Sag mir, wo die Falter sind!
Kinder fingen sie im Wind.
Sag mir, wo die Falter sind!
Was ist geschehn?
Für das Wegsterben und Aussterben der Insekten ist die heutige Weise verantwortlich, Land zu bewirtschaften. Es wurde Zeit, daß sich die jahrzehntealte wissenschaftliche Erkenntnis endlich breit durchgesetzt hat:
Für die säkularen Veränderungen im Artenspektrum der Lepidopteren des südlichen Niedersachsens sind bislang vor allem tiefgreifende Umwandlungen der landschafts- und Vegetationsstrukturen verantwortlich zu machen. [..] Offenkundig sind […] vor allem Falter, die eine enge Bindung an reich strukturierte, lichte und warme Laubmischwälder (z.B. Eichenmischwälder), an wenig oder extensiv genutzte Magerrasen, an ausgedehnte Heideflächen und an kraut- und blütenreiche Berg- und Feuchtwiesen aufweisen, von Rückgangserscheinungen betroffen.
Thomas Meineke, Diss.rer.nat., Göttingen 1984, S.247.
Seit Beginn der menschlichen Besiedlung wurden die Waldflächen gerodet. Höhepunkt der Rodung war das hohe Mittelalter. Es entstanden weite, offene, in Dreifelderwirtschaft extensiv genutzte Naturräume mit hoher Artenvielfalt und lichte Laubwälder mit Waldweide. Eine Anzahl östlich-kontinentaler Schmetterlingsarten breitete sich aus. Seit dem 18. Jahrhundert wurde dieses vielfältige Landschaftsbild immer schneller anhaltend umgestaltet. In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen die Wandlungen ein drastisches Tempo an. Dem immer rascheren Rückgang der Pflanzenarten folgte fast deckungsgleich ein ebensolcher Einbruch bei den Schmetterlingsarten. Die ungemein konsequent durchgeführte Intensivierung von Industrie, Besiedlung, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft führte vor allem seit den 1950er Jahren zu einer nie dagewesenen Reduzierung und Gleichschaltung der Vegetationsverhältnisse.
Diese Umstrukturierung führte nach Meinekes „Untersuchungen zur Struktur, Dynamik und Phänologie der Groß-Schmetterlinge (Insecta, Lepidoptera) im südlichen Niedersachsen“ schon seit der Wende zum 20. Jahrhundert zu einem allgemeinen Artenrückgang, der im 21. jahrhundert dramatische Ausmaße angenommen hat. Vor hundert Jahren gab es noch so viele Schmetterlinge und Arten, daß kleine Schmetterlingsammler geradezu einen Typus des Knaben aus gebilderen Schichten bildeten.
Aus kleinen Sammlern wurden oft ernsthafte Wissenschaftler oder Hobby-Insektenforscher, deren umfangreiches Wissen über die weltweit 160 000 Schmetterlingsarten auch für die universitäre Forschung unverzichtbar war. Diese kleinen Sammler sterben aber mit den Faltern, ihren Lieblingen aus. Kenntnisse erwachsen aus der Beschäftigung mit einem geliebten Gegenstand.
Insektenarten werden nur in seltenen Ausnahmefällen im Bestand bedroht durch den Fang einzelner Exemplare, wohl aber durch landwirtschaftliche Verödung großer Flächen, sei es in Deutschland oder in den Tropen. Der kleine Junge, der mit dem Schmetterlingsnetz einen Falter fängt, verstößt heute gegen das Gesetz. Wer als Landwirt im Rahmen „ordnungsgemäßer Landwirtschaft“ großflächig Gift spritzt und ganze Falterkolonien ausrottet, handelt legal.
Wenn aus falsch verstandenem Naturschutz der einzelne Falter und nicht sein Lebensraum geschützt wird, darf niemand sich mehr praktisch mit Schmetterlingen beschäftigen. Der kleine Junge, Falterspezialist in jungen und vielleicht Biologieprofessor in hohen Jahren, gehört der Vergangenheit an. Darum schwinden selbst Grundkenntnisse über unsere Schmetterlinge aus dem allgemeinen Bewußtsein.
Die verblieben Schmetterlingszüchter und -sammler trafen sich gestern und heute in Frankfurt auf der Insektenbörse. Aus begeisterten kleinen Schmetterlingsjägern sind oft schon altersgraue Herren geworden. Unter strenger Beachtung der Artenschutzbestimmungen bieten sie hier Doubletten ihrer Sammlungen zum Kauf an oder suchen diese durch ein rares Exemplar zu ergänzen.
Sie wissen: In unseren Dörfern werden die letzten Quadratmeter Wiesenstreifen an Bach oder Weg mitten im Mai gemäht, um „sauber zu machen“. Man schneidet aus Unwissenheit den Blumen den Kopf und den Raupen die Futterpflanzen unter dem Hintern weg. Der Schnitt bleibt liegen. Mit ihren Kühen würden die Bauern nicht so umgehen. Ausreichend und biologisch sinnvoll wäre, einmal jährlich im Spätherbst zu mähen.
Hier gibt es keinen anderen Artenschutz als den Schutz der Lebensräume von Tieren und Pflanzen vor dem Menschen. Es müßten
„im südlichen Niedersachsen miteinander in Verbindung stehende Netze geschützter Flächen ausreichender Größe eingerichtet werden. In erster Linie kommen dafür Halbtrockenrasen, Feuchtwiesen im weitesten Sinne und naturnahe, lichte und strukturreiche Laubwälder, vorrangig Eichenmischwälder in Frage.“
Meineke a.a.O.
Es müßten
„nicht nur die Reste vorhandener Habitate mit hoher lepidepterologischer Wertigkeit bzw. Artendichte dringend geschützt werden, sondern es müßten zudem die in der Vergangenheit zerstörten Lebensräume zumindest teilweise entsprechend ihrer Bedeutung wiederhergestellt werden, wollte man ernsthaft eine Rehabilitation ursprünglicher Artenvielfalt und Artenstabilität, etwa wie zu Anfang des Jahrhunderts, bewirken.“
Meineke a.a.O.
Weil aber niemand auf die Sachkundigen hört, gehen inzwischen selbst Allerweltsarten wie die scheinbar unverwüstlichen „Kleinen Füchse“ stark zurück. Ohne Sinn und Verstand alle blühenden und grünenden Randstreifen zwischen Acker und Weg abzumähen, ist der Tod ihrer Raupen, die nur Brennesseln fressen. Daran beteiligen sich häufig sogar Gemeinden und städtische Bauhöfe.
An diesem Weg hatte es noch in der Juliwoche zuvor gegrünt und geblüht, säumten Futterpflanzenkolonien für Raupen von Tagpfauenaugen und unzähligen anderen Arten den Weg und boten dem Auge ein farbenfrohes Bild. Am Rand eines Maisfeldes, der sowieso nur für die Biogasanlage angebaut wird, gibt es keinen landwirtschaftlichen Grund oder Anlaß, die Wegraine in der Hauptblühzeit zu zerstören. Damit sich hier keine ungewollten Büsche oder Bäume ansiedeln, würde das Mähen einmal jährlich im Herbst ausreichen.
Ohne Raupen und die vielen anderen Insekten gibt es hier aber auch die Singvogelarten nicht, die sich von ihnen ernähren, und ohne diese wieder keinen Kuckuck mehr, der hier in früheren Jahren im Sommer zu hören war.
Thomas Brück
Verblüffend, wie sich die Artikel ähneln: http://soznet.org/gegen-das-insektensterben-wird-nicht-wirklich-etwas-getan/
Klaus Kunze
Unter Schmetterlings-Liebhabern ist das seit längerer Zeit ein Thema. Der Artikel, auf den Sie hinweisen, ist vom 19.3.2018. Er ist gut. Die Wegrand-Fotos habe ich in meinem Dorf am 16.7.2017 aufgenommen und schon damals, 2017, mit entprechendem kritischen Text hier http://klauskunze.com/falter/biotopschutz.htm publiziert. In meinem Dorf habe ich auch einen öffentlichen Vortrag darüber gehalten.
Brezina Peter
Wir sind eine Gruppe Schmetterlings-Liebhaber. Wir fotografieren sie und bevor eine Wiese gemäht wird nehmen wir die Raupen zur Aufzucht mit nach Hause. So konnte wir schon viele Schmetterlinge in die Freiheit entlassen. 2019 konnten wir , wie in den Vorjahren, einen erneuten Rückgang vieler Arten feststellen!
Insekten-Börsen sind heutzutage nicht mehr tragbar!!!
Klaus Kunze
Lieber Herr Brezina,
Ihre Gruppe verhält sich vorbildlich, aber nicht unbedingt gesetzeskonform. Falls geschützte Arten dabei sind, darf man zwar die Wiese mähen („ordnungsgemäße Landwirtschaft“), aber keine Raupen retten.
Abhilfe schafft niemals das Retten (vieler) einzelner Raupen, sondern nur eine Änderung der Bewirtschaftung.
Wie das geschehen müßte, kann dem Landwirt nur ein Sachkundiger nahebringen. Diese Leute wachsen aber nicht auf den Bäumen. Sie wachsen aus Kreisen junger Sammler nach.
Mit dem Retten einzelner Raupen rettet man keine Standort-Population, durch durch das Fangen eines Falters als Beleg gefährdet man sie nicht.
Jörg Schreiber
„Insekten brauchen gepflegte Habitate – Naturschutz allein genügt nicht“ sagt Prof. Kunze
Jörg Schreiber
http://www.kunz.hhu.de/vortraege.html