Verfassungsschutz als Konkurrenzschutz
Das Publikum läßt sich immer weniger beeindrucken durch staatliche „Extremismus“-Alarmschreie. Es hat sich herumgesprochen, daß als Extremist immer etikettiert wird, wer der jeweiligen Regierung besonders unangenehme Konkurrenz macht.
In einer heutigen Pressemittelung des Verwaltungsgerichts Köln bekräftigte dieses, durch die Einordnung als Verdachtsfall
werde in unvertretbarer Weise in die verfassungsrechtlich gewährleistete Chancengleichheit politischer Parteien eingegriffen.
Pressemitteilung VG Köln vom 5.2.2021 zu 13 L 105/21
Es sei
sei bereits dadurch, daß die Einordnung als Verdachtsfall öffentlich bekanntgeworden sei, derart tief in die Chancengleichheit der Parteien eingegriffen worden, daß eine weitere Beeinträchtigung derselben dadurch, daß Mitglieder der Antragstellerin mit nicht gänzlich unerheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müßten, allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit nachrichtendienstlich überwacht zu werden oder von solchen Maßnahmen jedenfalls mittelbar betroffen zu sein, nicht hinnehmbar sei
Pressemitteilung VG Köln vom 5.2.2021 zu 13 L 105/21
Eine Partei amtlich als verdächtig zu stigmatisieren, hat nämlich den Zweck, ihr qualifizierte Mitglieder zu entziehen, weil Beamte und öffentliche Bedienstete um ihre Stellung fürchten. Eine inhaltliche Diskussion darüber, was Extremismus überhaupt ist, wird tunlichst vermieden. Sie könnte sonst auf ihre Urheber und die amtlichen Stigmatisierer selbst zurückfallen.
Juristisch ist ein Extremist, wer die grundlegenden Verfassungsentscheidungen des Grundgesetzes ablehnt und bekämpft. Das ist bei bei sauberer Anwendung begrifflicher Kategorien leicht möglich, weil die Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung höchstrichterlich und gesetzlich feststehen. Zu ihnen zählen die Verfassungsentscheidungen für die Republik als Staatsform, die Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratieprinzip und andere.
Unschwer läßt sich nachweisen, daß eine Partei wie die SED, die sich jetzt die Linke nennt, nur mit einem Bein in unserer Grundordnung angekommen ist. Das herrschende politisch-mediale System will diese teilweise linksextremistische Partei aber unbedingt integrieren und mißt sie darum nicht an der verfassungsrechtlichen Meßlatte. Ihr Maßstab vermag auch bei der rechten Konkurrenz von der AfD nichts Verfassungsfeindliches aufzudecken, weshalb man lieber politologisch argumentiert.
Politologischer Extremismusbegriff
Politologisch erkennt der Extremismusforscher Harald Bergsdorf einen Extremisten daran, daß er erstens den Wahrheitsanspruch erhebe, mit seiner Doktrin die einzig wahre Weltsicht gefunden zu haben. Darum kämpfe er zweitens mit besonderem Rigorismus gegen andere Interessen, Lebensformen und Wertvorstellungen. Weil Freund-Feind-Denken und Haß die Hauptantriebskräfte extremistischer Politik seien, seien sie heterophob und wollten demokratischen Pluralismus nicht akzeptieren.[1]
Legt man diese weitgehend anerkannte Definition zugrunde, fällt es leicht, in den Medien und tagespolitischen Ereignissen Extremisten auszumachen: Sie dulden keinen politischen Pluralismus, sondern grölen „XYZ raus!“, fürchten „heterophob“ abweichende Moral- und Politikvorstellungen, sehen in ihren politischen Widersachern Feinde, denen man „keinen Fußbreit“ Straße zugestehen darf und von denen man nach der Machtergreifung schon mal den einen oder anderen erschießen könnte.
Die Energiewende sei auch „nötig nach ’ner Revolution. Dann sagt sie: „Und auch wenn wir das ein Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen, wir wollen uns fortbewegen.“ Ihre Worte rufen Gelächter und Beifall hervor.
Die Welt 10.3.2020
Was geht in den Köpfen von Extremisten wirklich vor? Das fragten sich Wissenschaftler um Leor Zmigrod vom Department of Psychology & Behavioural and Clinical Neuroscience Institute, University of Cambridge. Die experimentellen Psychologen publizierten eine Studie über die Geistesverfassung solcher Leute:
Extremistische Ideologien zeichnen typischerweise ein klares Bild von Gut und Böse und präsentieren ihren Anhängern scheinbar einfache Lösungen und Handlungsstrategien. Viele Vertreter einer starken Ideologie sind bereit, diese gegebenenfalls auch mit Gewalt zu verteidigen. Präventionsprogramme gegen Radikalisierung verlassen sich bislang oft vor allem auf demographische Daten wie Alter, Rasse und Geschlecht. Diese können aber nur in sehr eingeschränktem Maße vorhersagen, welche Menschen anfällig für extremistische Positionen sind.
Elena Bernard, wissenschaft.de 23.2.2021
Wenn man einem Pfarrer ein Problem vorlegt, empfielt er Beten als Lösung, der Lehrer wird es auf schlechte Erziehung zurückführen, der Arzt auf ungesunde Ernährung und der Psychologe auf eine lockere Schraube. Der psychologische Ansatz zur Lösung des Extremismusrätsels ist aber ein Schlüssel zur Beantwortung der wichtigen Frage, wie man mit Extremismus umgehen kann.
Die Auswertungen ergaben: „Extreme Einstellungen für eine bestimmte Gruppe, einschließlich der Befürwortung von Gewalt gegen Personen außerhalb dieser Gruppe, waren mit einem schlechteren Arbeitsgedächtnis, langsameren Wahrnehmungsstrategien und Tendenzen zu Impulsivität und Sensationssucht verbunden“, berichten die Autoren.
Elena Bernard, wissenschaft.de 23.2.2021
Gut und Böse – Universalschlüssel zur Weltdeutung
Es liegt nahe, ein extremistisches Weltbild eher bei Menschen zu vermuten, die von unserer immer komplizierter werdenden Lebenswelt heillos überfordert sind. Wer „ein klares Bild von Gut und Böse“ zeichnet und „scheinbar einfache Lösungen“ anbietet, reduziert diese Komplexität auf einfache Grundmuster. So läßt sich vor allem in der medialen Verarbeitung täglicher Ereignisse beobachten, daß diese nicht mehr in ihrer Komplexität erfaßt werden. Vielmehr werden sie „geframt“, also eingerahmt in ein vorgekautes Schema von Gut und Böse.
Täglich zeichnen unsere Staatssender „ein klares Bild von Gut und Böse“ und sind stolz auf ihren Haltungsjournalismus, der bei jeder Aussage die moralischen Implikationen bedenkt und sich von ihnen leiten läßt. Naturgemäß handelt es sich dabei um das sehr spezielle Gut und Böse der Medienleute.
Es wird konturiert durch eine komplexe Ideologie. Diese sucht in der Tendenz alle gewachsenen Institutionen wie Ehe, Familie, Volk und Vaterland zu dekonstruieren. Nach Atomisierung und Vereinzelung der Menschen sollen sie direkt abhängig werden von einem globalen Humanitarismus, der den ökonomischen Bedürfnissen multinational agierender Konzerne entgegenkommt. Wer die Haltung dieser Ideologie annimmt, für den sind Ehe, Familie, Volk und Vaterland „böse“ und ist jede Emanzipation von ihnen „gut“.
Wer geistig überfordert ist und die komplexe Wirklichkeit auf einen einfachen Nenner bringen möchte, öffnet wie mit einem Universalschlüssel scheinbar die Tür zu allen Antworten. Es gibt aber auch jenseits des Extremismus psychische Grunddispositionen, die politische Haltungen bestimmen. Je ängstlicher jemand ist, desto stärker wird er sich an schützende Institutionen klammern, die seinem Leben Orientierung und Struktur verleihen.
Eine fruchtbare Literatur hat gezeigt, dass die ideologischen Neigungen von Individuen mit verschiedenen psychologischen Merkmalen zusammenhängen, wie z. B. ihren persönlichen Bedürfnissen nach Ordnung und Struktur, kognitiver Flexibilität, Metakognition und Lernstilen und sogar Wahrnehmungsreaktivität gegenüber negativen Informationen. Das Aufkommen der politischen Neurowissenschaften, das die neuronalen Strukturen und Prozesse veranschaulicht, die der (politischen) Ideologie zugrundeliegen, wirft noch tiefere Fragen auf, wie kognitive Mechanismen zwischen Gehirn und Glauben vermitteln können.
Leor Zmigrod, The cognitive and perceptual correlates of ideological attitudes: a data-driven approach, 22.2.2021, royalsocietypublishing.org
Um das Bedürfnis nach Ordnung und Struktur zu befriedigen, taugt aber jede starre gesellschaftliche Ordnung gleichermaßen. Ob jemand die gewohnte sozialistische Ordnung der alten DDR wieder herbeisehnt oder ein anderer der alten Bonner Republik nachtrauert, bleibt sich psychologisch gleich: Beide fallen aus psychologischer Sicht unter die „Konservativen“ mit spezifischen Merkmalen.
Ideologien können allgemein als Lehren beschrieben werden, die epistemische und relationale Normen oder Formen der Feindseligkeit streng vorschreiben. Die vorliegende Untersuchung vertritt einen domänenübergreifenden Blick auf die Definition von Ideologie, wobei der Schwerpunkt auf den Faktoren liegt, die mit dem ideologischen Denken in mehreren Bereichen wie Politik, Nationalismus und Religion verbunden sind. Dies schließt Dogmatismus ein, der als inhaltsfreie Dimension des ideologischen Denkens konzipiert werden kann, die die Gewißheit widerspiegelt, mit der ideologische Überzeugungen vertreten werden, und die Intoleranz gegenüber alternativen oder gegensätzlichen Überzeugungen.
Leor Zmigrod, The cognitive and perceptual correlates of ideological attitudes: a data-driven approach, 22.2.2021, royalsocietypublishing.org
Die Konvergenz von rechtlicher, politologischer und psychologischer Sicht
Daß Dogmatismus ein festes Merkmal von Extremisten und an rigide durchzusetzenden Überzeugungen zu erkennen ist, weiß auch die politologische Extremismusforschung, die sich hier mit der Psychologie trifft.
Die Intoleranz gegenüber alternativen oder gegensätzlichen Überzeugungen verführt wiederum zu politischen Überzeugungen, die anderen Ansichten „keinen Fußbreit“ lassen wollen, sie für „keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ halten und darum verbieten wollen. Wer das Monopol auf eine politische Wahrheit für sich beansprucht, Andersdenkende verteufelt und aus dem Rennen um Wählergunst und demokratische Mitwirkung nehmen will, erweist sich damit auch als Verfassungsfeind: Feind der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Solche Feinde haben 2021 ihren langen Marsch durch die Institutionen erfolgreich abgeschlossen und instrumentieren bereits den Verfassungsschutz. Dieser sieht Extremisten überall dort, wo er sie auftragsgemäß sehen soll. Nur bei seinen politischen Instrukteuren sieht er ihn nicht.
[1] Bergsdorf, in: Backes, Uwe und Eckhard Jesse (Hrg.), Gefährdungen der Freiheit, Extremistische Ideologien im Vergleich, Göttingen 2006, S.182.
Bernhardt
dpa) – Der deutsche Verfassungsschutz darf die rechtspopulistische AfD bis zum Abschluss eines Eilverfahrens vor dem Kölner Verwaltungsgericht nicht als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und beobachten.
Das geht aus einem Beschluss des Gerichts hervor, der den Prozessbeteiligten am Freitag zugestellt wurde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) hatte die Verfassungsschützer der Länder diese Woche intern über eine Hochstufung der Partei zum Verdachtsfall informiert, öffentlich jedoch nichts dazu bekanntgegeben.
Klaus Kunze
Wenn das so die dpa-Meldung ist, ist sie typisch dafür. wie unser Medien systematisch täuschen. Wenn es heißt „Das geht aus einem Beschluss des Gerichts hervor“ und zuvor: „darf die rechtspopulistische AfD bis zum Abschluss eines Eilverfahrens vor dem Kölner Verwaltungsgericht nicht „, wird der Eindruck erweckt, das Gericht habe die AfD „rechtspopulistisch“ genannt. Davon steht dort aber kein Wort.
Bernhardt
Guten Tag Herr Kunze,
Tatsächlich, Sie haben natürlich vollkommen Recht!
Beim nochmaligen genaueren Lesen des Artikels fällt es ins Auge, die dpa-Meldung ist manipulierend geschrieben.
Mit freundlichen Gruß , Bernhardt