Bauern sind nicht die Dümmsten
Ein Bauer würde niemals den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren. Wer mit den Gummistiefeln im Mist steht, verliert nicht leicht die Bodenhaftung an das Irdische. Nur durch beherztes Zufassen kann er sein Tagewerk vollenden. Was seine Kuh ausscheidet – weiß er – fällt nach unten.
Wer sich hingegen nach mühsam geschafftem Abitur an das weitaus schwierigere Werk einer Geisteswissenschaft macht, ist höchst gefährdet. Muß wirklich alles nach unten fallen? Ist Gravitation nicht höchst ungerecht? Und sollte man sie nicht besser anders konstruieren?
Warum können Frauen nicht fliegen?
Wäre Gravitation gerecht, könnten Frauen fliegen. Es beginnt im Kopf des blassen Studenten zu denken: „Ist nicht die ganze Welt so ungerecht zu mir?“ Aus Kindern werden Leute, aus solchen großen Kindern manchmal auch Politiker. Die neueste bärbäckische Tollheit hörte ich gestern im Radio: Es gebe leider noch keine „Klimagerechtigkeit“!
Na so was. Wie sind wir Menschen doch arm dran! In den gemäßigten Breiten und nördlich von uns leiden Menschen an mangelnder Sonneneinstrahlungsgerechtigkeit. Ihnen hilft nur ein Urlaub im sonnigen Süden. In der Sahara gibt es leider keine Regengerechtigkeit. Und selbst die menschlichen Gehirnfunktionen scheinen sehr ungleich verteilt zu sein.
O sancta simplicitas! Unser Kuhbauer hat es da besser. Er muß sich nicht täglich aufs neue in den weichen Sessel setzen und nachgrübeln, wie er die Realität durch reines Denken an sich verändern könnte. Ach, als das Wünschen doch noch geholfen hat! Unser geistig Halbstarker kommt beim Blick in die Ferne ins Grübeln. Was tun? Kann man sich nicht einfach eine besser Welt ausdenken?
Er sucht seine Weisheiten nicht mit beiden Beinen auf der Erde, sondern am Himmel zu erschauen.
Sokrates hingegen bleibt mit beiden Beinen auf der Erde und widmet sich seinen höchst nützlichen Gedankengängen ruhigen Schritts. […] Er war es, der die menschliche Weisheit vom Himmel herunterholte, wo sie ihre Zeit nur vergeudete, um sie dem Menschen zurückzugeben.
Michel de Montaigne, Essais, 1588, 3. Band, 9.
…umso schlimmer für die Tatsachen!
Statt in der Wirklichkeit zu arbeiten, muß ein Teil unserer studierenden Jugend sich an der Wirklichkeit abarbeiten. Hieß es nicht, wenn die Realität dem frommen Wunsch entgegenstehe: Umso schlimmer für die Tatsachen!
Man kann ihnen ja zu Leibe rücken, indem man sie dekonstruiert. In einer gewissen Nachpubertätsphase platzen manchem vor Aufregung noch die Eiterpickel im Gesicht, wenn er an das andere Geschlecht denkt. Wird man dem Ernstfall gewachsen sein? Ein Blick in den Spiegel kann in Einzelfällen die Selbstzweifel steigern.
Wenn es aber kein allgemein anerkanntes Geschlechtsvorbild gäbe? Wenn jeder bloß sein eigenes Original ist, ohne ein ganzer Mann oder eine attraktive Frau sein zu sollen, hätte die gequälte liebe Seele Ruh. „Queere“ Theorien kommen da gerade passend. Wer aussieht wie ein blasser Stubenhocker oder eine ausgemolkene Ziege, kann sich trösten: Männer und Frauen gibt es gar nicht – alles queer, und bitte immer hübsch divers!
Besonders befällt diese Krankheit die Männer im Dämmer der Studierstube, die im Bücherstaub […] aufgewachsen sind und einsam ihren Spekulationen nachhängen. Bei denen gilt als Todfeind, wer ihre Überzeugungen nicht als Orakelsprüche nimmt.
Samuel von Pufendorf, De statu Imperii Germanici, 1667, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Hrg.Horst Denzer, Frankfurt/M.1994, S.249.
Unsere Bäuerin dagegen macht mit diversen Pflanzen in ihrem Gemüsegarten kurzen Prozeß: Winden und Disteln gehören hier nicht hin, sonst ist im Winter Schmalhans Küchenmeister. Achselzuckend wirft sie auf den Mist, was hier nicht hingehört. Sie hält auch nichts von Zauberworten, von einem gebrabbelten Abrakadabra: Davon wird ihr Kohl nicht fett. Seine Natur wandelt sich nämlich ebensowenig wie die menschliche.
Wie die Parfümmacher das Öl mit weit hergeholten Zutaten verfälschen, so die Philosophen die Natur mit einer derartigen Vielzahl weit hergeholter Argumente und Diskurse, daß sie darüber wandelbar geworden ist und nun in jedermanns Belieben steht.
Montaigne, Essais, 3. Band, geschrieben 1589, 12. S.530.
Unsere Natur steht eben nicht in jedermanns Belieben.
Kalte, graue Begriffsnetze
Wer aber noch keinen Handschlag im Leben richtig gearbeitet hat, keine abschlossene Ausbildung hat und jetzt Deutschland regieren soll, glaubt noch an die Macht des Wortes. Es muß nur das richtige sein. Notfalls kann ja neue Zauberworte erfinden. Die Wirklichkeit wird sich dann bestimmt danach richten: klimaneutral, queer, divers, und natürlich „gerecht“ in diversen Variationen. In der Realität benötigen alle diese Begriffe aus der schönen neuen Welt keinen Anker. Sie eignen sich aber bestens, um politische Machtansprüche zu erheben.
Mit Absicht wirft man, wie Nietzsche formulierte, kalte, graue Begriffsnetze über uns, mit denen man uns einzuwickeln versucht. Wir müssen uns den absichtlich verbreiteten Staub aus den Augen wischen und wie der kleine Junge im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern erkennen und ausrufen, daß der Gegner nackend dasteht, daß da überhaupt nichts ist außer uns eingeimpften Wahnvorstellungen.
Normative Killerphrasen
Es hat gute, alte Tradition, Worte zu erfinden und so zu tun, als gebe es wirklich, was sie bezeichnen: Atlantis, Winnetou, Mickey Mouse, Adam und Eva, alles fein ausgedacht. Spannend wird es bei leeren Worten, aus denen unmittelbar normative Befehle folgen: Sünder, Buße, Gerechtigkeit nebst allen ihren Wortgeschwister und Anverwandten. Heute werden sie gewöhnlich in der Giftküche einer neomarxistischen Gedankenwelt gebraut, die sich chamäleonhaft an die Erfordernisse des Profitstrebens und des Finanzkapitalismus anschmiegt: Westliche Staatengemeinschaft, Weltgesellschaft, Diversität, Humanität.
Und natürlich immer wieder die „Gerechtigkeit“ als Universalparole: Was immer ihren Zielen widerstrebt, ist „ungerecht“: Daß man ohne Prüfung und Abschluß weniger verdient als mit: ungerecht. Daß fleißige Leute mit Ersparnissen besser dastehen als faule: ungerecht. Daß es hier regnet, am Südseestrand aber nicht: ungerecht. Und daß es in der Sahel-Zone nicht viel regnet, natürlich auch. Mein Nachbar hat sich nicht impfen lassen und ist fit wie ein Turnschuh, ich habe aber Impfschäden: ungerecht. Oh, wären doch alle gleich!
„Gerechtigkeit“ ist die Lieblingsphrase der zu kurz Gekommenen. In ihrem Eigeninteresse fordern sie für sich „ein“, was alle anderen auch haben.
Wem die „Deutung der Orakel der Gerechtigkeit anvertraut ist“, wird erfahrungsgemäß „diese Göttin bewegen können, nichts zu antworten, was wider den eigenen Vorteil ist.“
Samuel von Pufendorf, De statu Imperii Germanici, 1667, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Hrg. Horst Denzer, Frankfurt/M.1994, S.165.
Manche legen sich auf die faule Haut und rufen gewissermaßen in alle vier Himmelsrichtungen, wie ungerecht es doch ist, daß niemand kommt, sie bedient, füttert und den Po pudert. Daß die reale Welt so nicht (lange) funktioniert, ist vielleicht dem einen oder anderen klar. Doch: „Nach mir die Sintflut!“ Viele aber glauben inbrünstig an ihnen vorgekaukelte Hoffnungen und Trugbilder und verwechseln das Unerfüllbare mit der Realität. Sie erträumen sich vielleicht ein friedliches, klimaneutrales, gerechtes Schlaraffenland für alle.
Ich habe zu meiner Zeit schier unglaubliche Beispiele einer grenzenlosen, blinden Bereitwilligkeit der Völker gesehen, ihr Glauben und Hoffen von ihren Herren beliebig dorthin führen und verführen zu lassen, wo es diesen dienlich war – unberührt davon, daß hundertmal Enttäuschung auf Enttäuschung folgte und von den ihnen vorgegaukelten Wahnbildern eins nach dem anderen zerplatzte. Da erstaunt es mich gar nicht mehr, daß sich Menschen schon vor den Bauernfängereien des Apollionius von Tyana und Mahammeds hereinlegen ließen. Sinne und Verstand solcher Leute werden von ihrer Leidenschaft völlig erstickt.
Montaigne, um 1588/89, Buch 3, 10. Kap., S.510.
Offenbar ist seit jeher Bestandteil und Merkmal unserer aller Realität, daß die große Masse ihr mental am liebsten den Rücken zudreht und in die Wolken guckt.
Völker sind Bestandteile der Realität
Es kann nur eine einzige, unteilbare und objektivierbare Realität geben. Diese sieht allerdings verschieden aus, betrachtet aus der Sicht des Storchs oder der Perspektive eines Frosches. Beide Sichtweisen sind Teil des einen, alles umfassenden realen Kosmos. Auch Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen sind Teil der Realität, wenn auch im selben Augenblick ganz verschiedene im Kopf des Storchs und des Frosches.
Alle Ideologien und Weltdeutungen sind, wie alles Denken und alles Ausgedachte, Bestandteil der Wirklichkeit, wenngleich nur im Kopf. Wenn viele Menschen sie miteinander teilen und sich nach ihnen als sozialen Regeln richten, werden sie als soziale Tatsachen zum Teil des realen Lebens. Wenn Menschen regelmäßig zur Kirche gehen und ihr Leben nach deren Ideen ausrichten, ist das ein Faktum, ohne daß es auf die Realität ihres Glaubensinhaltes ankäme.
Darum ist auch die Existenz von Völkern und Kulturen eine real exstierende soziale Tatsache, solange die Menschen ihre Zusammengehörigkeit selbst so sehen. Auch die Liebe zu bestimmten Mitmenschen, dem eigenen Verein, dem Volk samt seiner Geschichte, Sprache und Kultur ist Teil der Wirklichkeit und wirkt ins soziale Leben hinein. „Ontologisch“ steht es allerdings nicht auf derselben Stufe wie unsere Körperchemie und -biologie. Und doch entfaltet kollektives Denken und Fühlen eine die Weltgeschichte treibende Kraft.
Das versteht eine Eva Wiegmann nicht, wenn sie kritisiert:
In einer Art Überführung konstruktivistischer Ansätze in neurealistische, werden auch Ideengebilde – insbesondere jenen die »aufgezeichnet und dokumentiert« sind und dadurch eine »Unabhängigkeit vom Bewußtsein« erlangt haben – zu Gegenständen erklärt, da ihre »Bedeutung nicht im Kopf liegt, sondern in der Welt«. Demnach können im Prinzip vollständig disparate Denkmodelle (etwa essenzialistische und hybride Kulturbegriffe) denselben ontologischen Statuts haben. Dieser Umstand wird allerdings in der rechtsintellektuellen Rezeption ignoriert, die aus den Postulaten des philosophischen Neuen Realismus vor allem den ontologischen Status der abendländischen Kultur deduziert.
Eva Wiegmann, »Das Wort ›Realismus‹ hat für den Konservativen einen guten Klang«, in: Rolf Parr u.a. (Hrg.), Neue Realismen in der Gegenwartsliteratur, 2006, S.103 ff. (107).
Alles Geschwurbel dekonstruktivistischer Zersetzungsideologen zielt darauf ab, unser Volk als Teil der historischen Realität und als bestehende soziale Tatsache zu zerstören, aus unseren Köpfen und Herzen zu tilgen, ins Dunkel zu ziehen und im Hinterhof der Geschichte zu verscharren.
Jeder Blogbeitrag hier greift einen Einzelaspekt auf und setzt dabei viele Denkgrundlagen bereits voraus. Wer etwa innig an Seelenwanderung oder die reale Existenz von Donald Duck glaubt, wird hier schon im Grundsätzlichen widersprechen. Lesen Sie dieses Grundsätzliche gern hier:
Das Vermächtnis Apollons
Uwe Lay
Ein paar kleine Anfragen zu diesem sehr gehaltvollen Beitrag:
Was sieht ein Bauer, wenn er einen Baum sieht? Einen Stapel Brennholz, den er aus dem gefällten Baum herstellen könnte, Bretter für den zu reparierenden Holzzaun? Philosophen bevorzugen das betrachtende Denken: Was ist das wirklich, was ich als einen Baum sehe aber ein Landschaftsmaler sieht nur etwas eventuell für ihn vielleicht Nützliches, weil er eine Landschaft mit Bäumen malen will. Da der menschliche Umgang mit den Dingen der Welt ein praktischer ist, wozu könnte mir das nützlich sein, und kein theoretischer: Was bedeutet hier die Wirklichkeit, so wie sie ist?, ist die Frage nach der objektiven Wirklichkeit eher rein philosophisch.
Der Möglichkeitssinn -vgl R.Musil über den Wirklichkeits- und den Möglichkeitssinn, in: Der Mann ohne Eigenschaften- bringt so erst das hervor, was wir als Menschen die Wirklichkeit nennen. Dies ist aber etwas anderes als die Welt der bloßen Tatsachen.
Wenn ein deutscher und ein russischer Patriot den Ausgang des 2.Weltkrieges betrachtet, sehen da Beide nicht ganz Verschiedenes? Kann eine der beiden Perspektiven nun für sich beanspruchen, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie war und der anderen vorwerfen, sie sähe sie nur ideologisch verklärt? Nicht nur der Möglichkeitssinn bringt das mithervor, was wir so als die Wirklichkeit sehen, auch die verinnerlichte Moral: Wer sieht, wie ein Mensch ermordet wurde, sah nicht einfach eine Tatsache sondern er hat das Gesehene moralisch wertend gesehen, wobei im spontanen Urteil nicht erst die Tatsache gesehen wird, die danach beurteilt wird, denn das Beurteilen formt schon die Wahrnehmung.
Am einfachsten macht es sich der,der seine Sicht der Wirklichkeit für die einzig wahre erachtet, und alle anderen Sichten dann als ideologisch verklärt verurteilt: Nur ich sehe die Tatsachen! Aber sind diese Tatsachen nicht auch schon ein Produkt einer ideologischen Perspektive? Heute behauptet sich der Liberalismus als die Ideologie der Postmoderne durch die Legitimationsformel, daß nur er die Tatsachen sähe, wie sie sind, alles andere wären ideologische Sichtweisen! Aber der Liberalismus ist selbst nur eine Ideologie, der aber keine Nichtideologie entgegensetzbar wäre.
Klaus Kunze
Innerhalb der einen, in sich kohärenten Realität gibt es viele heterogene Akteure mit ihrer notwendigerweise unterschiedlichen Wahrnehmung. Jeder, da haben Sie recht, bewertet die tatsächlichen Geschehnisse anhand seines subjektiven Weltbildes anders.
Daß viele Akteure die Welt nur aus Sicht ihrer subjektivn Ideologie beurteilen können, ist Teil der umfassenden Realität, widerlegt also keineswegs ihre objektive Existenz. Diese ist nicht davon abhängig, wie viele Akteure sie bis zu welchem Punkt durchblicken.
Je verhafteter einer in seiner Ideologie ist, desto schwieriger ist es ihm, diese an sich selbst zu bemerken und den Unterschied zwischen der Realität und seiner Bewertung dieser Realität zu erkennen.
Stellen Sie sich die Realität vielleicht mal als eine riesige Kaverne und die Akteure als Zwerge vor, jeder mit einer Grubenlampe auf dem Kopf, und jeder versucht sich in der Kaverne zu orientieren. Jedes Grubenlicht ist aber etwas anders gefärbt, darum sieht dasselbe Betrachtete für jeden Zwerg ein wenig anders aus.