Herr Haldenwang als oberster Regierungsschützer
Dieser Tage erhoben sich viele mahnende Stimmen: Wer die Regierung und ihre Maßnahmen scharf kritisiert, könnte sich demnächst im Verfassungsschutzbericht wiederfinden. Herr Haldenwang als oberster behördlicher Anweisungsempfänger der Regierung macht es möglich.
Kritiker stehen nämlich in Verdacht, nur vordergründig die Regierung zu kritisieren. Ihre hinterhältigen wahren Pläne enthüllt jetzt Herr Haldenwang: Sie wollen unsere Verfassung „delegitimieren“:
Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Hierdurch kann das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieprinzip oder dem Rechtsstaatsprinzip.
VS-Bericht 2021, S.112.
Das Publikum wird gebeten, bei Auftritten von Lauterbach, Özdemir und Konsorten die Hacken zusammenzuschlagen und gefälligst Haltung anzunehmen. Respektlosigkeiten verbittet man sich. Auch auf den billigen Plätzen bittet man das Kichern einzustellen. Das Vertrauen in das staatliche System insgesamt könnte sonst erschüttert und seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden.
Ein alter Hut
Die Kritik in Feuilletons und Blogs an der Schmälerung unserer demokratischen Freiheitsrechte ist natürlich berechtigt. Ich habe aber noch nirgends gelesen, daß die neue Masche des sogenannten Verfassungsschutzes in Wahrheit ein alter Hut ist. Leider hat die breite Öffentlichkeit den Anfängen nicht gewehrt, die sich schon vor 30 Jahren abzeichneten. Vertreter des VS argumentieren nämlich schon sehr lange und nicht erst unter Haldenwang, ein guter Untertan habe die Regierung gefälligst nicht zu kritisieren.
Am 30.12.1992 schrieb das Innenministerium des Landes NRW in einen Prozeß einer Partei gegen ihre nachrichtendienstliche Beobachtung:
Eine mit der Verfassungsordnung unvereinbare Zielsetzung kann sich nach der Rechtsprechung unabhängig vom Parteiprogramm aus einer ständigen Polemik ergeben, die sich gegen die Grundwerte der Verfassung richtet und der Partei politisch zuzurechnen ist (BverfG E 82, 345, 350), oder aus einer Beleidigung oder Verunglimpfung von Verfassungsorganen ergibt (BverfG E 5, 85, 382).
Innenministerium NRW, Verfahren vor dem VG Düsseldorf 1 L 5758/92, Schriftsatz vom 30.12.1992, S.21 f.
Nun erweiterte der Verfassungsschutz schon im nächsten Textabsatz die verdächtige Verunglimpfung von Verfassungsorganen auf eine von ihm erfundene Verunglimpfung von Vertretern anderer Parteien:
Die nachfolgend aufgeführten pauschal diffamierenden Äußerungen über andere politische Parteien und deren Repräsentanten lassen das vom Mehrparteienprinzip und dem Pinzip der Chancengleichheit der Parteien geforderte Mindestmaß an Toleranz gegenüber anderen politischen Gruppierungen vermissen. Hierbrei geht es den Republikanern nicht um eine durch Art. 5 GG gedeckte politische Auseinandersetzung. Vielmehr werden die demokratischen Parteien durch Polemik auf vielfältige Weise verächtlich gemacht und u.a. als schädlich, verlogen und korrupt dargestellt. Die dabei benutzten Begriffe wie Altparteien, Blockparteien, Multikulturparteien, Bonner Parteienkartell finden sich auch in den Aussagen anderer rechtsextremistischer bzw. neonazistischer Organisationen. Hierdurch soll ihr Ansehen geschmälert, das Vertrauen in die Wertordnung des Grundgesetzes erschüttert werden. Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang eine Hetze gegen die politischen Parteien durch maßlose Entstellungen und Verleumdungen.
Innenministerium NRW, Verfahren vor dem VG Düsseldorf 1 L 5758/92, Schriftsatz vom 30.12.1992, S.21.
Jene Parteien, die eine multikulturelle Gesellschaft unterdessen mit der Macht des Faktischen installiert haben, durften also 1992 noch nicht Multikulturparteien genannt werden. Das machte sie verächtlich. Der VS zitierte dem Verwaltungsgericht auch gern die übelsten Sumpfblüten der altparteienfeindlichen Hetze:
War das nicht entsetzlich? Wankte nicht schon die Wertordnung des Grundgesetzes. Doch es kam noch schlimmer:
Um das demokratische Zartgefühl des Lesers nicht übermäßig zu verletzen, mögen diese Zitate genügen. Sie zeigen auf, worum es geht: Die etablierten Parteien identifizieren sich und nur sich mit Staat und Verfassung und erklären kritische Konkurrenz als staats- und verfassungsfeindlich.
Die tieferen Wurzeln
Daß man tatsächlich mit dem Ziel eines Umsturzes die politischen Institutionen madig machen kann, hatte allerdings für die frühere Sozialistische Reichspartei der letzte Kommandaur des Berliner Wachbatallions vorgemacht, Otto Ernst Remer, ein alter Nationalsozialist. Das BVerfG hat seine SRP verboten und im Urteil vom 23.10.1952 geschrieben:
Auch auf andere Weise wird das Ansehen der Organe der Bundesrepublik und ihrer Träger systematisch herabgesetzt. Nach der Gegenschrift (S. 49) gibt Remer zu, gesagt zu haben: „Dieselben Männer und dieselben Parteien, die damals bis 1933 nicht in der Lage waren, die siebeneinhalb Mill. Arbeitslosen von der Straße zu bringen, und die somit schuld waren, daß es überhaupt zu einem 1933 kommen konnte, sind heute wieder dabei, das politische Leben allein zu gestalten . . . Wir brauchen keinen Klub der 75-jährigen, keine alten Tattergreise . . . Wir brauchen keine Emigranten, die auf dem Gepäcktroß der Alliierten, nicht auf der Panzerspitze, als Nutznießer der Niederlage gekommen sind.“ Diese gehäuften Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen haben mit der verfassungsmäßig gewährleisteten freien Meinungsäußerung und einer echten politischen Opposition nichts mehr zu tun. Sie offenbaren vielmehr die Tendenz, das Vertrauen zu den Repräsentanten der Bundesrepublik in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern, damit ihr zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwürdig erscheine. Dieselbe Methode hat Hitler angewandt, um Demokratie und Freiheit zu beseitigen und eine Diktatur aufzurichten.
BVerfG, Urteil vom 23.10.1952, E Band 2, S.15 f., sog. SRP-Urteil
Wie sich an dem Zitat des BVerfG aus einer Rede Remers zeigt, hatte dieser ad personam argumentiert und nicht sachbezogen politisch. Zweifellos wollte er mit den Repräsentanten der jungen Bundesrepublik das ihm mißliebige System angreifen. So etwas ist immer eine Interpretationsfrage, ebenso wie wenn ein Marxist sagt, die anderen Politiker seien alle Kapitalistenknechte, und mit dem Spuk müsse man Schluß machen.
Aber nicht nur extremistische Parteien identifizieren sich mit dem Ganzen und sprechen anderen Parteien gern ihre Existenzberechtigung ab. Seit Jahrzehnten mißbrauchen Regierungsparteien mehr oder weniger ausgeprägt die Staatsmacht, indem sie nur sich selbst für staatstragend erklären. Schon Proudhon hatte beobachtet, daß die Volksvertreter, sobald sie in den Besitz der Macht gelangt sind, sofort ihre Macht stärken, ausbauen und ihre Stellung unaufhörlich mit neuen Schutzmaßregeln zu umgeben suchen, um sich endlich von der populären Botmäßigkeit gänzlich zu befreien. Theophrast bemerkte,[1] der größte Ehrgeiz der die höchsten Stellen im Volksstaate einnehmenden Männer bestehe nicht so sehr in der Sucht nach Gewinn und Bereicherung, als vielmehr darin, auf Kosten der Souveränität des Volkes allmählich eine eigene zu gründen.[2]
Jede einmal in den Besitz der Macht gelangte Gruppe neigt dazu, diese festhalten zu wollen. Im Zeitalter der Demokratie sprechen und kämpfen alle Faktoren des öffentlichen Lebens im Namen der Gesamtheit[3], heute also im Namen „der Demokratie“. Jede Partei sucht sich des Staats zu bemächtigen und sich für das Allgemeine auszugeben[4]. Begrifflich bedeutet die Identifizierung von Regierung und Partei aber den reinen, nach dem BVerfGE[5] verfassungswidrigen, Parteienstaat. Die Identifizierung regierender Parteien mit dem Staat ist leider zur unreflektierten Selbstverständlichkeit geworden,[6] Sie benehmen sich wie Staatsparteien mit eigenem Staatsfernsehen und einem eigenen Verfassungsschutz als Stützen ihrer Macht.
[1] J.Proudhon, Les confessions d’un révolutionnaire. Ed.Nouvelle, Paris 1868, S.286
[2] La Bruyère, Caractères, suivis des caractères de Théophraste, S.381
[3] Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 1911, 4.Aufl.1989, S.17
[4] Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S.37
[5] BVerfGE 20, 56, 101 f
[6] Hans Peter Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien – eine moderne Form der Parteidiktatur? Zeitschrift für Rechtspolitik 1991, 468 ff., 472
Uwe Lay
Überlegungen
Waren nicht die Presse-Meinungs-und Gewissensfreiheit Parolen der Vorbereitung der Französischen Revolution, um das dort und nicht nur dort herrschende Thron-und Altatbündnis zu stürzen, um eine bürgerliche Herrschaft, den Wechsel von dem Blutadel zum Geldadel (Plutokratie) zu ermöglichlen? Aber schon damals galten diese Freiheiten nicht den „Feinden“ der Revolution, die fanden sich unter der Guillotine wieder. Jetzt, wo die bürgerliche Herrschaft überall obsiegt hat, verwundert es da,
daß nun diese bürgerlichen Freiheiten wieder eingeschränkt, limitiert werden, da ein Zuviel davon herrschaftsdestabilisierend sich auswirken kann?
Jetzt, wo „Brot und Spiele“ für manche und zusehens mehr Teilen der Bevölkerung immer weniger bezahlbar werden, liegt es doch nahe, zur Herrschaftsabsicherung, diese Freiheiten zu reduzieren.
Uwe Lay Pro Theol Blogspot