Dem russischen Herrscher Putin ergeht es wie Wallenstein, über den ein Dichter später treffend schrieb: Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.
Für linksliberale Gutmenschen ist die Sache ausgemacht: Wladimir und Adolf hängen Seit an Seit im Gruselkabinett der Weltgeschichte. Beide verkörpern vorbildlich den Typus des Machtmenschen und Tyrannen, der bedenkenlos über Leichen geht.
Auf der politischen Rechten hingegen herrscht Verwirrung. Da schreibt jemand auf Facebook:
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Mittwoch während eines im nationalen Fernsehen übertragenen Treffens mit seinen Ministern eine strenge Warnung an russische „Verräter“ ausgesprochen. „Das russische Volk wird immer in der Lage sein, wahre Patrioten von Abschaum und Verrätern zu unterscheiden und sie auszuspucken wie eine Mücke, die versehentlich in ihren Mund gelandet ist“, sagte er.
„Ich bin überzeugt, dass diese natürliche und notwendige ‚Selbstreinigung‘ der Gesellschaft unser Land, unsere Solidarität, unseren Zusammenhalt und unsere Fähigkeit, jede Herausforderung zu meistern, nur stärken wird“, schloß er laut Berichten der Nachrichtenagentur Reuters.
Facebook-Beitrag
Solche Töne schmeicheln den Gehörknöchelchen Deutscher, die sich selbst für die einzigen echten Patrioten und alle anderen für Abschaum und Verräter halten. Manche zollen Putin klammheimliche Zustimmung. Schließlich sucht er ein großrussisches Reich neu zu errichten, vielleicht ganz ähnlich dem Großdeutschen Reich. Auch in jenem gab es, was Putin als notwendige Selbstreinigung der Gesellschaft bezeichnet hatte. Wenn Putin seine Großmachtträume noch unter antiliberalen Beschwörungen vorträgt, lauschen ihm manche hingerissen und wünschen sich für Deutschland auch einen kleinen Putin.
Es geht um globale Strategie
In Polen ist man da realistischer. Man sieht Putin nicht etwa als Verteidiger rechter Positionen.
Dabei gilt der russisch-ukrainische Krieg in Polen weniger als eine Auseinandersetzung zwischen westlichem Linksliberalismus und (angeblichem) russischen Konservatismus, wie viele europäische Intellektuelle glauben, die sich aus Abneigung gegenüber dem US-amerikanischen „Wokeismus“ lieber auf die Seite Putins schlagen. Polen weiß nämlich zum einen, daß das real existierende Rußland mit seiner politischen Korruption, seiner wirtschaftlichen Stagnation, seiner implodierenden Orthodoxie, seinem aufstrebenden Islam und seiner Verniedlichung des sowjetischen Totalitarismus alles andere als ein „konservatives“ Musterland ist und weniger die Interessen des „Abendlands“ als vielmehr die skrupellose Ausweitung der eigenen Machtsphäre im Sinn hat.
David Engels, in: EpochTimes.
Putin ist keineswegs unser Freund, ebensowenig wie sein amerikanischer Gegenspieler Biden. Völker haben keine Freunde. Die USA wie auch Rußland benutzen Völker und Volkswirtschaften wie Bauern auf einem Schachbrett. Die USA können nur gewinnen: Sie schoben ihren ukrainischen Bauern auf ein Feld vor, das ihnen eine unmittelbarer Bedrohung der russischen Verteidigungsstellung ermöglichen würde. Diesen Bauern mußte Putin als Gegenspieler unbedingt abtauschen, um seine Stellung nicht – aus seiner Sicht – hoffnungslos eindrücken zu lassen.
Es geht ausschließlich um Strategie. Die westliche Propaganda von der Verteidigung der freien Welt und so weiter bildet das Spiegelbild der östlichen Propaganda, in der das christliche heilige Mütterchen Rußland um seine Existenz ringt. Wie jeder Krieg polarisiert auch dieser die Gemüter. Die meisten fallen auf die eine oder andere Seite der Propaganda herein.
Den Amerikanern auf den Leim gegangen
Wo also steht für uns der Feind? Wir erkennen ihn daran, daß seine Existenzweise mit unserer eigenen nicht koexistieren kann, ohne daß die eine oder die andere in ihrem Kern vernichtet wird. Lassen wir uns nicht von „Haß und Gunst“ verwirren. Wir Deutsche und an unserer Seite die mit uns historisch eng verbundenen europäischen Völker sind – global betrachtet – nicht von Freunden umgeben. Wir werden von zwei Feinden in die Zange genommen: den USA und Rußland. Wir sind Bauern, die man auch mal ohne zu zögern opfern kann.
Es waren strategische Entscheidungen der USA, die Ukraine nicht zu lassen, wie sie war, sondern als neue Bastion „des Westens“ aufzubauen. Dahinter stehen Interessen, ihren Finanzkapitalismus global durchzusetzen und die Welt mit den sanften Methoden der Geldmacht zu lenken. Indem sie die Ukraine zum Stachel im Fleisch der Russen machten, konnten sie nur gewinnen: Ließ Putin das zu, nahm er eine geostrategische Nischenexistenz Rußlands in Kauf, in allen vier Himmelsrichtungen umgeben von US-Basen oder Vasallen. Griff er aber zu den Waffen, konnte er politisch nur verlieren: Sofort scharten sich die Europäer zusammen wie ein Hühnerhaufen, wenn der Habicht kommt, und unterwarfen sich der US-Führung. Strategisch ging Putins Schuß in vielfacher Weise nach hinten los. Er hat die Lage in Europa und in der Ukraine falsch eingeschätzt. Und die nicht überzeugende Kampfkraft seiner Armeen haben US-Strategen offenbar vorher besser vorausgesehen als Putin selbst. Er hat seine militärische Macht überschätzt, die Entschlossenheit der Ukrainer unterschätzt und ist den USA auf den Leim gegangen.
Rein zufällig brach schon des öfteren plötzlich ein Krieg aus, wenn die USA gerade mit einer Wirtschafts- oder Finanzkrise zu kämpfen hatten. Natürlich waren sie immer die Guten – zumindest aber die besseren: Schachspieler.
Die USA sind keine Freunde der europäischen Völker. Den Machtambitionen ihres global agierenden Finanzkapitalismus stehen alle Völker und Staaten tendenziell im Weg. Ihre angestrebte Weltordnung soll nur noch der Macht des Geldes folgen, also derjenigen Menschen und Menschengruppen, die über dieses Geld verfügen. Finanzoligarchen gibt es nicht nur in der Ukraine und Rußland, sondern in den USA schon viel länger. Während Rußland den Völkern nur ihre Freiheit raubt, rauben sie ihnen die Seele und treiben sie als Völker der Auflösung als multikulturelle Verbrauchermassen entgegen.
Und der Leim der Russen?
Wer sich dagegen Putins Rußland als ideologischem Vorbild oder gar Retter europäischer Traditionen an den Hals werfen möchte, erkennt nicht seine Position als Weizenkorn zwischen zwei Mahlsteinen. Damit ist Putins Rußland auch kein politisches Vorbild für unser Land.
Einem uralten Witz zufolge ist in Deutschland alles erlaubt, was nicht verboten ist, in Frankreich alles erlaubt, selbst wenn es verboten ist, in Rußland aber alles verboten, selbst wenn es erlaubt ist. Dort regierte seit ältester Zeit nur die Knute über ein Volk, das sich diese Knute gefallen ließ, ganz gleich unter welcher Fahne. Unsere Ideen geistiger und politischer Freiheit und Selbstbestimmung sind dort noch nicht flächendeckend gekeimt. Während im Liberalismus „westlicher“ Herkunft die Gemeinschaft nichts gilt, das ungehemmte Sichausleben des Individuums aber alles, war es in Rußland immer genau umgekehrt: Du bist ein Nichts, der Staat ist alles!
Beide Extreme entsprechen aber nicht unseren Traditionen und Bedürfnissen. Wir benötigen zwischen den Ansprüchen des Individuums und der Gemeinschaft, in die es hineingeboren wurde, ein ausgewogenes und je nach historischer Lage neu auszutarierendes Verhältnis. Herrschaft der Knute und willigen Kadavergehorsam hat es in Deutschland niemals gegeben.
Weder die russische Tyrannei noch Putin persönlich eignen sich als Vorbild für Deutschland. Wer befürchtet, schachmatt gesetzt zu werden, muß darum nicht zwangsläufig über ein Nachbarland herfallen und auch Frauen und Kinder mit Raketen beschießen. 1945, 1953, 1956, 1968 und immer wieder: Ich habe von russischen Panzerketten die Nase voll. Mir fällt dazu nichts Entschuldigendes ein. „Heute entnazifizieren wir die Ukraine“ – und „morgen die ganze Welt“? Bevor Putin auf dumme Gedanken kommt, unsere überall Nazis sehende linke Regierung beim Wort nimmt und Deutschland mal eben mit seinen Panzern „entnazifizieren“ kommt, hält ihn vielleicht die Ukraine noch auf.
Sind die Ukrainer ein Volk?
Zu unseren Traditionen zählt auch, das Recht der Völker auf nationale Selbstbestimmung anzuerkennen. Wir haben es für uns schließlich auch immer reklamiert und Deutschlands Wiedervereinigung gefordert. Putin-Versteher wenden heute ein, die Ukrainer seien gar kein Volk, sondern Russen. Sie greifen dabei historisch gern zurück bis auf die Kiewer Rus. Ihre Argumente ähneln panslawistischen Positionen.
Doch wodurch wird ein Volk zum Volk? Die gemeinsame Sprache allein verhindert nicht die Entstehung eines eigenständigen neuen Volks. Ich bedauere heute noch die Abspaltung der Niederlande, besiegelt 1648, von Deutschland. Das Reich und die anderen Deutschen hatten die von Spanien besetzten niederen Lande im Stich gelassen. So setzten sich erst die niederländische Schriftsprache und dann das Bewußtsein durch, ein eigenes Volk zu sein.
Sprachlich ist das Ukrainische vom Russischen so weit entfernt wie das Niederländische vom Hochdeutschen. Die Volksabstimmung über die ukrainische Unabhängigkeit erbrachte 1991 selbst in den Gebieten eine große Mehrheit dafür, in der zu Stalins Zeiten flächendeckend Russen angesiedelt worden waren. Auf diese Neugeburt ukranischen Eigenbewußtseins folgte seit dem 24. Februar 2022 die zweite. Die russischen Angriffe nehmen keine Rücksicht darauf, welche Sprache die Bewohner zerbombter Häuser wohl sprechen. Not schmiedet zusammen.
Durch gemeinsam erlittenes Schicksal formen sich Bevölkerungen zu Nationen. Auch der deutsche Nationalismus entstand, als erst die Truppen der französischen Revolutionäre, später Napoleons, ein deutsches Gebiet nach dem anderen eroberten. Schon seit Jahrhunderten waren sich die Deutschen darüber klar, als Deutsche ein Volk zu sein. Das hatte aber in Zeiten des Heiligen Römischen Reiches keine politische Relevanz besessen. Erst die Not ließ den Gedanken aufblühen, eine Nation zu bilden und im Schicksal vereint zu sein.
Der russische Angriff schmiedet die Ukrainer zu einer Nation zusammen, in der nicht mehr nach Sprache oder Dialekt gefragt wird. Sicherlich wird das Geschehen langfristig dazu führen, sich vom Russentum innerlich abzuwenden und abzugrenzen, selbst wo russisch geredet wird. Der entstehende Mythos des gemeinsamen Kampfes wird das vergessen lassen. Die Funktion des neuen ukrainischen Nationalismus besteht in seiner Befreiung vom russischen Joch, den einrollenden Panzern und der drohenden Knute. Er ist ein Befreiungsnationalismus.
Damit erweisen sich die Ukrainer denjenigen Deutschen als wesensverwandt, die sich noch als Patrioten verstehen. Hat man für sein eigenes Volk die Entscheidung getroffen, ihm Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu wünschen, kann man niemals innerlich unbeteiligt bleiben, wenn ein Nachbarvolk das auch möchte. Es gilt darum in Europa einen Großraum zu schaffen, in dem freie Völker Seite an Seite in freier Selbstbestimmung leben können. Er wird langfristig die Ukrainer einschließen, die großen Schachspieler in West und Ost aber ausschließen müssen.
Gleiches Schicksal
Wir teilen mit den ukrainischen Flüchtlingen ein Schicksal, wie es die Generation unserer Eltern und Großeltern 1945 auch erfahren hatten. Festung Breslau – Festung Mariupol. Flieht, oder laßt euch massakrieren! Wie sich die Bilder ähneln! Von den Bleibenden nehme eine Waffe in die Hand, wer immer eine zu tragen vermag. Der nackte Überlebenskampf hat in Deutschland ganze Generationen traumatisiert. Nachgeborene Generationen haben mit sekundärer Traumatisierung zu kämpfen. Es gibt kollektive Wunden, die in hundert Jahren nicht heilen wollen.
Die einen Traumatisierten drifteten nach links außen, erklärten aller Welt offiziell die Freundschaft, ließen Friedenstauben aufsteigen, bildeten moralische Lichterketten und magische Stuhlkreise. 2022 hat die Wirklichkeit sie ein- und die verdrängte Realität hervorgeholt. Andere Traumatisierte zogen aus den Schrecknissen von 1945 den Schluß, niemals mehr wehrlos dastehen zu wollen. Manche sehnten sich gar zu ihrem Schutz nach einem besonders starken, beschützenden Staat. Die Rechte wie die Linke und ihre Polarisierung bildeten auch eine Spätfolge derselben traumatischen Ereignisse.
Siegt Putin, wird einst in den Geschichtsbüchern ukrainischer Kinder stehen, ihre Väter und Mütter seien Verbrecher gewesen, und er habe sie vom Faschismus befreit. Selenski, wird es dann heißen, habe sogar Jugendliche „sinnlos verheizt“. Siegt aber die Ukraine, wird ein Heldenmythos entstehen, der Jahrhunderte anhalten und ganz Europa emotional und geistig beeinflussen kann.
Alfred Roelli
Wieder einmal haben es die Amerikaner geschafft, mit der Ukraine einen globalen „Hotspot“ zu kreieren. Dem CIA sei Dank für diese gelungene Subversions- und “Regime Change”-Kampagne.
Ein guter Zug im globalen Schachspiel? Langfristig wohl kaum.
Dummerweise dürfte der Gewinner weder Russland noch Amerika, sondern China heissen. Die meisten westlichen Beobachter haben Pekings Bereitschaft, „eine konstruktive Rolle zu spielen, um den Dialog für den Frieden zu erleichtern“, als bloßes Getue von Xi Jinping aufgefasst. Diese Beurteilung könnte falscher nicht sein.
Nach seinem teilweisen Ausschluss aus dem globalen Handels- und Finanzsystem wird Russland jetzt in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von China geraten. Das ist gut für China, und wenn es Xi gelingt, sich als einzige Führungspersönlichkeit der Welt zu positionieren, die in der Lage ist, Putin in die Schranken zu weisen, wird er seine Hegemonie ausdehnen können.
China ist drauf und dran, die Vereinigten Staaten als Europas wichtigsten globalen Partner abzulösen. Als Angela Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde, lag der Anteil Chinas an den deutschen Exporten bei weniger als 3 %. Bereits 2020 hat China die Vereinigten Staaten als größten Handelspartner Deutschlands abgelöst. Auf Deutschland entfallen heute 50 % aller EU-Exporte nach China. Allein in den letzten zehn Jahren stammten zwei Drittel des gesamten deutschen BIP-Wachstums aus dem deutschen Export; heute machen sie fast die Hälfte des gesamten BIP aus. Entscheidend ist, dass die Exporte nach einer Schätzung der Europäischen Kommission etwa 7 Millionen deutsche Arbeitsplätze sichern.
Europa insgesamt misstraut der Zuverlässigkeit und Vernunft der Vereinigten Staaten zunehmend. Es ist wohl langfristig für Europa nicht ratsam, langfristig auf ein Land zu setzen, das konstant steigende Defizite produziert, dessen Wirtschaft ausgehöhlt ist und voll von grundsätzlichen Infrastruktur- und Gesundheitsproblemen ist.
Amerikas Chinapolitik ist ein Muster an Verlogenheit. Während Washington die EU-Beamten und die europäischen Hauptstädte dazu drängt, die Beziehungen zu Peking zu reduzieren, hat es einen Ansturm amerikanischer Unternehmen auf China toleriert. Biden verhängte ein unsinniges Pandemie-Reiseverbot für EU-Bürger, verpfuschte einen nicht mit der NATO abgestimmten Rückzug aus Afghanistan, kündigte ohne Absprache einen trilateralen Sicherheitspakt mit Australien und dem Vereinigten Königreich auf Kosten Frankreichs an und ließ Litauen im Regen stehen, nachdem es sich mit amerikanischer Unterstützung gegen China wegen der Anerkennung Taiwans gestellt hatte.
Warum sollte sich Europa mit einer unberechenbaren, heuchlerischen Macht verbünden, die nicht zögert, ihren Freunden in den Rücken zu fallen?
Bernhardt
Es ist wichtig, diese und andere Kriegsverbrechen beim Namen zu nennen. Ohne Groll, aber mit juristischer Akribie und Beharrlichkeit. Denn es geht nicht darum, einen Machthaber zu beleidigen oder gar die Bürger seines Landes zu demütigen
Gleichwohl darf man sich nichts vormachen: Dass Putin, wie einst Radovan Karadzic oder Slobodan Milosevic, je in Den Haag vor den Richtern stehen wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die internationale Strafgerichtsbarkeit wird weder von Russland, noch den USA anerkannt. Darüber hinaus ist das Risiko nicht von der Hand zu weisen, dass Putin diese Stigmatisierung als politisch motivierte Aggression des Westens deutet und dann noch skrupelloser agieren wird.