Corona-Verordnung teilweise verfassungswidrig
Mit Beschluß vom 29. April 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die Niedersächsische Corona-Verordnung vom 17.4.2020 in der Fassung vom 24.4.2020 teilweise außer Kraft gesetzt.
Sie verbot ausnahmslos:
(5) Verboten sind:
Niedersächsische Corona-Verordnung vom 17.4.2020 in der Fassung vom 24.4.2020
1. Zusammenkünfte in Vereinseinrichtungen und sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie die Wahrnehmung von Angeboten in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich,
2. der kurzfristige Aufenthalt zu touristischen Zwecken in Zweitwohnungen,
3. Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren,
4. alle öffentlichen Veranstaltungen, ausgenommen Sitzungen der kommunalen Vertretungen und Gremien sowie des Landtages und seiner Ausschüsse und Gremien.
Mit der Regelung zu Ziffer 3 griff die Landesregierung als Verordnungsgeber in die Grundrechte auf Religions- und Handlungsfreiheit ein. Nun müssen wir ja fast täglich in den Staatsmedien von bösen Buben hören oder lesen, deren heimliches Sinnen und Trachten nur darauf gerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterwühlen. Unsere Regierungen nennen sie gern Verfassungsfeinde. Manchmal erschließt sich erst bei langem Nachdenken über fünf Ecken, worin konkret ihre extremistische Einstellung oder Verfassungsfeindlichkeit bestehen soll.
Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, was von namhaften Verfassungsrechtlern schon zu lesen gewesen war: Was unsere Regierungen zur Zeit mit uns anstellen, greift in verfassungswidriger Weise in unsere Bürgerrechte und Menschenrechte ein. Gewiß kann der Staat durch Maßnahmen Gefahren abwehren und unsere Rechte einschränken, wenn und soweit es erforderlich ist. Der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek mahnte aber zu Recht:
In der Corona-Krise geht es um den Schutz von Leben und Gesundheit, also um den Schutz von Gütern, deren Integrität grundrechtlich garantiert ist und die der Staat nicht nur schützen darf, sondern zu deren Schutz er auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Das Ziel, Leben und Gesundheit zu schützen, kann daher die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten rechtfertigen. Entscheidend ist, ob die zum Schutz vor dem Corona-Virus ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels erstens geeignet und zweitens erforderlich sind und ob sie drittens auch im Sinne einer Vorteils- und Nachteilsabwägung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.
Dietrich Murswiek, Raus aus dem Ausnahmezustand, 31.3.2020
Es ist aber jedenfalls zur Zeit nicht erforderlich, einschränkungslos und ausnahmslos alle Zusammenkünfte in Kirchen oder Sportstätten zu verbieten. Die rigiden und darum verfassungswidrigen Maßnahmen der niedersächsischen Regierung gehen über das erforderliche Maß hinaus. Es erschließt sich niemandem, warum es gefährlich sein soll, wenn vier Läufer mit je 100 m Abstand auf einem Fußballplatz rund um die Aschenbahn laufen, um zu trainieren. Nach richtiger Ansicht des BVerfG gibt es auch bei gemeinsamer Andacht Möglichkeiten, etwaige Risiken hinreichend zu minimieren:
Jedenfalls nach derzeitigem Stand der Erkenntnis und der Strategien zur Bekämpfung der epidemiologischen Gefahrenlage ist ein generelles Verbot von Gottesdiensten in Moscheen ohne die Möglichkeit, im Einzelfall und gegebenenfalls in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt Ausnahmen unter situationsgerechten Auflagen und Beschränkungen zulassen zu können, voraussichtlich nicht mit Art. 4 GG vereinbar. […]
BVerfG Beschluß vom 29. April 2020, 1 BvQ 44/20.
Das Gericht antwortet immer nur auf die Fragen, die ein Einzelfall ihm stellt. Hier ging es um Moslems, die in einer Moschee beten wollen. Über Einschränkungen beim Besuch von Sportstätten oder anderen sozialen Begegnungsstätten ging es nicht. Die Entscheidung ist aber wegweisend, denn was für Moscheebesucher gilt, gilt natürlich auch für Kirchenbesucher, Sportler oder andere Menschen, die nicht dürfen, was sie gern tun würden. Immer muß ein Verbot die einzelfallbezogene Möglichkeit einer Ausnahme zulassen.
Jedoch ist […] jedenfalls bei der derzeitigen Gefahrensituation und der sich hieran anschließenden aktuellen Strategie zur Bekämpfung der epidemiologischen Gefahren kaum vertretbar, daß die Verordnung keine Möglichkeit für eine ausnahmsweise Zulassung solcher Gottesdienste in Einzelfällen eröffnet, in denen bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände – eventuell unter Hinzuziehung der zuständigen Gesundheitsbehörde – eine relevante Erhöhung der Infektionsgefahr zuverlässig verneint werden kann. Es ist nicht erkennbar, daß eine solche einzelfallbezogene positive Einschätzung in keinem Fall erfolgen kann. […]
BVerfG Beschluß vom 29. April 2020, 1 BvQ 44/20.
Was für Moscheen und Kirchen gilt, das läßt sich ebenso auf Sportstätten anwenden. Warum darf auf einem riesigen Golfplatz nicht gespielt werden, wenn die Spieler weit voneinander entfernt sind? Es kommt immer auf den konkreten Einzelfall an. Uns nach dem Rasenmäherprinzip einfach alle gewohnte Handlungsfreiheit wegzunehmen, ist rechtswidrig, und zugleich ist es verfassungswidrig. Immer muß die abzuwendende Gefahr abgewogen werden gegen diejenige Gefahr, die durch das Einkassieren ganzer Grundrechte droht:
Jedoch ist mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit, den das Verbot von Gottesdiensten in Moscheen nach dem Vorbringen des Antragstellers jedenfalls insoweit bedeutet, als auch Freitagsgebete während des Fastenmonats Ramadan erfaßt sind, jedenfalls bei der derzeitigen Gefahrensituation und der sich hieran anschließenden aktuellen Strategie zur Bekämpfung der epidemiologischen Gefahren kaum vertretbar, daß die Verordnung keine Möglichkeit für eine ausnahmsweise Zulassung solcher Gottesdienste in Einzelfällen eröffnet, in denen bei umfassender Würdigung der konkreten Umstände – eventuell unter Hinzuziehung der zuständigen Gesundheitsbehörde – eine relevante Erhöhung der Infektionsgefahr zuverlässig verneint werden kann. Es ist nicht erkennbar, daß eine solche einzelfallbezogene positive Einschätzung in keinem Fall erfolgen kann.
BVerfG Beschluß vom 29. April 2020, 1 BvQ 44/20.
Wenn der Verordnungsgeber seine in vorliegender Form verfassungswidrige Verordnung nicht schnellstens überarbeitet und Ausnahmen zuläßt, könnte es eine Flut von Gerichtsverfahren geben, von denen das Bundesland fraglos auch welche verlieren würde. Vor allem aber würde der verheerende Eindruck weitere Nahrung erhalten, es ginge unseren Regierungsparteien in Wirklichkeit nie um unsere Grundrechte, die Verfassung und ihren Schutz, sondern immer nur um die Stabilisierung und Ausweitung ihrer eigenen Macht.
Macht es nicht den Bock zum Gärtner, wenn diese Leute einen Verfassungsschutz unterhalten und uns Bürgern erzählen, was wir nicht denken oder sagen dürfen, ohne „extremistisch“ zu sein? Und wenn das, was wir eben noch denken und sagen dürfen, rein zufällig genau das ist, was wir denken und sagen sollen: wie toll es nämlich ist, von so wunderbaren Parteien regiert zu werden?
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