Wie das Bundesverfassungsgericht unsere Politik entlarvt
Die Laienspielschar der früheren Volksparteien brachte das Rührstück „Demokratie“ auf die Bühne. Historisch bewanderte Zuschauer betraten das Theater in der Vorstellung, in einer Demokratie herrsche das Volk durch gewählte Vertreter über sich selbst. Die Athener Demokratie hatte das einst vorgelebt.
Juristisch gebildeten Zuschauerm war auch die Vorstellung vertraut, der Wille des Volkes könnte in einem gewählten Gremium wie dem Bundestag repräsentiert werden. Unser Grundgesetz läßt den Parlamentarismus noch als eine Form von Demokratie durchgehen. Selbst wenn die Volksvertreter ihrerseits Vertreter wählten wie den Bundespräsidenten, sollte doch eine demokratische Legitimationskette alle Staatsgewalt an eine Zustimmung des Volkes rückbinden.
Zu den zentralen Aufgaben der Volksvertreter im Bundestag gehört es, den Bundeshaushalt aufzustellen. Was mit unserem Geld geschieht, muß demokratisch entschieden werden. Selbst im Fürstenabsolutismus gab es Landstände als Vorläufer der Parlamente, über die ein Monarch sich bei der Bewilligung des Staatshaushalts nicht einfach hinwegsetzen konnte: Wer zahlt, schafft an.
Heute hat das Bundesverfassungsgericht den Regierungsparteien Nachhilfeunterricht in Demokratie erteilt. Unter Duldung und Mitverantwortung unserer Volksvertreter gibt man in Brüssel durch Ankauf von Staatsanleihen halbbankrotter Schuldenstaaten unser Geld aus oder nimmt uns in Mithaftung, ohne daß das deutsche Volk durch seine gewählten Vertreter oder seine Regierung hätte mitreden dürfen. Unter den vielen Aspekten des Urteils des Bundesverfassungsgerichts sticht hervor, daß das mit Demokratie nichts mehr zu tun hatte und hat. In Randnummer 157 folgende heißt es:
Im geschilderten Umfang folgt aus dem Urteil zugleich eine strukturell bedeutsame Kompetenzverschiebung zulasten der Mitgliedstaaten. Sie birgt die Gefahr einer kontinuierlichen – durch die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge politisch nicht mehr steuerbaren – Erosion ihrer Kompetenzen im Bereich der Wirtschafts- und Fiskalpolitik und einer weiteren Schwächung der demokratischen Legitimation der durch das Eurosystem ausgeübten öffentlichen Gewalt, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre.
Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist nicht nur ein unionsrechtlicher Grundsatz, sondern nimmt mitgliedstaatliche Verfassungsprinzipien auf. Es bildet die maßgebliche Rechtfertigung für den Einschnitt in das demokratische Legitimationsniveau der durch die Europäische Union ausgeübten öffentlichen Gewalt, der in Deutschland nicht nur objektive Grundprinzipien der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) berührt, sondern auch das Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger und ihren Anspruch auf Demokratie gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Wahrung der kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union hat daher entscheidende Bedeutung für die Gewährleistung des demokratischen Prinzips. Daher darf auch die Finalität des Integrationsprogramms nicht dazu führen, daß das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als eines der Fundamentalprinzipien der Union faktisch außer Kraft gesetzt oder unterlaufen wird
BVerfG U.v. 5.5.2020 – 2 BvR 859/15 –
Die von unseren Regierenden bisher geduldete Haftungsübernahme der EZB für faule Staatsanleihen ist mit der Demokratie und der Souveränität des Volkes nicht vereinbar. Beides sind fundamentale Konstruktionsprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Wer sie antastet, ist Verfassungsfeind. Wer sie als Beamter oder Mandatsträger nicht verteidigt, verletzt Amtseide und Pflichten. Das BVerfG weist nachdrücklich darauf hin:
Die weitgehende Entleerung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der damit verbundene Verzicht auf eine wertende Gesamtbetrachtung besitzen ein für das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Volkssouveränität erhebliches Gewicht. Sie sind, wie dargelegt, geeignet, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben und so das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Der Erlaß wirtschaftspolitischer Maßnahmen durch das ESZB erforderte eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV, sodaß der Gesetzgeber tätig werden müßte.
Ihr seid mir schöne Demokraten
Das wurde er aber nicht, sondern sah schweigend zu, wie die Verfassungsgrundsätze der Souveränität des Volkes und der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns unterminiert werden.
Die Integrationsverantwortung verpflichtet die Verfassungsorgane, sich schützend und fördernd vor den durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Anspruch auf Demokratie zu stellen.
BVerfG U.v. 5.5.2020
Wo waren denn die beamteten Verfassungsschützer unserer Regierungskoalition in Gedanken, als ihre Dienstherren die demokratische Rückbindung der staatlichen Gewalt an demokratische Legitimationsprozesse im Kern beseitigten? Diese Dienstherren selbst sind weitgehend juristische Laien, gewählte Parteivertreter, manchmal Studienabbrecher und gelegentlich Promotionsschwindler. Sie hetzen die Verfassungsschützer nach Gutsherrenart auf parteipolitische Konkurrenz oder Zwerggrüppchen von einer Handvoll Politclowns, die großkotzig verboten werden, um das Grundgesetz vor ihnen zu schützen.
Was auf der Verfassungsschutz-Bühne vor den Kameras von ARD und ZdF ständig aufgeführt und mit „Symbolbildern“ in Bomberjacken und Springerstiefeln Kostümierter aufgeführt wird, ist Theater. Was uns auf der Berliner Bühne ständig von Demokratie erzählt wird, ist Theater. Es geht den Darstellern um ihre persönliche Macht und die Macht ihrer Parteien. Diese Parteien und ihre Seilschaften haben sie in die weichen Sessel gehoben.
Demokratie, Selbstbestimmung des Volkes und Rechtsstaatlichkeit sind für sie Etiketten, die sich sich gern selbst aufkleben. Von den damit verbundenen Pflichten eines Amtsträgers wissen sie nichts, oder diese interessieren sie nicht.
Wir sollten diese Herrschaften öfter beim Wort nehmen. Wir sollten: mehr Demokratie wagen!
Das demokratische Selbstbestimmungsrecht des Volkes ist unser gutes Recht. Und es ist eine Waffe für den, der sie zu führen weiß.
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