Vortrag, gehalten in Köln am 12.10.2024

Nebenan in der Andreaskirche liegt Albertus Magnus (1200-1280) begraben, der Namengeber meiner Kölner Alma Mater. Der Gelehrte bildete ein Scharnier zwischen dem dogmatisch christlichen Weltbild der Scholastik und einer neuen, wegweisenden Wissenschaft, die sich auf Naturbeobachtung stützt. Auf diese Unterscheidung werde ich später zurückkommen.

Eine tiefgreifende Diskrepanz bestand schon immer zwischen der Betrachtung der Dinge, wie sie tatsächlich sind, und einer anderen Sichtweise, die nach einem Sinn hinter den Dingen fragt und die Realität mit einem Ideal verglich. Beim Vergleich mit den Dingen, wie sie sein sollten, schneiden die realen schlecht ab.

So schwankte das Bild, das die Menschen sich von den Frauen machte, in der Geschichte und änderte sich mit dem Zeitgeist, das heißt mit dem jeweils herrschenden Idealbild. Dieses Idealbild wiederum hatte immer auch einen engen Bezug zu den materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche. Ohne diese objektiven Bedingungen ist der Wandel des Frauenbildes nicht zu begreifen.

Die Rollenerwartungen an Frauen änderten sich mit der faktischen Rolle, die Frauen jeweils spielen konnten. Jede herrschende Weltanschauung mußte die realen Lebensverhältnisse widerspiegeln, in sich aufnehmen, verarbeiten und in eine scheinbar objektive Weltdeutung integrieren.

Eine wegweisende Konstante der Realgeschichte ist dabei die Liebe zwischen Mann und Frau, wie sie bereits an einer Bestattung in Eulau um 1500 v.Chr. deutlich wird.

1. Frühgeschichte

Den meisten Epochen war ein prinzipieller gesellschaftlicher Rangunterschied zwischen Mann und Frau fremd. Dagegen teilten Ehefrauen im Regelfall den Stand ihrer Männer. Im 1. vorchristlichen Jahrtausend waren die Priesterkönige der Kelten im heutigen Hessen Männer, von denen zum Beispiel der Fürst von Glauberg mit seinem hohen, goldenen Ritualhelm berühmt geworden ist. Während der Grundbesitz in jener patrilokalen Zeit im Mannesstamm vererbt wurde, stammten die Ehefrauen aus anderen Gegenden. Eine Fürstentochter heiratete innerhalb ihres Standes, aber weit weg und wurde mit ähnlich hochwertiger Ausstattung begraben wie ein gleichrangiger Mann.

Von den Germanen ist vielfach überliefert, daß sie Frauen magische Kräfte und eine kultische Rolle zugeschrieben[1] wie der bekannten Veleda. Rang und Stand jeder Person richteten sich nach ihrer Abstammung, ihren Fähigkeiten und ihrem Besitz, nicht nach dem Geschlecht. Seit der militärischen Ausdehnung der Germanen in die Mittelgebirge und weiter nach Süden und ihre Konfrontation mit den Römern veränderten sich Kultur und Weltanschauung.

Der Kult kriegerischer Götter gewann an Boden. Wie in jeder Landnahmezeit expandierte der Bevölkerungsüberschuß in Form junger Männerbanden, sogenannten Gefolgschaften, raubend und plündernd in römisch befriedetes Gebiet. Das 1. nachchristliche Jahrtausend war von blutigen Verdrängungskämpfen erfüllt. In dieser Epoche waren die Frauen der Besiegten Beute. Die eigenen Frauen der Stämme, die sich nach Süden ausbreiteten, waren stets gefährdet, selbst Beute zu werden. Ohne einen Mann, der mit Schwert und Schild für sie eintrat, waren sie schutzlos.

In dieser militarisierten Zeit bestand die Volksversammlung aus den waffenfähigen Männern, die einen Herzog wählten und ihm hinterher zogen. Kinder, Frauen und Greise zogen nicht mit und entschieden darum auch nicht mit. Wir sehen hier einen der Fälle, warum die Faktizität der Umstände zu bestimmten Rechtsverhältnissen führen mußte.

Es gab noch keinen Staat. Jeder mußte mit der Waffe durchsetzen, was er für sein Recht hielt. Frauen konnten das regelmäßig nicht. Im schlimmsten Fall kam es zu einem Gottesurteil durch Zweikampf. Darum brauchte eine Frau einen Vormund, der vor dem Richter für sie sprach und ihr Recht auch durchsetzen konnte. Insoweit stand eine Frau einem unmündigen Kind gleich, das auch einen solchen Vormund brauchte.

Sp prägte die Realität das Rechtsverständnis. Die vollgültige Ehe war ein Vertrag zwischen den Sippen beider Brautleute zur Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse.

2. Mittelalter

Das hohe Mittelalter, vor allem in seiner ritterlichen Oberschicht, brachte Frauen die allerhöchste Achtung entgegen. Eine edle Frau zu minnen machte sich mancher zum Traum seines Lebens. Worauf diese Minne hinauslief, sehen Sie auf einer Buchmalerei von 1420.

Dabei kannte das Volksrecht rechtliche Regeln. Folgte auf eine galante Werbung

ein Ehebruch, verlor eine Frau nach dem Sachsenspiegel wohl ihre Ehre, aber nicht ihr Erbe:

Der gehörnte Ehemann durfte die Ehebrecher freilich in flagranti erschlagen.

„Das Recht des Sachsenspiegels spiegelte nicht pauschal eine willkürlich intendierte Schlechterstellung der Frau wider. Vielmehr war bereits zu Eike von Repgows Zeit im germanischen Recht ein differenziertes System des Rechtsgüterschutzes vorgebildet, das zwar naturgemäß die Vorstellungen seiner Zeit reflektierte, aber auch um Ausgewogenheit und Interessenausgleich bemüht war, mithin um Prinzipien, die bis heute das Recht ganz allgemein prägen und diesem Werk seine besondere rechtshistorische Stellung sichern.“[2]

Spätestens im 12. Jahrhundert hatte sich in Mitteleuropa die Konsensehe durchgesetzt. Keine Frau wurde gegen ihren Willen verheiratet. Das entsprach christlichen Vorstellungen. Die kirchliche Lehre der Zeit orientierte sich aber bald stark an Aristoteles und scholastischen Kirchenlehrern wie Albertus Magnus und seinem Schüler Thomas von Aquin. Das der biblischen sogenannten Offenbarung und Aristoteles entlehnte Frauenbild hielt Frauen für unvollkommene Wesen und gipfelte im 16. Jahrhundert in vereinzelten Stellungnahme aus mönchischen Studierzellen, die ernstlich die Meinung vertraten, Frauen seien keine Menschen. Jahrhundertelang wurden Zitatstellen aus Aristoteles abgeschrieben, der Frauen als feucht und kalt im Sinne seiner Lehre bezeichnet hatte.

Bemerkungen über Frauen spiegeln die gesellschaftliche Unterordnung der Frau im antiken Griechenland, die sich an allen Bereichen des kulturellen Lebens finden läßt. Zu Berühmtheit gelangt ist seine Ansicht, die Frau sei eine Abart der Natur, ein Monster, ein verfehlter Mann.[3]

Solch unvollkommenen Wesen durfte man natürlich keine mündige Entscheidung über ihre Vermögensverwaltung und andere Rechte zuerkennen. Solche Hypothesen wurden durch die Kirche und Bibelstellen aus der Antike in die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Diskussion eingeschleppt. So betonte der Humanist Vives 1524:

Schließlich solle sie immer in Erinnerung behalten, daß Paulus nicht ohne Grund den Frauen das Lehren und Sprechen in der Kirchen verboten hat, und daß sie sich den Männern zu fügen habe und schweigend das zu lernen habe, was ihr aufgegeben wird.[4]

Die Hypothesen von Stubengelehrten waren immer eins, die gelebte Realität aber ein anderes. Albertus Magnus war einer der ersten, der es nicht mit theologischen Spekulationen bewenden ließ, sondern exakte Naturbeobachtung betrieb und dadurch berühmt wurde. Nach und nach setzte sich die Erforschung der empirischen Welt durch gegen rein intellektuelle Deduktionen.

Gerade als Jurist warne ich davor, Rechtspositionen im alltäglichen Leben die allein ausschlaggebende Bedeutung beizumessen. Die realen Machtverhältnisse in einer Ehe hingen niemals nur von Rechten oder Pflichten ab. Sie ergeben sich immer als der individuellen Persönlichkeit des jeweiligen Mannes und der jeweiligen Frau. Jenseits aller Rechts- oder Gleichberechtigungsfragen gab es immer Frauen, die die Hosen anhaben, es gab Pantoffelhelden, und es gab tyrannische Männer. Dominant oder devot zu sein sind allgemeinmenschliche und keine an das Geschlecht gebundene Eigenschaften.

Mit Klugheit kann jede Frau ihren Mann lenken: Erasmus von Rotterdam (um 1467-1536) argumentierte nicht moralisch, sondern praktisch und nützlich: Faktisch seien Frauen von Männern abhängig. Er vergleicht in einer Schrift von 1523 Männer mit wilden Tieren, die man zwar nicht durch Gewalt beherrschen, aber durch die Anwendung von Klugheit oder eigene geistige Überlegenheit zähmen könne. Wieviel Mühe nehmen die Menschen auf sich, um sich ein Pferd zuzureiten, und uns verdrießt es, dahin zu arbeiten, daß wir angenehmere Männer haben? Im Dialog zwischen einer sanften Eulalia mit einer berechnenden Xanthippe meint die erste, sie achte darauf, was ihr Mann möge, so wie man auch Elefanten und Löwen bezwingt, indem man sie nicht erzürnet.

So ein Tier habe ich auch daheim“, erwidert Xanthippe. Eulalia weiter: “Man reizt ja auch Elefanten und Tiger nicht durch Kleiderfarben, die sie nicht mögen. Und reitet man ein wildes Roß zu, streichelt man es. Solche Kunst brauchen wir gegen unsere Männer, mit denen wir, mögen wir wollen oder nicht, ein Leben lang Haus und Bett teilen”.[5]

Erasmus von Rotterdam

Agrippa von Nettesheim (*Köln 1486-1535) gab 1529 zu bedenken: Gott habe Mann und Frau die gleiche Seele eingepflanzt:

Aber ein Seel/ darzu ein gantz vnd gar vnnderschidliche gestalt der Seelen/ hat Gott dem Mann vnd dem Weib mitgetheylt/ Also/ das zwischen der beider Seeln gantz kein getheilts ist an der art/ oder geschlecht. So hat auch das weib hierüber sampt dem Mann/ ein gleich gemüt/ vernunfft/ und red empfangen.[6]

Wir können hier als Zwischenergebnis festhalten: In Epochen purer Faktizität hatte weitgehend ein „Recht“ des Stärkeren gegolten. Das begünstigte patriarchalische Verhältnisse. Frauen und Kinder waren schutzbedürftig und kämpften nicht. Darum waren sie auch vor Gericht Mündel.

Das Christentum in seiner scholastischen Ausprägung gab für die rechtliche Unterordnung der Frau eine nachträgliche theologische, also letztlich ideologische Scheinbegründung, die mit dem ursprünglichen, dem praktischen Sinn nichts mehr zu tun hatte.

Im Spätmittelalter hatten die faktischen Verhältnisse sich nämlich nach und nach geändert. Landfrieden verboten die Privatfehde. Insbesondere in den Städten änderten sich nach und nach die faktischen Bedingungen tiefgreifend. So hatten ländliche Grundherren vielfach das Recht gehabt, Ehen ihrer Unfreien zu genehmigen. Ein in die Stadt gezogenes Landmädchen durfte nicht einfach einen Bräutigam aus der Stadt heiraten und er sie nicht, wenn er einer Einwohnergruppe angehörte, die ihrerseits anderem Recht unterworfen war. Im 13. Jahrhundert erwarben Städte nach und nach das Privileg, daß ihre Stadtluft von solchen Beschränkungen frei machte. Handwerkerwitwen führten den Betrieb auf eigene Rechnung weiter, ohne irgendeiner Beschränkung zu unterliegen. Ohnehin durften Witwen jederzeit aus eigener Rechtsvollkommenheit wieder heiraten.

In diese Zeit fiel auch eine Hochblüte weiblicher Bildung. Viele Ritter konnten nicht lesen und schreiben, das galt nicht als besonders ritterlich. Viele edle Damen waren weitaus gebildeter als ihre Männer.

Schon nach dem Sachsenspiegel des 13. Jahrhunderts erbte eine Witwe den Hausrat, darunter die Bücher.

Hier liest die Dichterin und Gelehrte Christine des Pisan Männern vor:

So kam es zu einem Auseinanderklaffen zwischen der gelebten Wirklichkeit und ihrer ideologisch gefärbten Interpretation durch scholastische und später humanistische Stubengelehrte, die sich ihre eigene „Wirklichkeit“ anhand von Aristoteles und Paulus zurechtstrickten.

3. Die gelebte Realität

Gerade so wie Sie heute in der breiten Bevölkerung herumfragen können, wer im Ernst an Gender und zig diverse Geschlechter glaubt, konnten Sie vor 500 Jahren herumfragen, welcher Bauer oder Handwerker seine Frau für ein minderes, unmündiges Wesen hielt. Gelehrte mit solchen Hypothesen machten einen in Promille zählenden Anteil der Bevölkerung aus und publizierten gewöhnlich auf Latein.

Es ist eine rückblickende Fiktion, „die Frau“ sei „früher“ unterdrückt worden. Weder gab es jemals „die Frau“ oder „die Frauen“, noch hat der pauschale Begriff „früher” irgendeinen Erkenntniswert. Die Frauen waren niemals eine soziale Einheit. Sie sind auch niemals „unterdrückt“ worden. Vielmehr gab es ein komplexes System kultureller, sozialer und rechtlicher Faktoren, die sie vor Übergriffen und roher Gewalt schützen sollten, gerade weil sie als besonders wertvoll, aber auch als verletzlich galten.

Mein Beruf bringt einen größeren Schatz an praktischer Lebenserfahrung mit sich als nur reine Studierstubenweisheit. Ich habe hunderte von Scheidungsverfahren geführt. Es gibt prügelnde Ehemänner, aber auch verprügelte. Wer in einer Ehe die Hosen anhat und ob ein Ehepartner tyrannisiert wird, ist immer eine Einzelfallfrage. Ihre Antwort hängt vom dominanten oder weniger dominanten Charakter des einzelnen Menschen ab.

Das war schon immer so. Selbst ein Sokrates hatte seine Xanthippe. Frauen sind ebensowenig reine Engel wie Männer. Es gibt Männer, die zu schlicht gestrickt sind, sich gegen eine spitze Zunge zu wehren. Die Machtmittel von Frauen sind andere, aber nicht weniger effektive. Es gibt nicht nur die braven Heimchen am Herde, sondern gab stets auch Frauen, die männlichen Liebeswahn ausnutzten. Ein verliebter Mann kann sich zum Narren machen.

Rechtsverhältnisse sind immer nur eines von vielen Mitteln, die zwischen den Geschlechtern angewandt werden. Hinter unzähligen „starken Männern“ steht in Wahrheit eine starke Frau.

Einer damals verbreiteten Satire zufolge kann ein Mann sich im Liebeswahn selbst zum Esel machen.[7]

Es hat immer starke, ja großartige Frauen gegeben. Im 14. Jahrhundert hatten an Universitäten noch mehrere Ärztinnen promoviert. Seitdem fanden sie kaum noch Zugang zu Hochschulen oder universitären Ausbildungsstätten.[8] Praktizieren durften sie zwar, konnten aber keine akademischen Autoritäten werden.

Als Dorothea Erxleben studieren wollte, schrieb man sie nicht in die Matrikel ein. Sie wandte sich an den König, was in der Regierungszeit Friedrichs des Großen jeder Bürger ausdrücklich durfte. Der wies die Universität Halle 1741 an, sie zur Promotion zuzulassen. 1742 heiratete sie, begann als Ärztin zu praktizieren und übernahm 1747 die Praxis.

Sie reichte schließlich ihre Dissertation ein und wurde 1755 promoviert. Das mündliche Examen bestand sie glanzvoll. Ebenso glanzvoll argumentierte sie 1742 – 27jährig! – auch in ihrer Schrift über die Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten. Allgemein, leitet sie ein, sage man ja den Frauen nach, eine Abneigung gegen das Schreiben und Lehren zu haben. Viele Männer dächten nun vielleicht, sie wolle ihnen den Krieg erklären und ein Vorrecht entziehen. Davon sei sie aber weit entfernt.

Sofort am Beginn ihrer eigentlichen Argumentation gewinnt sie die Herzen aller selbst wissensdurstigen Leser:

„So groß der Vorzug ist, welchen das Licht vor der Finsternis verdienet, ebenso groß, ja noch größer ist das Vorrecht, welches dem [zukommt], dessen Verstand durch Gelehrsamkeit verbessert worden, vor denen, die nicht in der dicken Finsternis desselben herumtappen“.[9]

Dorothea Christiane Erxleben geb. Leporin

Darum sei es geradezu eine Verachtung der Gelehrsamkeit, das weibliche Geschlecht völlig von diesem kostbaren Schatz auszuschließen.

4. Die moralistische Gegenfraktion

Das Mittelalter war zwar theoretisch fromm, in seiner Lebenswirklichkeit aber oft weit von den Forderungen hoher Moral entfernt.

Bis in den Klerus  fand niemand an Badehäusern etwas anstößig, in denen es zuging wie heute in einem Swingerclub.

Auch Prostituierte waren nicht prinzipiell verachtete Frauen. Selbst bei Reichstagen und Konzilien achtete man vorher darauf, daß sich genügend Damen einfanden. In Zurzach war der Hurentanz anläßlich des Roßmarktes ein gesellschaftliches Ereignis.

Zweifellos hatten viele christliche Moraltheologen Angst vor Frauen, das heißt vor ungezügelter weiblicher Sexualität. Solche Frauen galten ihnen als böse.

Sie kopulierten in dämonischen Nächten mit dem Teufel. Wer sich verdächtig machte, wurde verfolgt.

Moralisten verfaßten Anleitungsbücher für züchtiges Betragen.

Das moralisierende Mißtrauen führte zu geradezu frauenfeindlichen Exzessen wie der metaphorischen Forderung, Frauen ein Schloß vor den Mund zu hängen.

Von den gleichen Leuten wurde die Frau als Jungfrau Maria idealisiert.

Seit dem hohen Mittelalter galten Frauen als latent flatterhaft wie auf der Abbildung von 1215 das unstete Weib und ihre Liebhaber.

Tatsächlich können es Frauen, biologisch gesehen, durchaus mit mehreren Männern nacheinander aufnehmen und sind, so gesehen, das eigentlich starke Geschlecht, wo die männliche Kraft nach gehabtem Vergnügen erst einmal erlahmt. Entkleidet man die Kritik ihrer moralisierenden Elemente, bleibt jedoch ein realistisches und klares Bild weiblicher Möglichkeiten zurück, so daß Mann und Frau immer als substanziell verschieden gedacht wurden.

5. Die Auflösung der Weiblichkeit im Konstruktivismus

Das änderte sich in den vergangenen 250 Jahren bis hin zu modernen Genderhypothesen, denen zufolge zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit kein objektiver Unterschied besteht.

Zunächst drängte die Aufklärung alle überkommenen Vorstellungen zurück, Menschen unterlägen feststehenden moralischen Befehlen, weshalb nur ein moralischer Mensch gottähnlich und darum ein vollwertiger Mensch sei.

Der französische Philosoph am Hofe Friedrichs des Großen, La Mettrie, verkündete radikal materialistisch, die Altvorderen, selbst “ganz Seele, hätten sich nicht um ihr körperliches Heil, wir aber, ganz Körper, wollen uns nicht um unser Seelenheil kümmern“[10].

Die Mehrheitsmeinung in der sich zunächst anschließenden bürgerlichen Epoche schreckte vor den Konsequenzen dieser Sichtweise zurück. Sie benötigte unbedingt eine gültige Letztbegründung von Sitte und Moral. Sie fand diese in der Lebensform der bürgerlichen Ehe mit all ihren bekannten Tugenden.

Gerade durch ihre geschlechtliche Verschiedenheit verhielten Mann sich quasi komplementär zueinander und bildeten als Ehe eine höhere Einheit. Ihr Ganzes galt als mehr als die Summe seiner beiden einzelnen Teile.

Das entsprach einem umfassenden gesellschaftlichen Denkmodell, das sich ursprünglich gegen die alte Feudalgesellschaft mit ihrer starren Hierarchie wandte. Die vorausgesetzte substanzielle Verschiedenheit der Stände und Geschlechter wurde nicht in Frage gestellt. Diese sollten aber, wie die verschiedenen Rädchen und Teile eines Uhrwerks, harmonisch ineinandergreifen, wobei selbst die untergeordneten Einzelelemente für das Funktionieren des Ganzen unentbehrlich waren und eine Synthese des Verschiedenen ermöglichten.

Ein ganz anderes Denkmodell setzt sich in der Moderne ab ungefähr Anfang des 20. Jahrhunderts durch. Die Lebenswirklichkeit jedenfalls der städtischen Menschen wurde geprägt durch die Massengesellschaft mit massenhafter Produktion von Industriewaren. Umso billiger und effektiver wurde produziert, auf je weniger gleichartige und austauschbare Einzelelemente die Produktion sich stützen konnte. Der Handwerksmeister hatte noch alle Produktionsschritte beherrscht. Er wich dem Industriearbeiter am Fließband mit immer denselben Handgriffen. Untereinander waren diese Arbeiter so austauschbar wie die Einzelteile bei der Fließbandfertigung. Wie bei einem Legospiel beruhte jede Konstruktion aus untereinander gleichen Grundelementen, aus denen man alles mögliche konstruieren konnte.

Impressionismus: Monet

Parallel dazu kam ein Kunstverständnis auf, das zunehmend die Form auflöste sich wie ein Gemälde aus gleichartigen Bildpunkten und Grundformen zusammensetzte. Dabei blieb eine erkennbare Form des Abgebildeten wie hier 1872 bei Monet zunächst

noch erhalten, löste sich aber in den folgenden Jahrzehnten nach und nach auf und wich abstrakten Formelementen.

Konstruktivismus: Theo Margaretha van Doesburg, Komposition IX, 1917

Eine gleichartige Entwicklung fand in der Architektur statt. Der neue, analytisch-kombinatorische Denkstil suchte alles in seine Grundlemente zu zerlegen, um aus ihnen jedes Beliebige neu zu konstruieren. Davon konnte das gesellschaftliche Leben nicht unberührt bleiben. Man zerlegte nach und nach die früher als substanziell empfundenen Strukturen in ihre Einzelelemente. Diese Grundelemente des gesellschaftlichen Lebens waren bis in die bürgerliche Zeit die Einzelpersönlichkeit, die Familie und ihr Stand gewesen. Ein Adliger sei etwas substanziell anderes als ein Tagelöhner, war dem modernen Denken aber nicht mehr vermittelbar. Folgerichtig atomisierte man die Gesellschaft und zerlegte sie in ihre Grundbausteine, die einzelnen Personen.

„Einzelne Menschen, die als einzelne Menschen gleich sind – das ist bereits, wenn man alle Implikationen bedenkt, eine adäquate Beschreibung der Massendemokratie.“[11]

Panajotis Kondylis

Damit einher verbreitete sich ein immer radikaleres Gleichheitsdenken. Jede wertgebundene Differenzierung wurde verdächtig. Daß jede Person eine gleiche Stimme haben sollte, war dann konsequent.

Inzwischen hat sich das analytisch-kombinatorische Denkmodell weiter radikalisiert. Vermutlich haben Sie die Konsequenzen für das Frauenbild schon geahnt. Analyse und freie Kombinatorik machte vor den Menschen nicht halt, die sich immer noch substanziell in Männer und Frauen gliederten.

Die innere Logik der Entwicklung offenbarte sich als erstes im Frauenbild des Kommunismus, für das Frauen wie Männer als revolutionäre Subjekte gleich waren. Das drückte sich bald in ihrer Uniformierung aus.

Die Tendenz der Moderne sucht alle festen Formen aufzulösen und mit immer weniger Grundelementen auszukommen, aus denen sich alles Beliebige frei konstruieren läßt. Daß eine Gesellschaft sich in Männer und Frauen gliedert, benötigt aber noch deren zwei. Ebenso denkkonsequent wie radikal wechselte man nun die beiden Formelemente Mann und Frau aus und ersetzte sie durch das einheitliche „Mensch“.

Davon erhoffte man sich zwar ein neues Höchstmaß an Freiheit, zum Beispiel der Freiheit gewisser Männer, in Frauensaunas zu gehen. Zugleich nahm man aber den Frauen die Freiheit, dort unter sich zu sein. Der besondere Schutz der Frauen, eben weil sie Frauen sind, war seit dem Altertum ein feststehendes Merkmal unseres Frauenbildes. Er wurde beseitigt.

Der Genderismus schaffte die seinsmäßige Gebundenheit der Menschen an ihr Geschlecht ab. Im Prinzip schaffte man damit die Frauen insoweit ab, als sie jetzt nur noch Menschen sein durften.

Typischerweise sind moderne Ideologen die geschworenen Feinde der empirischen Naturwissenschaft. Gegenüber der von Albertus Magnus begonnenen Epoche der Naturbeobachtung machen sie eine geistige Rolle rückwärts. Wie ihre Vorgänger aus der Epoche der Scholastik wischen sie die biologischen, medizinischen und psychologisch feststellbaren Unterschiede zwischen den Geschlechtern beiseite und bilden sich ein, Mann oder Frau könne jemand allein durch sein subjektives Selbstbild, einen freien Entschluß oder eine perverse Kostümierung werden. Wir wissen aber gerade hier in Köln sehr genau: Wer sich am Rosenmontag ein Affenkostüm überzieht, erwacht doch Aschermittwoch wieder als Mensch.

Im realen Leben erfreuen Frauen sich ihrer Weiblichkeit ebenso, wie das männliche Selbstverständnis auf Männlichkeit beruht. Die Geschlechter können diese spezifische Männlichkeit und Weiblichkeit aber nur jeweils in Bezug auf das andere Geschlecht ausleben. Beides gehört komplementär zusammen. Darum wissen Männer und Frauen ganz von allein, wie sich sich zueinander im realen Leben verhalten.

Im Gegensatz dazu hat es wiederkehrend ideologische Versuche gegeben, Geschlechtsrollen umzudefinieren. Mal waren das scholastische Theologen, später Humanisten, zuletzt Dekonstruierer und Genderisten. Ein Weltbild aber, das handgreiflich mit der Wirklichkeit kollidiert, kann sich nicht dauerhaft durchsetzen.

Lesen Sie gern weiter in:

Die obigen Abbildungen sind dem Buch entnommen. Ihre Fußnotennachweise der Bilder finden sich im Buch.


[1] Edith Ennen, Frauen im Mittelalter, 1987, S.33.

[2] Jochen Barte, Die Frau im Sachsenspiegel, Legal Tribune Online 24.2.2011.

[3] Sabrina Ebbersmeyer, Lateinische Werke über Frauen in deutschen Übersetzungen der Renaissance, 2003.

[4] Juan Luis Vives, De institutione feminae christianae (1524), 40.

[5] Nach der deutschen Druckfassung von 1524, S.13 f.

[6] Henri Corneille Agrippa De nobilitate et praecellentia foeminei sexus. Edition critique d’après le texte d’Anvers 1529, Genève 1990, zit. nach Ebbersmeyer a.a.O. Fn.74 f.

[7] Aristoteles und Phyllis ist eine mittelhochdeutsche Märe, die von einem unbekannten höfischen Dichter verfaßt wurde. Dargestellt wird das Motiv des Weisen, der durch eine schöne Frau verführt, überlistet und bloßgestellt wird.

[8] Keil, Gundolf, Die Frau als Ärztin und Patientin, in: Appelt (1986) S.157-211, in: Appelt, Heinrich (Hrg.), Frau und spätmittelalterlicher Alltag, Internationaler Kongreß Krems an der Donau, 2. bis 5.10.1984. (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte, Bd. 473. – Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs, Nr. 9), Wien 1986, S.205 und dort Fn.211 f.

[9] Leporin, Dorothee Christiane, später verheiratete Erxleben, Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das Weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, Berlin 1742. § 17 Einleitung S.3, § 1.

[10] La Mettrie, Julien Offray de, Discours sur le bonheur, 1748/51, Über das Glück, oder: Das höchste Gut (»Anti-Seneca«), Hrg.Bernd A. Laska, Nürnberg 1985 (24), S.18 f.

[11] Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.281.