer Zeit neutral den gesellschaftlichen Kräften gegenüber. Auf dem Schwarzen Adlerorden, dem Hausorden der Hohenzollern, stand „Suum cuique“ und verkörperte ein Ethos, denjenigen zu ehren, der sich diese Ehre verdient hatte.
Besonders gefährlich wurde Gleichheitswahn immer dann, wenn eine Partei sich dieses Staates bemächtigte und ihre Vorstellung von wünschenswerter „Gleichheit“ ihrer Bürger blutig in die Tat umsetzte. Wer von Gleichheit träumt und die Menschen im Ergebnis gleich machen will, muß ihre Freiheit und ihre Ungleichheit beseitigen.
Es gibt keine krassere Ungerechtigkeit, als jedem das Gleiche zuzuteilen oder zu belassen. Sicherlich entspräche das den Interessen des Faulen, der auch gern hätte, was der Fleißige sich erarbeitet hat. Sicherlich würde ein Analphabet auch gern einmal einen Literaturpreis erhalten. Ich ließe mich auch gern zum deutschen Seniorenmeister im Geräteturnen aufs Treppchen stellen. Nur wäre das ganz ungerecht, weil von Jahr zu Jahr drei oder vier andere Turner noch besser waren. Darum nehme ich die bunte Welt der Vielfalt und der Ungleichheiten gern hin wie sie ist.
Zu ihr gehören meine Pflicht und mein gutes Recht, meinen Kindern gute Startchancen ins Leben zu verschaffen. Für sie bin ich selbst verantwortlich, nicht fremde Leute, nicht „die Gesellschaft“. Chancengerechtigkeit heißt, daß mein Verzicht auf manches, daß meine vielfältige Investition in meine Kinder auch den Erfolg hat, daß meine Kinder schon früh die Nase ganz vorn haben. Es heißt, statt jedes großgezogenen Kindes könnte man sich finanziell wahlweise auch ein Haus leisten. Meine Leistung verkörpert sich in meinen Kindern. Wenn sie keine besseren Startchancen haben als die weniger opferbereiter Eltern, ist das grob ungerecht.
Genau diese Ungerechtigkeit steckt aber hinter der egalitären Forderung, der Staat solle „Chancengerechtigkeit“ herstellen, womit in Wahrheit die Gleichheit gemeint ist. Es ist keineswegs gerecht, wenn alles Chancen gleich sind.
Wir leben in einer zutiefst ungerechten Gesellschaftsordnung, wenn ich einen höheren Steuersatz zahlen muß als andere Leute. Gründe dafür mag es geben. Mit Gerechtigkeit haben sie aber nichts zu tun. Ich arbeite und zahle Steuern jetzt seit 48 Jahren. Wenn ein Fremder hier in Deutschland noch niemals gearbeitet oder Steuern gezahlt, aber von meinen Steuern mit ausgehalten wird, hat das mit Gerechtigkeit nicht das Geringste zu tun. Man mag andere Gründe dafür vorschieben. Es gibt aber kein Prinzip der Gerechtigkeit, das die einen arbeiten läßt und anderen alles schenkt.
Faktisch muß ich ständig einen Teil meiner Zeit für fremde Menschen arbeiten. Hübsches Wortgeklingel soll darüber hinwegtäuschen, daß tagein, tagaus Millionen Menschen säen, was andere als Ernte beanspruchen. Es schmeichelt ja manchen Gehörknöchelchen, die da nicht säen und doch ernten seien „Menschen wie wir auch“. Daraus leiten sie sofort Ansprüche darauf ab, mich zu knechten und meine Arbeitskraft auszubeuten zugunsten von Gästen, die ich nicht eingeladen habe.
„Menschen wie wir auch“? – Tja, na und?
Jedem das Seine lassen, sagte Immanuel Kant: Suum cuique! Mir läßt man nicht das Meine, sondern nimmt mir weg und verteilt an Fremde. Welche Ungerechtigkeit!
Wer Barmherzigkeit üben möchte, darf das gern tun. Das ist etwas völlig anderes als Gerechtigkeit. Barmherzig nenne ich den, der verschenkt, was ihm selbst gehört. Etwas zu verschenken, das einem gar nicht gehört, ist aber das tägliche Metier egalitaristischer Prediger und hoch bezahlter Politiker, die allen Bürger zwangsweise abknöpfen, was diese sich erarbeitet haben, um es Fremden zu schenken. Was auch immer ihre wirklichen Pläne dabei sind: Auf Gerechtigkeit dürfen sie sich nicht berufen. Das Rechtsstaatsprinzip unserer Verfassung verlangt Gerechtigkeit. Dagegen ist die Barmherzigkeit ein Grundgedanke des Sozialstaatsprinzips.
Es gibt keine banalere Phrase als „Menschen wie wir.“ Jemanden als Menschen zu bezeichnen ist eine Kategorie unseres Denkens, ein Wort, ein Begriff, bloß ein Hauch der Stimme. Mensch ist eine Abstraktion. Kein Anthropologe vermag zu sagen, wann vor vielleicht einer halben Millionen Jahren unsere haarigen Vorfahren schon Menschen waren oder noch nicht.
Der Begriff Mensch ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Ernsthaft: Es ist noch nicht lange her, da bestritten gelehrte Köpfe, Frauen seien Menschen. Ist das auch aus heutiger Sicht eine Verirrung des Denkens, weist es doch darauf hin, daß die Verwendung von Begriffen immer auch eine Frage gesellschaftlicher Konvention ist. Der Dekonstruktivismus sagt: Mann und Frau? Gibt’s es gar nicht, Gender findet bloß im Kopf statt, alle sind gleich. Volk? Frei erfunden. Rasse? Gibt es schon überhaupt nicht.
Aber Mensch? Den soll es dann doch wieder geben! Wenn man in der Stufenleiter der abstrahierenden Oberbegriffe höher und höher steigt, kommt man von Jupp Schmitz aus Köln, 47 Jahre alt, über Kölner und Deutscher zu Mensch und weiter über Säugetier und Wirbeltier bis hin zum Lebewesen. Es liegt eine haarsträubende Inkonsequenz darin, wenn manche aus dieser Stufenleiter ein paar Sprossen herausbrechen und sofort von Jupp Schmitz auf Mensch klettern möchten, weiter aber auch nicht, weil Deutscher und Rasse nur Konstrukte seien. Der Begriff Mensch aber muß unbedingt gerettet werden, weil er der Rechtfertigung von Ungerechtigkeiten dient: Gerecht sehen sie bloß aus, wenn man nur den Begriff Mensch verwendet und zur Rechtfertigung benutzt: Alle Menschen müßten im Ergebnis gleichen Anteil an allem haben, weil sie „Menschen wie wir“ sind.
Sind nicht unsere Hunde Lebewesen wie wir und wir „auch nur Lebewesen“? – Ja, na und? – Ich liebe meinen Hund, dem ich einen Namen gegeben habe und der mein Freund ist. Ich liebe nicht das Wort „Hund“. Er bekommt etwas Leckeres, aber weil ich ihn liebe und nicht weil er ein Hund wie alle anderen ist. Es gibt nämlich keine Hunde wie alle anderen auch, und es gibt keinen Menschen, wie alle anderen auch.
Wir alle sind einzigartig. Das ist schön so.
Und wahrscheinlich ist es ja auch gerecht.
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