Die jüngste von Medien induzierte Panikwelle schürt Angst vor „Mutanten“. Gemeint sind Mutationen des COVID-Virus. Viren mutieren immer, das können sie einfach nicht sein lassen. Menschen mutieren aber auch – auch immer. Wir alle sind Mutanten!
Die Empirie ist die Todfeindin des Hirngespinstes
Die doktrinäre Behauptung, alle Menschen seien gleich, ist ein Lieblingskonstrukt der dekonstruktivistischen Linken. Unterschiede seien nur milieubedingt und würden auf “Privilegierungen” und “Diskriminierungen” hindeuten. Mit dogmatischem Haß verfolgt die Linke jeden, der ihr Gleichheitsparadigma anzweifelt. Sie gründet ihren Machtanspruch darauf, eine “gerechte” Gesellschaft Gleicher durchzusetzen.
Mit besonderer Wut stürzt ihr Sprachregime sich auf jeden, den sie des “Rassismus” verdächtigt. Tatsächlich ist das Konzept “Rasse” aus der empirischen Anthropologie wohlweislich getilgt worden. Es wird den Unterschieden zwischen Menschengruppen nicht paßgenau gerecht und deckt sich auch nicht völlig mit den oberflächlichen Merkmalen, aufgrund deren man Menschen vor hundert Jahren grob in Europide, Mongolide und Negride einteilte.
Tatsächlich ist die genetische Vielfalt der Menschen noch erheblich größer, als Naturwissenschaftler vor 100 Jahren glaubten. Genetische Gleichartigkeit ist ein philosophisches und sozialwissenschaftliches Hirngespinst. Seit die Genetiker imstande sind, aus fossilen Knochen alte DNA (sogenannte aDNA) zu sequenzieren und mit heutigen Bevölkerungen zu vergleichen, haben sie einen Jahrzehntausende zurückreichenden Stammbaum erarbeitet.
Jede Fortpflanzung geht mit dem “Abschreiben” und der Neukombination der elterlichen Gene einher. Wie bei jedem Abschreiben kommen Fehler vor, sogenannte Mutationen. Sie vererben sich weiter. Nachkommen mit derselben Mutation irgendwo tief im Genom werden von der Genetik als Haplogruppe und mit einem fortlaufenden Buchstaben bezeichnet.
Die Weltkarte der genetischen Haplogruppen deckt sich fast mit Weltkarten des 20. Jahrhunderts, in denen die Verteilung “unterschiedlicher Rassen” abgebildet waren. Es entsteht der Eindruck, daß es heute nur einen Streit um Worte gibt: “Populationen” und Haplogruppen sind anstelle des früheren Begriffs der Rasse getreten. Inhaltlich besteht der Unterschied darin, daß die modernen Konzepte nicht an phänotypische Merkmale anknüpfen und diese Populationen nicht für in sich homogen halten.
Genetische Unterschiede verschiedener menschlicher Populationen
Das Wissenschaftsmagazin Science berichtet vor diesem Hintergrund am 25.2.2021 über signifikante genetische Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen:
Ein internationales Forschungsteam hat jetzt einen Artikel in Science veröffentlicht, in dem ein neuer, wesentlich umfangreicherer Referenzdatensatz vorgestellt wird. Dieser wurde mithilfe einer Kombination aus fortschrittlichen Sequenzier- und Kartierungstechnologien gewonnen. Der neue Referenzdatensatz spiegelt 64 assemblierte menschliche Genome wider, die 25 verschiedene menschliche Populationen aus der ganzen Welt repräsentieren. Unter „(Genom-)Assemblierung“ versteht man dabei das Zusammensetzen eines Genoms aus einzelnen, von Sequenziergeräten gelesenen Fragmenten. Wichtig ist hierbei, daß jedes der Genome ohne Rückgriff auf das aktuelle Referenzgenom assembliert wurde. Somit wurden die genetischen Unterschiede verschiedener menschlicher Populationen besser erfaßt.
Die Studie wurde von Wissenschaftlern des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie in Heidelberg (EMBL), der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU), des Jackson Laboratory for Genomic Medicine in Farmington in Connecticut (JAX) und der University of Washington in Seattle (UW) geleitet.
64 menschliche Genome als neue Referenz für die globale genetische Vielfalt, Bericht in VBio
Das Ergebnis war voraussehbar:
Die Verteilung von genetischen Varianten kann sich durch spontane und kontinuierlich auftretende Veränderungen im Erbgut zwischen Bevölkerungsgruppen stark unterscheiden. Wird eine solche Mutation über viele Generationen weitergegeben, kann sie zu einer für diese Population spezifischen genetischen Variante werden.
64 menschliche Genome als neue Referenz für die globale genetische Vielfalt, Bericht in VBio
Solche genetischen Verschiedenheiten gibt es viele. Sie wirken sich nicht nur im Phänotyp aus, also dem äußeren Anblick. Weiteren Forschungen zufolge sprechen Menschen aus unterschiedlichen Populationen verschieden auf Medikamente an und unterscheiden sich zum Teil auch meßbar in psychischen Grundkomponenten.
Es liegt nahe, phänotypisch verschiedene Populationen als Ökomorphe zu betrachten, also zum Beispiel unterschiedliche Pigmentierung als Anpassungsleistung an unterschiedliche Sonneneinstrahlung zu verstehen:
Ökomorphe sind durch eine genetische Variante innerhalb einer Art oder durch eine Variante mehrerer Arten gekennzeichnet, die aufgrund der Anpassung an eine lokale Ökologie dieselben phänotypischen Merkmale aufweisen.
Chris Baumann, A refined proposal for the origin of dogs: the case study of Gnirshöhle, a Magdalenian cave site, Nature 4.3.2021
Mutanten verändern das Weltbild
Tatsächlich sind wir alle Mutanten. Die Paläanthropologie belehrt uns inzwischen, daß das seit Hundertausenden von Jahren schon so war. Es haben sich immer wieder aufs neue hominide Seitenzweige abgespalten, aber auch wieder eingekreuzt. So tragen wir auch Neandertaler-Gene in uns. Ob diese eine andere Art, Unterart, Rasse, Population oder was auch immer waren, ist bloß ein Streit um Worte und Etiketten.
Als Jugendlicher las ich in einem Zukunftsroman von 1961 schon:
Es ging dort um angenommene Mutationen nach radioaktiver Verstrahlung in Japan nach 1945: Die Mutanten hatten im Roman nützliche Psi-Fähigkeiten. Wer weit in die Vergangenheit blickt und sich ebenso weit in die noch nebelhafte Zukunft versetzen kann, dem ist zutiefst vertraut, wie verschieden wir Menschen auch genetisch sind. Er wird diese Verschiedenheit als genetischen Reichtum empfinden. Ohne Mutationen sähen wir Menschen tatsächlich alle noch aus wie Lucy, die Australopithecus-Dame.
Wer sich naturwissenschaftlich auf dem Laufenden hält und weiß, daß wir alle “Mutanten” sind, hat ein anderes Weltbild als rein ideologisch inspirierte Sozialwissenschaftler. Von ihnen halten immer noch viele “alle Menschen” für “gleich”.
“Wer bin ich?” oder “Was bin ich?” – das ist hier die Frage
Ich bin gern ein Mutant. Leider besitze ich keine Psi-Talente, aber dank zähen Überlebenswillens meiner unzähligen Ahnengenerationen und vielen kleinen Mutationen bin ich, was ich bin. Zum Beispiel vertrage ich Kuhmilch, die unseren Ahnen vor 10000 Jahren noch Bauchweh bereitet hat und bis heute von vielen außereuropäischen Mägen nicht vertragen wird.
Es sind ganze Pakete spezifischer Eigenschaften, die ich geerbt habe und meinen Nachkommen weitergebe. Mein im September erwartetes Urenkelkind wird allerdings nur ein Achtel meiner Gene aufweisen. Diese sind aber wiederum Teil eines gemeinsamen Genpools, der sich vom Atlantik bis über den Ural hinaus erstreckt. Die anderen sieben Achtel sind darum Gene von Menschen, mit denen ich wiederum durch gemeinsame Abstammung verbunden bin und deren Gene ich teile.
Indem ich bin, wer ich bin, bin ich zwar als Person so einzigartig wie jeder andere Menschen es auch ist. Indem ich aber auf einer tieferen Ebene auch bin, was ich bin, teile ich dieses Was mit vielen anderen Menschen – mehr oder weniger.
Wer ich bin, wird mit meinem Tod enden. Was ich bin, wurde durch meine Gene weitergegeben und wird in seiner Unverwechselbarkeit Bestand haben, solange der gemeinsame Genpool fortbesteht.
Er wird zukünftige Mutationen einschließen. Wenn meine Nachkommen Glück haben, wird es vielleicht ja doch noch etwas mit den Psi-Kräften, und eine Immunität gegen Schnupfen wäre auch nicht schlecht.
Unsere Urmütter sahen wohl “behaart und mit böser Visage” (Erich Kästner) aus, wie Lucy. Heute gibt es hinreißende Blondinen. Welch erfreulicher Höhepunkt der Evolution als Ergebnis vieler Mutationen!
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