Jede Epoche hat ihre eigene Metaphysik. Nicht jede Religion paßt zu jedem Gesellschaftssystem. Je nach ökonomischen, demografischen und historischen Rahmenbedingungen wandelt sich der zeitbedingte Inhalt des Glaubens.
Strukturell ändert sich dabei aber nichts: die Funktionsweise jeder Gesellschaft benötigt ideelle Rahmenbedingungen, die ihrerseits genau diese und keine andere Funktionsweise begründen und in Gang setzen.[1]
Solange die materiellen Lebensbedingungen sich nicht ändern, können solche Systeme über Jahrhunderte stabil bleiben. Umbrüche wie die industrielle Revolution aber machen die „spirituellen“ Grundlagen alter Ordnungen brüchig. Das raubt der bisherigen Herrschaft die ideelle Legitimität: den Glauben der Beherrschten daran, daß genau diese Regierung mit universell geltenden Regeln in Einklang herrscht.
Das soll Religion sein?
Folgen die Fridays-for-future-Kinder einer Religion? Gibt es überhaupt einen strukturellen Unterschied etwa zu Fronleichnamsprozessionen?
Wer konfirmiert oder gefirmt ist und in dem Glauben aufwuchs, man sei eben entweder kirchentreu religiös oder gottlos, neigt zu einem engen Verständnis, was Religion ist. Objektiv ist der Glaube an einen biblischen Gott aber nur eine von vielen Spielarten der Religiosität. Wer etwas als heilig anbetet oder verehrt, ist religiös, ob das ein persönlicher Gott ist, der Weltgeist, eine spirituell geisterfüllte „Schöpfung“ oder was auch immer. Im engeren Sinne Religion ist jeder Glaube an etwas den Menschen kategorial Übergeordnetes, das als heilig verehrt werden und dem man gehorchen muß.
In einem weiter gefaßten, funktionalen Sinn gehört Religion aber in den Rahmen aller Vorstellungen, das Universum sei von ideellen Gesetzen erfüllt, die wir im gesellschaftlichen Bereich zu beachten hätten. Weil sie keine physikalische, also in unserer materiellen Welt auffindbare Wurzel haben, nennt man sie metaphysisch.
Jede Epoche hat ihren Zeitgeist: die Summe aller ideellen, das Sozialverhalten und die gesellschaftlichen Verhältnisse prägenden Vorstellungen. Die Masse der Menschen nimmt sie unhinterfragt als Selbstverständlichkeiten hin, als Maßstab ihrer gesellschaftlichen Normalität.
Umbruchzeiten
Es gab eine Reihe historischer Umbrüche, in denen tiefgreifenden Veränderungen der Lebensverhältnisse ebenso grundlegende Neuausrichtungen des Weltbildes folgten. Die Transformation der frühmittelalterlichen Stämme-Gesellschaft in das Universalität beanspruchende karolingische Imperium besiegelte den Untergang der vorchristlichen Gedankenwelt. Dem neuen Glauben an einen Schöpfergott, der die Welt geschaffen hat und das Himmelreich regiert, entsprach ein Verständnis menschlicher Herrschaft mit einem alles regierenden König oder Kaiser an der Spitze.
Im Einklang mit dieser Vorstellung legitimierten sich über weitere tausend Jahre Monarchien, zuletzt „von Gottes Gnaden“. Der Monarch der frühen Neuzeit regierte auf Erden so souverän wie Gott im Himmel. Es gehört „zur Soziologie des Souveränitätsbegriffes jener Epoche, zu zeigen, daß der historisch-politische Bestand der Monarchie der gesamten damaligen Bewußtseinslage der westeuropäischen Menschheit entsprach und die juristische Gestaltung der historisch-politischen Wirklichkeit einen Begriff finden konnte, dessen Struktur mit der Struktur metaphysischer Begriffe übereinstimmte. Dadurch erhielt die Monarchie für das Bewußtsein jener Zeit dieselbe Evidenz, wie für eine spätere Epoche die Demokratie. […] Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet.“[2]
Das Rad der Geschichte drehte sich und brachte im 19. Jahrhundert ein aufgeklärtes besitzendes Bürgertum auf seine Sonnenseite. Gott waltete jetzt nicht mehr persönlich: In seiner perfekte Schöpfung bildeten antagonistische Kräfte und Prinzipien ein ausgeglichenes, in sich harmonisches Ganzes, geradezu wie ein gut geöltes Uhrwerk, in dem kein Rädchen fehlen darf. Gerade so stellte sich der Liberalismus als geistige Hauptströmung der Epoche ein Staatswesen vor: Wie Gott nicht mehr persönlich regierte, sollte der konstitutionelle Monarch die Gesellschaft sich selbst regieren lassen, wobei dem Bürgertum selbst im Parlament die naheliegende Führung zukommen sollte. Die Metaphysik der Politik bestand im Glauben, durch Diskussion und Parlamentsreden könne so etwas wie gesellschaftlich gültige Wahrheit erzeugt werden; und auf der ökonomischen Seite werde die ungeregelte Kraft des Marktes – wie von unsichtbarer Hand – zum größtmöglichen Wohlstand für alle führen.
Von den Epigonen zu den Postmodernen
Geistesgeschichtlich waren die Kommunisten und Nationalsozialisten des 20. Jahrhunderts Kinder des 19. Beide Ideologien hatten ihre spezifische Metaphysik und stützten ihren unumschränkten Herrschaftsanspruch auf sie. Fruchtbarer für unsere Überlegungen und die Gegenwart ist aber der welthistorische Umbruch zur Massengesellschaft, der zu massenhafter Produktion von Gütern und ihrem massenhaften Konsum führte.
Die traditionelle Religiosität wurde durch den Anspruch von Technik und Wissenschaft verdrängt und alle offene Metaphysik als Obskurantismus verdächtigt. Weltdeutungen erkannte man als nur relativ gültig an, nämlich abhängig vom persönlichen Standpunkt. Wenn aber alle Standpunkte prinzipiell gleichwertig sind, scheidet jede Form der „Verkündung“ einer Wahrheit von oben ebenso aus wie jede Regierung, die sich auf eine solche Wahrheit stützt. Dann bleibt die Demokratie als „Ausdruck eines politischen Relativismus und einer wunder- und dogmenbefreiten, auf den menschlichen Verstand und den Zweifel der Kritik gestützten Wissenschaftlichkeit.“[3]
Diesen Anspruch erheben die europäischen und amerikanischen Eliten bis heute und stützen ihre wirtschaftliche und politische Macht auf ihn. Die deutsche Regierungspolitik versuchte vor allem in Merkels Zeit den Eindruck zu vermeiden, auf politischen oder ideologischen Entscheidungen zu beruhen: Lieber wurden diese als „alternativlose“ Sachentscheidungen ausgegeben.
Die öffentliche Debatte wird aber bestimmt durch ideologische Argumente, hinter denen eine in sich kohärente Metaphysik steht. Die Religion ist wiedergekehrt. Sie zeigt sich lediglich in anderen Formen. Die Gleichheit stieg zum religiösen Gebot der Massen auf, als die Epoche des Bürgertums endete: „Das Bürgertum hat Grenzen; es gehört zur Kultur; es umfaßt im besten Sinne alle ihre Zugehörigen, und zwar unter der bezeichnung Volk, populus, demos, wobei Adel und Priestertum Geld und Geist, Handwerk und Lohnarbeit als Einzelbestandteile in ihn eingeordnet werden. Diesen Begriff findet die Zivilisation vor und vernichtet ihn durch den Begriff des vierten Standes, der Masse, der die Kultur mit ihren gewachsenen Formen grundsätzlich ablehnt. Es ist das absolut Formlose, das jede Art von Form, alle Rangunterschiede, den geordneten Besitz, das geordnete Wissen mit Haß verfolgt. Es ist das neue Nomadentum der Weltstädte, für das die Sklaven und Barbaren in der Antike, der Tschudra in Indien, alles, was Mensch ist, gleichmäßig ein flutendes Erwas bilden, das mit seinem Ursprung gänzlich zerfallen ist, seine Vergangenheit nicht anerkennt und eine Zukunft ncht besitzt. Damit wird der vierte Stand zum Ausdruck der Geschichte, die ins Geschichtslose übergeht. Die Masse ist das Ende, das radikale Nichts.“[4]
Dieses Nichts bildet aber kein ideologisches oder metaphysisches Vakuum, sondern beruht auf eigenen Glaubensinhalten.
Der moralisierende Handelsstaat
Seit hundert Jahren wurde der innere Zusammenhang zwischen der „Moral“ eines Staates und seinen ökonomischen Bedürfnissen erkannt.
Arnold Gehlen hat den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der allumfassenden Kosmopolis des Hellenismus und der Ausbildung universalistischer Ideen nachgewiesen. Der in Athen wohnende Phönizier Zenon, ein schwerreicher Händler, hatte die passende Ideologie für den moralisierenden Handelsstaat gefunden: eine universalistische Weltsicht, nach der alle Verwandtschaftsverbindungen und Stammespflichten vor der Tugend zurückzutreten hätten.[5] Was diese Tugend im einzelnen forderte, erläuterten gern die Philosophen, und so hatte jeder seinen Vorteil. Hier entstand der Gedanke eines menschheitsumspannenden Naturrechts. Es besagt, daß allen Menschen „von Natur aus“ moralische Prinzipien innewohnen, nach denen jeder sich richten soll. Der konkrete Inhalt dieser metaphysischen Normen richtet sich nach den jeweiligen Bedürfnissen.
Heute steht der „zivilisierte“ Teil der Welt unter dem Primat vielfältiger Bedürfnisbefriedigungen. Ihnen dient in der Epoche der Massengesellschaften eine Ökonomie, die unablässig Ressourcen in verkäufliche Waren verwandelt. Seit Jahrzehnten erweckt die deutsche Innenpolitik den Eindruck, Politik reduziere sich auf die „gerechte“ Aufteilung erwirtschafteter Güter, also auf den Massenkonsum als notwendige Kehrseite der Massenproduktion. Eine solche Ökonomie bedarf für ihr reibungsloses Funktionieren einer Reihe mentaler Voraussetzungen:
Um wirtschaftliches Wachstum sicherzustellen, sollte die Masse der Menschen konsumbereit sein. Während die Askese zum Unwert absinkt, fördert die hedonistische Bereitschaft zum materiellen Lebensgenuß die Produktion. Eine solche Ökonomie verschlingt wie ein schwarzes Loch ständig mehr natürliche Ressourcen als wir besitzen. Eine weitgehende friedliche Welt ohne störende Zollgrenzen öffnet dem nötigen Nachschub an materiellen und personellen Ressourcen die Türen. Die Steigerung des Bruttosozialprodukts eines schrumpfenden Volkes benötigt nicht zuletzt auch ständig einwandernde neue Verbraucher.
Die soziologische Methode sucht für bestimmte Ideen und intellektuelle Gestaltungen den typischen Personenkreis, der aus seiner sozialen Lage heraus zu bestimmten ideologischen Resultaten kommt.[6] Im Perpetuum mobile aus Massenproduktion und Massenkonsum stimmen die Interessen der hedonistischen Massen in einem entscheidenden Punkt mit denen der pruduzierenden Industriellen überein, nämlich eben diesen Kreislauf aufrecht zu erhalten.
Die Postmoderne
Es beruht nicht auf Zufall, daß intellektuelle Exponenten der Massengesellschaft genau diejenigen Tugenden für unverzichtbar halten, deren Massenproduktion und -konsum bedürfen. In Verschiß geraten Heroismus, Vaterlandsliebe und die Bindung ans Partikulare. Gefordert werden Kosmopolitismus, das Tolerieren des Fremden im eigenen Land und die Bereitschaft, die innerstaatlichen und internationalen Spannungen ausschließlich mit finanziellen Machtmitteln auszutragen, was als „friedlich“ verklärt wird.
Die Metaphysik aus dem postmodernen Instrumentenkasten ist nicht etwa so restlos skeptisch und aufgeklärt, wie sie vorgibt. Sie enthält ein vollständiges Glaubenssystem, das den materiellen Bedingungen der Massengesellschaft und ihrer Ökonomie entspricht. Es bildet eine ideologisch sublimierte Projektion von Einstellungen und Mentalitäten, die für die massenhaft konsumierende und permissive Massendemokratie kennzeichnend sind – vom apolitischen Hedonismus bis zur resignierten Gleichgültgkeit und zur intellektuellen Narrenfreiheit.[7]
Die Ökonomie der westlichen Massengesellschaft und ihr metaphysischer Zeitgeist bedingen einander wechselseitig. Sie bilden gemeinsam ein selbstreferentielles System. Ein solches System kreist immerfort nur um sich selbst und bleibt im Kern seiner Funktionen von außen unbeeindruckt. Erst die räumliche Begrenzung der erreichbaren Ressourcen dieser Welt setzt ihm eine ultimate Grenze. Diese ist den großen Wirtschaftsführern klar. Weil ein Krieg um Rohstoffe keine sinnvolle Lösung wäre und das Problem nur verschieben würde, muß der Wirtschaftskreislauf sich umstellen. Ohne nachhaltige und schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen wird sich die Welt in einen Müllhaufen verwandeln.
Der große Reset
Die Pläne und Absichten maßgeblicher Wirtschaftsführer zu einem Great Reset tragen dem Rechnung. Sie sollen den Wirtschaftskreislauf und damit auch die Macht der großen Konzerne langfristig sichern. Für Deutschland bedeutet das aus Sicht von Männern wie George Soros, Klaus Schwab und vielen anderen tendenziell die Aufgabe der Nationalstaatlichkeit, unseres Selbstverständnisses als ethnisches Volk und die völlige Einbindung in den internationalisierten Warenkreislauf als bloßer Wirtschaftsstandort, angefüllt mit beliebigen Verbrauchern aus aller Herren Länder.
Weil sich kein politisches oder ökonomisches System dauerhaft gegen den Widerstand seiner Regierten halten kann, muß dieser durch ideologische Umorientierung gebrochen werden. Diesem Zweck dienen diverse, von Leuten wie Soros finanzierte Institutionen („NGOs“) in diversen Staaten. Mit der nötigen finanziellen Ausstattung fördern sie seit Jahren jede Bestrebung, die unseren Staat, unsere demokratischen Institutionen, unseren Selbstbehauptungswillen und unsere Identität untergräbt.
Ziel des Umwandlungsprozesses ist eine multikulturelle, internationalisierte Gesellschaft. Sie wird nicht mehr aus Deutschen bestehen, sondern aus einer Mischbevölkerung ohne eigenständige Identität. Sie wird keine gemeinsame Kraft aufbringen können, sich als demokratisch verfaßtes Ganzes zu verstehen und zu verteidigen: eine amorphe Masse bloßer Konsumenten und weniger Dienstleister, leicht lenkbar durch Reklame, mediale Meinungskampagnen und ideologische Beeinflussung im jeweils gewünschten Sinn.
Die Methode der weltanschaulichen Umorientierung besteht darin, die herkömmlichen Glaubensgrundlagen der Bevölkerung zu entfernen und ihr neue einzupflanzen. Die Liebe zum eigenen Volk gilt als rassistisch und wird durch den Glauben ersetzt, globale Vermischung bis zur Unterschiedslosigkeit sei moralisch anzustreben, wenigstens aber hinzunehmen. Um keinen organisierten Widerstand aufkommen zu lassen, werden Hingabe und Opferbereitschaft zu kollektiven Phänomenen als faschistisch gebrandmarkt und ein individualistischer Denkstil gefördert. Zugleich wird „antifaschistischer“ Haß auf die moralisch scheinbar Zurückgebliebenen geweckt, die sich der neuen Religion verweigern.
Flankiert wird die mentale Umpolung durch durch die Förderung multiethnischer Einwanderung. Diese führt nach und nach zu einer ausgetauschten Bevölkerung. Diese wird, so die Erwartung, aus eigenem Interesse und Bedürfnis das installierte System bejahen.
Keine Verschwörung
Die Konzerngewaltigen der westlichen Welt haben sich nicht gegen die Völker verschworen. Sie sind ein aus ihren jeweiligen Gesellschaften herausgewachsener Teil von ihnen. Was sie vereint, ist ihre persönliche Interessenlage.
Diese deckt sich insoweit mit derjenigen der Massen, weil diese schon zur Zeit der Römer nach Brot und Spielen verlangte und auch heute erst das Fressen will, dann die Moral. Willig nehmen sie jede Moral an, die ihnen weiteres Fressen sichert. In Deutschland stürzte sich eine ganze Generation über den Trümmern ihrer früheren Ideale in Freß- und Konsumwellen. Widerstandslos läßt sie sich täglich von Fernsehmatadoren eine fremdbestimmte Moral einträufeln, derzufolge ihr eigenes Volk wertlos ist, Nachkommen schlimmer Verbrecher und selbst immer unter Verdacht, wohingegen alles Fremde gut, mindestens aber interessant und schützenswert ist. Sie glauben die Wahrheiten aus ihrer Glotze so treu wie ihre Vorväter den Mahnungen von der Kanzel und ihre Eltern denen aus dem Volksempfänger.
Das selbstreferentielle System aus Wirtschaft und Moral stabilisiert sich ständig aus sich selbst heraus. Mehrheitsfähige gesellschaftliche Einstellungen trugen eine Ökonomie, die keine Wahrheiten außer ökomischen neben sich duldet. Die Lenker dieser Ökonomie schwangen sich zu Meinungslenkern auf und erzeugen durch ihnen gehörende Presse, Medien und NGOs fortlaufend die inneren Haltungen der Bevölkerung, die das System erfordert. Halb zog es das Volk, halb sank es hin. Mythen, Religionen und Ideologien sind im Grunde kollektive weltanschauliche Entscheidungen.[8]
Die Entwicklung vollzog sich in der Epoche globaler Bevölkerungsexplosion mit innerer Folgerichtigkeit. Entwickeln kann sich immer nur etwas, was zuvor, noch „aufgewickelt“, im Keim schon vorhanden war. Nutznießer und Drahtzieher wie Soros, Schwab, Gates oder Zuckerberg handeln nicht heimlich, sie sind keine Verschwörer und nicht „böse“. Sie sind nur die Exponenten einer Epoche, die ihre Ideologie, ihre ureigene Metaphysik, im Rahmen ihrer materiellen Funktionsvoraussetzungen herausgebildet hat.
Der neue Glaube
Wer seine Interessen sozial wirksam einbringen will, gibt sie als Ausdruck über dem Menschen stehender – metaphysischer – Gesetzmäßigkeiten aus. Er sieht in dem Augenblick seine Macht vermehrt, in dem er nicht mehr auf die eigenen, notwendig begrenzten Kräfte allein angewiesen ist, sondern seine Tätigkeit in Verbindung mit den höheren Kräften setzt, die in seinem Weltbild obwalten.[9] Was diese fordern, konkretisiert sich in komplexen Ideologien. Ihnen liegt immer ein Glaube an nicht hinterfragbare – metaphysische – Axiome zugrunde.
So glaubt man denn heute an den Pluralismus[10], der Systemeigenschaft der industriellen Massengesellschaft. Man glaubt an „Selbstverwirklichungsideologien, die sehr oft mit allerlei Mystizismen oder Exotismen verflochten sind und den Massenkonsum des massenhaft Produzierten fördern, indem sie frühere ethische Hemmungen aus dem Weg schaffen.“[11] Man glaubt an die metaphysische Gleichheit aller Menschen und verteufelt jene Störenfriede, die kleinlaut auf gewisse empirische Unterschiede hinweisen. Es gehört zu den klaren Merkmalen eines religiösen Glaubens oder metaphysischer Wahnvorstellungen, die Realität zu verdrängen und sich an Hirngespinsten zu orientieren.
Folgerichtig glaubt man an das Abstraktum eines Menschen an sich, dem das vor Zeiten nur Gott zukommende Attribut der Würde zugemessen wird. Nicht nur „alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.“[12] Alle ideologischen Begriffe und Phrasen unserer Zeit sind ohne ihre theologischen Vorläufer nicht erklärlich, was ihren religiösen Kern enthüllt. Udo Di Fabio, 1999-2011 Richter am Bundesverfassungsgericht, identifizierte als materiellen Kern der Idee und den Sinn des Begriffs „Würde des Menschen“ die säkularisierte christliche Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen.[13]
„Der moderne Ursprung dieser radikalen Idee liegt auf der Hand. Der Humanismus, repräsentativ verewigt durch die kleine Schrift Pico della Mirandolas über die Würde des Menschen, beginnt die Konstruktion seines Ideengebäudes mit einer im Grunde nur notdürftig kaschierten Gotteslästerung. Die biblische Offenbarung, wonach jeder einzelne Mensch ein Ebenbild Gottes sei, wird von seinen transzendenten theologischen Wurzeln und den praktischen Demutsermahnungen getrennt. Die jeweils einzelne Gottesebenbildlichkeit wird zur Identität des Menschseins schlechthin gemacht, wenn jeder Mensch auf Erden in den Rang eines gottgleichen Schöpfers seines Schicksals, im Range gleich.“[14]
Anstelle des deutschen Volkes, das jetzt als bloßes Gedankenkonstrukt gilt, tritt mit religiösem Rang „die Menschheit“. Linkshegelianern war schon im 19. Jahrhundert klar, daß diese jetzt an die Stelle Gottes treten müsse, und sprachen es nicht weniger entschieden aus als Proudhon.[15] Auch für unsere Globalisten vom Schlage eines Soros oder Schwab bietet sich „die Menschheit“ als Objekt ihrer „Rettung“ ebenso an wie für ihre Fußtruppen auf unseren Straßen und ihre Prozessionen für die Menschheit, das Weltklima oder für „die Natur“. Wer im Namen „der Menschheit“ auftritt, will allerdings betrügen, weil er seine Gegner damit implizit aus eben dieser Menschheit ausgrenzt.
Dieses Schicksal sieht der neue Glaube für alle diejenigen Ungläubigen vor, die ihn bekämpfen. Sie suchen aus der stickigen Atmosphäre der neuen Konformität auszubrechen. Ihre Macht ist gering. Als vereinzelte freie Denker beugen sie sich nicht dem ideologischen Druck.
Der Kampf ist bereits fast entschieden. Die gesellschaftlichen Machtmittel befinden sich fest in Händen der neuen Gläubigen. Es gibt da nur noch ein paar Partisanen des Geistes, die ihm publizistische Nadelstiche versetzen, Waldgänger gegen den Zeitgeist und Künstler wie Alan Kopera, die den Wert des unverwechselbaren Individuums ästhetisch herausfbeschwören. Sie bewahren die Erinnerung an unsere Geschichte und an alternative Gesellschaftsmodelle, in denen Liebe und Treue zu Familie, Heimat und Vaterland als ethische Werte, Geld und Konsum aber als schnöder Mammon galten.
[1] Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.12: „Die Formen des Ideellen in ihrer Gesamtheit bilden zwar, wenn sie an sich betrachtet werden, das Pendant der materiellen Funktonsweise der Gesellschaft, gleichzeitig stellen sie aber einen Aspekt oder einen Teil eben dieser Funktionsweise dar.“
[2] Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, unverändert 4.Aufl.1985, S.59.
[3] Hans Kelsen. Archiv für Sozialwissenschaft 1920, S.84, sinngemäß zitiert von Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, unverändert 4.Aufl.1985, S.55.
[4] Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918 in zwei Bänden, hier zitert nach der einbändigen Ausgabe nach dem Druck von 1923, Anaconda-Verlag 2017, ISBN 978-3-7306-0453-3, S.1207.
[5] Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, S.30.
[6] Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, unverändert 4.Aufl.1985, S.57.
[7] Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.5.
[8] Panajotis Kondylis, Macht und Entscheidung, 1984, S.43.
[9] Panajotis Kondylis, Macht und Entscheidung, 1984, S.33.
[10] Zum konkreten massendemokratischen Ursprung und Charakter des Pluralismus: Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.8.
[11] Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.56.
[12] Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, unverändert 4.Aufl.1985, S.49.
[13] Udo Di Fabio Die Kultur der Freiheit, 2005, S.114.
[14] Di Fabio a.a.O., S.98.
[15] Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. 1934, unverändert 4.Aufl.1985, S.65.
Schreibe einen Kommentar