Das BVerfG hat durchgegriffen
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 15. Juni 2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 – entschieden, daß Merkels dreiste Intervention gegen die Wahl des FDP-Abgeordneten Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten verfassungswidrig war:
„Meine Damen und Herren, ich hatte dem Präsidenten schon gesagt, dass ich aus innenpolitischen Gründen eine Vorbemerkung machen möchte, und zwar bezogen auf den gestrigen Tag, an dem ein Ministerpräsident in Thüringen gewählt wurde. Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“
Angela Merkel
Maßgeblich der Freiburger Verfassungsrechtler Prof. Dietrich Murswiek hat sein Jahrzehnten eine Rechtsfortbildung befördert: Der Staat darf sich nicht mit behördlicher Autorität einmischen, wo er rechtlich nichts zu suchen hat. Dabei ging es ursprünglich um Staatshaftung, wenn Behörden öffentlich vor Produkten warnten, die sich im nachhinein als harmlos herausstellten und um ähnliche Fragen. Seitdem haben immer häufiger Gerichte einem übergriffigen Staat auf die Finger geklopft, wenn er seine Autorität in Anspruch nahm und sich dreist einmischte, wo es ihm nicht erlaubt war. Im politischen Raum neigt er dazu besonders.
Doch ist es tatsächlich der Staat, wenn ein Minister öffentlich über eine Konkurrenzpartei lästert? Was ist dem Staatshandeln zuzurechnen, wenn seine Vertreter alles in einer Person sind: Regierungsmitglied, Parteimitglied und Privatperson? Hatte sich da die Privatfrau Angela Merkel angemaßt, die Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten rückgängig zu machen, war es vielleicht die CDU-Vertreterin, oder war es die Bundeskanzlerin als Staatsorgan? Das BVerfG hat diesen Fall richtig entschieden, weil die verfassungswidrige Intervention auch auf den Webseiten der Bundesregierung zu lesen war. Das BVerfG entschied korrekt:
Die streitgegenständliche Äußerung wurde in amtlicher Funktion getätigt. Sie fiel im ausschließlich amtsbezogenen Rahmen einer Regierungspressekonferenz, deren Anlaß sowie vorgesehener Gegenstand Gespräche waren, welche die Antragsgegnerin zu I. in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin im Rahmen eines Staatsbesuchs in Südafrika geführt hatte.
BVerfG Pressemitteilung Nr. 53/2022 vom 15. Juni 2022
Strukturproblem unserer Verfassung
Der Streitfall verdeutlich ein bekanntes Strukturproblem unserer Verfassung: Die politischen Parteien erwachsen aus dem Boden der Gesellschaft und sind Vereine. Sie verstehen sich als parteiisch, das ist ihnen in die Wiege gelegt. Darum heißen sie schließlich Partei. Sie sind alles andere als gesellschaftlich neutral.
Staatsorgane sind aber dazu verpflichtet, gegenüber allen gesellschaftlichen Kräften Neutralität zu wahren.
Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Dies macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Das Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen, wird regelmäßig verletzt, wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirken.
BVerfG Pressemitteilung Nr. 53/2022 vom 15. Juni 2022
Wo aber Staat und Gesellschaft unauflöslich ineinander verwoben sind, ist staatliche Neutralität unmöglich. Wer als Bürger einer bei der Wahl unterlegenen Partei anhängt, blickt auf eine Regierung und sieht da genau die Nasen, die er von den Wahlplakaten seiner Parteienkonkurrenz satt hat. Die jeweils siegenden Parteien fläzen sich dann auf Regierungssesseln herum und erzählen ihren unterlegenen Konkurrenten, warum diese über Nacht Staatsfeinde geworden seien: “Der Staat sind wir! Wer uns kritisiert, ist ein Feind von Staat und Verfassung!”
Wer unterscheidet noch Staat und Gesellschaft?
Die Staatsorgane und Behörden mutieren dann zu Agenturen der Parteien, die sie sich zur Beute gemacht haben. Anschaulich wird das an der Person des derzeitigen Verfassungsschutzpräsidenten Haldenwang. Für ihn ist es verfassungsfeindlich etwa, die Corona-Maßnahmen der Regierung und ihrer weisungsgebundenen Behörden zu kritisieren. Im neuen Verfassungsschutzbericht für 2021 heißt es:
Das BfV hat daher im April 2021 den neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingerichtet. Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen dabei darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen. Sie machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative verächtlich, sprechen ihnen öffentlich die Legitimität ab und rufen zum Ignorieren behördlicher oder gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen auf. Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Hierdurch kann das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieprinzip oder dem Rechtsstaatsprinzip.
VS-Bericht 2021, S.112.
Er sieht großzügig darüber hinweg, daß man fragwürdige Parteivertreter wie Herrn Lauterbach und ihre Einfälle nicht von ihrem amtlichen Walten trennen kann. Wer ihn für unfähig und seine Maßnahmen für falsch hält, kann sie gar nicht kritisieren, ohne zugleich einen Repräsentanten des Staates anzugreifen. Es ist das gute verfassungsmäßige Recht jedes Bürger, seine Regierung zu kritisieren. Darum heißt die ganze Veranstaltung ja auch Demokratie.
Die Möglichkeit zur Kritik, bestehe sie selbst in einem Verächtlichmachen eines Ministers, ist kein Angriff auf die Demokratie, sondern eine Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Sie amtlich als verfassungsfeindlich zu brandmarken, ist wiederum ein verfassungswidriger Angriff auf ein Wesensmerkmal der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: der freien Willenbildung vom Volk hin zu den Staatsorganen. In autoritären Staaten wie Weißrußland hingegen bilden Machthaber den Willen des Volkes von oben herab durch Staatsmedien und Staatsschutz.
Daß sich das deutsche Wahlvolk so etwas gefallen läßt, ist erstaunlich. Es deutet darauf hin, nicht nur in Weißrußland könnte das Volk mittlerweile mehrheitlich denken, was die hohe Behörde ihm zu denken erlaubt und durch ihre Staatsmedien Tag für Tag einbleut.
Die totale Machtergreifung der Gesellschaft über den Staat wird überall dort augenfällig, wo Parteivertreter die Macht ergreifen und sich mit dem Staat identifizieren. Jeden Angriff auf sich nennen sie dann staats- oder verfassungsfeindlich. Sie vermögen zwischen dem Staat und sich selbst nicht mehr zu unterscheiden.
Den gleichen Fehler mag auch der eine oder andere Corona-Verächter machen, wenn er dem Staat in die Schuhe schiebt oder unser System pauschal für verantwortlich dafür hält, was doch nur die Folge ideologischer Seifenblasen gesellschaftlicher Machtgruppen und ihres Machtwillens sind. Der Staat: Das sind wir alle, kollektiv handelnd in einer verfassungsmäßigen Organisationsform. Der Staat und die Verfassung sind nichts in Stein gemeißeltes, sondern wie ein Klavier lassen sie immer die Melodie erklingen, die ihr jeweiliger Spieler auf ihnen spielt. Oder wie die Handpuppe des Königs im Kasperletheater bewegen sie sich immer so, wie der jeweilige Puppenspieler es vorgibt, dessen Hand in der Puppe steckt.
Im 20. Jahrhundert sahen wir mehrfach die totale Machtergreifung eines gesellschaftlichen Partei über den Staat. Sie wird erkennbar daran, daß ihre Parteifahnen oder die Fahnen ihrer Bewegung anstelle der Staatsfahnen treten.
So wurde die russische Fahne nach der Oktoberrevolution ersetzt durch die rote Fahne der kommunistischen Partei und die schwarz-rot-goldene Reichsfahne 1933 ersetzt durch die Hakenkreuzfahne. Wir sollten dem Aufziehen neuer, bunter Fahnen an öffentlichen Gebäuden mit demokratischer Wachsamkeit gegenüberstehen.
Martin
Wenn es um die AFD geht, dann wird von den Altparteien auch mal gerne das Deutsche Grundgesetz eiskalt “beiseite geschoben” …
Das wissen inzwischen die über 6 Millionen Deutschen, welche die AFD gewählt haben. Tendenz steigend…
Siehe z.B. den Youtube Titel in Bezug auf Merkel und Grundrechte:
Merkels Staatsrat ist verfassungswidrig
https://www.youtube.com/watch?v=dvLN7TszVKQ