Man kann sich bemühen, kosmisch zu denken. Für solche Denker sind wir Menschen nur Zigeuner am Rande des Universums, kosmische Eintagsfliegen gewissermaßen. Werden wir unseren Planeten jemals verlassen können? Daß wir ihn gerade in einen übervölkerten, wüsten Müllhaufen verwandeln, wäre Anlaß genug. Raumfahrt tut not! Der Mensch

weiß nun, daß er seinen Platz wie ein Zigeuner am Ran­de des Universums hat, das für sei­ne Musik taub ist und gleich­gültig gegen seine Hoffnungen, Lei­den oder Ver­brechen.

Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit, Paris 1970, München 1971, 9.Aufl.1991, S.151

Es gibt auch Menschen, deren Denken nur bis den Brettern reicht, mit denen sie sich ihre geistige Welt selbst vernagelt haben. Als Galileo Galilei (1564-1642) vor das katholische Inquisitionsgericht treten mußte, traf er auf solche vernagelten Leute. Aus obskuren alttestamentarischen Texten leiteten sie ihr Dogma ab, die Erde sei der Mittelpunkt der Schöpfung. „Und sie dreht sich doch!“, soll Galilei gemurmelt haben, nachdem er abgeschworen hatte und dem Scheiterhaufen entkommen war.

Heute macht sich lächerlich, wer anzweifelt, daß sich die Erde um die Sonne dreht. Wissenschaftliches Denken ist prinzipiell offen. Dogmatisches Denken bildet dagegen ein in sich geschlossenes System, aus dem viele Menschen aus eigener Kraft nicht mehr ausbrechen können. Der Nobelpreisträger Konrad Lorenz sagte, wissenschaftliches Denken könne und dürfe niemals doktrinär werden:

„Die meisten von uns – dessen müssen wir uns bewußt sein – lieben ihre Hypothesen, und es ist, wie ich einmal sagte, eine zwar schmerzhafte, aber jung und gesund erhaltende Turnübung, täglich, gewissermaßen als Frühsport, seine Lieblingshypothese über Bord zu werfen.“

Konrad Lorenz Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit (1973), zitiert nach 2. Aufl., München 1973, ISBN 3-492-00350-8, S. 88.

Doch was sind neue Fakten, was sind überhaupt Fakten? Galilei hatte es noch leicht:

Man muß messen, was meßbar ist, und meßbar machen, was noch nicht meßbar ist

Galileo Galilei

In vielen Wissenschaften geht es aber um die Interpretation von Fakten. Die Rechtswissenschaft unterscheidet klar zwischen Tatsachen, über die förmlich Beweis erhoben werden könnten, und Meinungen, die niemals wahr oder unwahr sein können, weshalb man eben meinen kann, was man möchte. Manche Tatsachenbehauptungen sind allerdings mit Meinungskomponenten so verwoben, daß man beides gar nicht trennen kann. Dann läßt das Bundesverfassungsgericht sie insgesamt als Meinungsäußerung durchgehen.

Die Geschichtswissenschaft ist besonders anfällig für fehlerhafte Interpretationen historischer Taten und ihrer Beweggründe, weil die Quellen nicht immer hergeben, warum jemand etwas tat. Eine wissenschaftliche Todsünde besteht dann darin, historische Ereignisse an nicht zeitgenössischen Ideologien zu messen. Zum Beispiel Alexander den Großen aufgrund seiner Eroberungsfeldzüge als Kriegsverbrecher zu bezeichnen, wäre unhistorisch. In solchen Bahnen dachte man in der Antike nicht. Angriffskriege zu führen war das gute Recht jedes Königs.

Für Dogmatiker ist die Welt mit Brettern vernagelt, die sie geistig nicht durchdringen können.

Geschlossenes, dogmatisches Denken ist überall auf dem Vormarsch. Dogmatiker verteidigen ihre fixen Geschichtsbilder wie Zwingherren ihre Festung. Mit ihrer Ideologie untrennbar verwoben sind ihre persönliche Identität, ihre tiefsten Ängste und Wünsche sowie ihr Anspruch an die Welt, wie diese zu sein hat. Der Anspruch auf “wahre” Weltdeutung begründet einen persönlichen Machtanspruch.

Nach einem Artikel im Internet (https://thearticle.hypotheses.org/4057?fbclid=IwAR09bf1oMHnD84HESc4Gl3ufbux6BxqY3RrGW9txxjyZ1MgZyPF1mY47hdI) über eine weißrussische Widerstandskämpferin, die 1941 von deutschen Soldaten als Partisanen gehängt wurde, entspann sich in einem Archäologieforum auf Facebook eine typische Diskussion. Die Gehängte, eine Massha Bruskina, wird auf den meisten Webseiten als Partisanin bezeichnet.

Auf eine Frage in einer Facebook-Gruppe: „Wie viele deutsche Wehrpflichtige hat sie oder haben ihre Leute denn, als Zivilisten getarnt, erschossen? Gibt es darüber auch Artikel, gibt es Namen? Wo sind deren Gräber? Bruskina kämpfte “freiwillig” – Wehrmachtssoldaten gewöhnlich nicht“ liefen historische Dogmatiker zu großer Form auf:

Sie gehören zu den geistigen Brandstiftern die eine absurde Geschichtsverfälschung betreiben und deshalb viel gefährlicher sind, als die Nazis auf der Straße, die dumme Parolen rufen.

Facebook-Diskutant

Offenbar hatten drei schlichte Fragen nach den deutschen Opfern des Partisanenkrieges alle diejenigen völlig aus der Fassung gebracht, deren Dogma zufolge es deutsche Opfer gar nicht geben kann. Das entspricht allerdings nicht dem Stand der Forschung. Diese ergibt sich dagegen aus einer Arbeit von Joachium von Meien:

Auffällig ist, dass in der Literatur teilweise der Versuch unternommen zu werden scheint, das an sich historische Thema für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Hierbei stehen sich im Extremfall konservative, in manchen Fällen gar revisionistisch-apologetische Sichtweisen auf der einen, und die Wehrmacht pauschal verurteilende und mit einer reinen Verbrecherorganisation gleichsetzende Abhandlungen auf der anderen Seite gegenüber. […] War die Wehrmacht Opfer einer heimtückischen und brutalen, alle Regeln des Krieges bewußt negierenden Kampfweise der russischen Freischärler geworden, auf die es mit aller nur möglichen Härte zu reagieren galt, oder nutzte sie den Partisanenkrieg nur als Vorwand, um ihren Beitrag an der ideologischen Vernichtung der Juden und anderer unerwünschter „Bevölkerungselemente“ zu leisten? Diese Extrempositionen finden sich auch heute noch in der Forschung, auch wenn sie in dieser Absolutheit nur noch selten vertreten werden.

Joachim von Meien https://www.grin.com/document/75771

Vertreten wurde die pauschal verurteilende Extremposition auf Facebook allerdings vom Gruppenmoderator. Wie es heute immer häufiger wird, entscheidet nicht das Argument, sondern die Macht darüber, dieses äußern zu dürfen. Auf den Hinweis,

Man muß die Fakten und die Völkerrechtslage differenziert sehen. Zu den Fakten gehört, daß Mordanschläge von Zivilisten auf Soldaten in besetztem Gebiet nach damaligem Völkerrecht eben – Morde waren, die Opfer hinterließen.

drohte er mit „Gruppenregeln“ bzw. damit, wie er sie interpretierte:

Ihre Sichtweise ist einseitig darauf ausgerichtet Täter zu Opfern zu machen, Fehlverhalten der Wehrmacht zu relativieren und dabei völlig unwissenschaftlich die Fakten so zu drehen bis sie in ihr revisionistisches Weltbild passen.

Wenn nach Fakten gefragt wird dann ignorieren sie es oder versuchen abzuschweifen. Für mich ist deshalb die Diskussion beendet, da ich bezweifel das sich hier eine sachliche Einigkeit erreichen läßt.

Ich weise Sie aber zum letzten Mal auf die Gruppenregeln hin und das hier Geschichtsrevisionismus nicht geduldet wird. Das bezieht sich auch auf die Relativierung von NS-Verbrechen, einschließlich der faschistisch geführten Wehrmacht.

Martin Klar, Facebook-Gruppenmoderator

Der hier als Gruppen-Moderator drohte, ist seines Zeichens allerdings kein Wissenschaftler, sondern arbeitet als Grabungstechniker und kandidierte 2014 auf der Stadtratsliste seines Wohnorts für die Grünen. Daß zu jedem wissenschaftlichen Arbeiten gehört, ergebnisoffen zu forschen und Fragen zu stellen, hat er nicht gelernt. In seinem persönlichen Facebook-Zugang bekennt er sich zu einem “Facebook-Bündnis gegen rechtsradikale MSV-Fans” und schreibt dort in seinem “Steckbrief”: ” Antifaschist,.Ich habe kein Verständnis für Nazis und ihre rechtspopulistischen Ableger.”.

Merkmal historischer Dogmatiker ist ein feststehendes Geschichtsbild. Es wird verbissen gegen jede Nachfrage abgeschottet, die aus dogmatischer Sicht zu häretischen Schlüssen führen könnte. Aus Sicht einer Doktrin erscheint je­de ihr entsprechende Aussage als wahr und jede ihr wider­sprechende als falsch. Für die katholischen Lehre hat das der katholische Dogmatiker Donoso Cortez wunderbar formuliert:

Die Freiheit in der Wahrheit ist ihr heilig, die im Irrtum ist ihr ebenso ver­ab­scheuungswürdig wie der Irr­tum selbst; in ihren Augen ist der Irr­tum ohne Rechte ge­boren und lebt ohne Rechte, und dies ist der Grund, weshalb sie ihm nach­spürt, ihn verfolgt bis in die geheim­sten Schlupf­winkel des menschlichen Gei­stes; wes­halb sie ihn auszu­rotten sucht. Und diese ewige Illegitimität, diese ewige Nackt­heit und Blöße des Irrtums ist sowohl ein religiöses als auch ein po­li­ti­sches Dogma. Zu allen Zeiten haben es alle irdischen Gewalten ver­kün­det: Alle ir­di­schen Gewal­ten haben das Prinzip, auf dem sie be­ru­hen, der Dis­kus­sion entzogen; alle haben das diesem Prinzip ent­ge­gen­ste­hende Prin­zip Irrtum genannt und haben es jeder Legi­timität und jeden Rechtes ent­klei­det.

Donoso Cortés, Juan, Essay über den Katholizismus, den Liberalis­mus und den Sozia­lis­mus, 1851, Hrg.Günter Maschke, Weinheim 1989, S.22

Das Prinzip, auf dem der heutige Linksextremismus beruht, nennt er selbst „Antifaschismus“ im allgemeinen und deutsche Alleinschuld an allem im besonderen. Er bildet eine komplexe, kohärente Herrschaftsideologie. Sie dient der Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Macht derjenigen, die für sich die Definitionsmacht über historische Ereignisse in Anspruch nehmen.

Klaus Kunze 31.10.2019