Union am Nasenring
Das Gleichheits-Paradigma ist der Nasenring, an dem die Grünen die biedermeierlichen Reste der einstmals so selbstsicheren Union durch die politische Manege ziehen. Als Kanzlerwahlverein hatte diese früher auch konservative und liberale Flügel. Sie wurden erbarmungslos weggestutzt oder klein gehalten wie Merz. Für die Merkel-Gefolgschaft gibt es auf dem Weg in die „andere Republik“ keine Haltegriffe mehr.
Alle Vierteljahrhundert probt der Linksextremismus den Aufstand und war ihm noch nie so nah wie heute. 1968 waren die nur schlecht maskierten Neokommunisten eine verlachte Minderheit. Nach der Wende orientierten sie sich um und boten ihre „systemüberwindenden Reformen“ in neuer Verpackung an. 2021 soll ihnen der Griff nach der Macht mithilfe der noch machtlüsterneren Union gelingen, das ist ihr fester Wille.
Marsch, marsch! in die andere Republik
Der harte Kern ihrer Ideenwelt war immer und ist noch heute verfassungsfeindlich. Er wird die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Buchstaben nach aufrechterhalten, aber seines freiheitlichen Elements berauben. Das Grundgesetz geht von der Idee freier, aber gleichberechtigter Bürger aus. Die autoritäre andere Republik der Grünen und anderen Linken wird aus der Gleichheit vor dem Recht eine faktische Gleichheit machen und von der Freiheit nichts übrig lassen.
Am 21. Februar 2021 habe ich hier ein aktuelles grünes Forderungspapier vorgestellt, unterzeichnet von Claudia Roth und Genossen. Es ist alter Wein in neuen Schläuchen. Schon 1992 hatten Grüne im Landtag von Niedersachsen mit der einen gemeinsamen Verfassungsentwurf vorgelegt und Bevorzugungen gefordert:
Hier hätte der letzte Satz in Absatz 4 den Gleichheitssatz aus Absatz 1 aufgehoben.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416> m.w.N.; BVerfG, Beschluß des Ersten Senats vom 21. Juni 2011 – 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 76). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; BVerfG, Beschluß vom 21.6.2011 – 1 BvR 2035/07 -). Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.
(Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 7.2.2012 – 1 BvL 14/07 –, BVerfGE 130, 240-262, Randnummer 40)
Der von Linken geplante „Ausgleich bestehender Ungleichheiten“ zur Homogenisierung der Gesellschaft ist aber kein verfassungsrechtlich zulässiger Grund für Privilegierungen. Ihr Vorhaben scheiterte damals. Heute greifen Grüne es wieder auf.
Die neuen Privilegierten
Es geht dabei schon lange nicht mehr um rechtliche Gleichheit. Was durch staatliche Bevorzugungen durch rechtliche Privilegierungen hergestellt werden soll, ist die reale Gleichheit. Aber
überall da, wo einer bevorzugt wird, wird ein anderer benachteiligt, denn zum Bevorzugen gehören immer zwei: der Vorgezogene und der Zurückgesetzte. So wird das rotgrüne Bevorzugungsmodell zum Zurücksetzungsmodell für alle die, die nicht das Privileg einer der so schön aufgezählten „tatsächlich bestehenden Ungleichheiten“ besitzen. Es sind eben doch immer manche „noch gleicher“ als die anderen.
Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1994, S.124.
Das strategische Ziel von Bevorzugungen und entsprechenden Diskriminierungen ist es, eine homogene Bevölkerung zu erzeugen, die in allen Belangen des Lebens gleiche „Teilhabe“ an den materiellen und immateriellen Gütern des Lebens hat. Es ist der Traum von der klassenlosen Gesellschaft, ersonnen von verschiedenen Utopisten und politisch von Rousseau, Marx und seinen Epigonen ausformuliert. Heute sind in dieser Utopie diverse „Minderheiten“ an die Stelle der Arbeiterklasse getreten.
Hieran schließt sich das Forderungspapier vom Februar 2021 nahtlos an und beginnt mit der frechen Behauptung, daß wir alle untereinander ungleich sind, habe „rassistische und sexistische Gründe:
Menschen erhalten heute aus rassistischen, sexistischen oder anderen Gründen schwerer Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnraum oder Gesundheitsversorgung. Das macht sich auch dadurch bemerkbar, dass in den Spitzenpositionen von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur viele Gruppen nicht oder kaum vertreten sind, und erst recht nicht so, wie es ihrem Anteil in der Bevölkerung entsprechen würde. Es schwächt die plurale Demokratie in Deutschland auf grundlegende Weise, dass das im Grundgesetz verankerte Gleichheitsversprechen der Demokratie für sehr viele Bürger*innen nicht zutrifft.
Forderungspapier, Februar 2021, Svenja Borgschulte, Timon Perabo, Gesine Agena, Philmon Ghirmai, Sebastian Walter, Claudia Roth, Filiz Polat, Aminata Touré, Bettina Jarasch, Barbara Unmüßig, Katharina Schulze, Dirk Behrendt, Canan Bayram, Ulle Schauws, Mekonnen Mesghena, Werner Graf, Katrin Langensiepen, Sergey Lagodinsky.
Ein „Gleichheitsversprechen der Demokratie“ sei im Grundgesetz verankert, entspringt freier Phantasie der grünen Autoren. Tatsächlich ist die vom Grundgesetz gemeinte Gleichheit eine Gleichheit vor dem Gesetz, nicht Gleichheit an Schönheit, Klugheit, Ansehen, Bildung, Geldbeutel oder Wohnraum. Zwischen Freiheit und realer Gleichheit besteht immer ein logischer Gegensatz. Wenn
dieselbe Verfassung neben der Gleichheit auch die Freiheit als Wertaussage enthält, dann polarisiert sie letztlich die Gleichheit durch die Wertaussage über den Menschen, gerade anders sein zu dürfen, ohne daß der Staat alles „gleichmachen“ und „gleichschalten“ darf.
Günter Dürig, Kommentar zum Grundgesetz „Maunz-Dürig-Herzog“, Lieferung 33, Randnummer 121 zu Art. 3 GG.
Der Anschein der Diversität
Die Idee, angeblich zu kurz gekommene oder „unterprivilegierte“ Minderheiten staatlich zu bevorzugen, ist nur verständlich im Rahmen eines Traumes von einer Gesellschaft, in der am Ende alle faktisch gleich sein sollen. Dieser Traum ist der Albtraum aller Menschen, die lieber frei als gleich sein möchten.
Scheinbar fordert der Gleichheits-Extremismus, diverse Minderheiten zu fördern. Man erweckt den Anschein, eine vielfältige, heterogene Gesellschaft zu wünschen. Der Anschein trügt aber. Wer Gleichheit als zentralen Wert versteht, muß Ungleichheit als Unwert behandeln. Er mißt dann nicht mehr einem Menschen einen Wert zu, sondern setzt die Gleichheit selbst als höchsten Wert. Das Gleichheitsparadigma bildet den Kern einer Ideologie, in der alles andere der Gleichheit unterzuordnen ist.
-Dostojewski schrieb, vollkommene Gleichheit gebe es nur unter Sklaven. Daran ist wahr, daß die Freiheit ganz von selbst zu einer ausdifferenzierten Gesellschaft führt. Gleichheit aber muß man erst erzeugen, indem man die einen quasi einen Kopf kürzer macht und die anderen passend dehnt. Das Kürzermachen verstanden schon die Gleichheitsfreunde der französischen Revolution vortrefflich. Nur mit dem Verlängern hapert es bis heute, weil eine Gesellschaft ohne Reiche oder Privilegierte leider immer auch eine Gesellschaft wurde, in der die Armen noch ärmer wurden.
Nur mit autoritärer Staatsgewalt kann „Gleichheit“ erzeugt werden. Der Weg der Grünen an die Macht wird von Verbotsschildern und von Ruinen gesäumt sein. Viele Menschen spüren das bereits: Sie sollen nicht schneller fahren dürfen als die Langsamen, keine bessere Altersvorsorge genießen als die ihr Lebtag Faulen, sie sollen keine Einfamilienhäuser bewohnen, wenn andere mieten müssen, und wer immer die freche Nase ein bißchen vorn hat, bekommt einen Dämpfer auf sie. Wer die Früchte seiner Leistung oder der seiner Eltern genießen möchte, dem werden sie als „Privilegien“ vergällt, vermiest, verboten.
Dieser unausrottbare und immer heftiger auflodernde Haß der demokratischen Völker gegen die mindesten Vorrechte begünstigt die allmähliche Zusammenfassung aller politischen Rechte in der hand des einzigen Staatsvertreters außerordentlich,
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika.
Denn es gibt ein
soziales Strukturgesetz, daß sich Gleichheit an der Basis der sozialen Pyramide und despotische Gewalt an deren Spitze wechselseitig bedingen. Die Tendenz zur Gleichheit der Einzelmenschen geht parallel mit der Tendenz zur Verstärkung der zentralen Macht. Am Ende eines solchen Weges steht dann die Diktatur, mindestens aber eine autokratische Führerpersönlichkeit. Und es fällt schwer, so viele autoritäre Führerpersönlichkeiten zu finden wie in marxistisch-kommunistischen Systemen, von Stalin über Chruschtschow, Ulbricht und Tito bis hin zu Ho-Tschi-minh, Fidel Castro und Mao Tse-Tung.
Günter Dürig, Kommentar zum Grundgesetz „Maunz-Dürig-Herzog“, Lieferung 33, Randnummer 153 zu Art. 3 GG.
Damit sind Namen von Vorbildern der Grünen gefallen. „Ho – Ho – Ho Tschi-minh“ habe ich von 1968 noch gut im Ohr. Es gibt keine Gleichheit ohne Zwang. Unter Herrschaft solcher Diktatoren waren die Überlebenden ihrer Säuberungen tatsächlich gleich – rechtlos wie die Sklaven Dostojewskis.
Für machtbesessene Egalitaristen gilt es, alles naturwüchsige Widerständige wie Familien und Völker zu beseitigen, aber auch die gesellschaftlichen Institutionen, die unsere Freiheit gewährleisten. Der Linksextremismus tritt mit dem Heilsversprechen an, gegen „Ungerechtigkeit“ zu kämpfen und die Gesellschaft „divers“ und vielfältig zu machen.
Dabei ist unübersehbar, daß das Interesse an den Minoritäten ein rein strategisches, instrumentelles ist. Die Antidiskriminierung, die mit dem Versprechen antritt, Minderheiten zu schützen und für Unterschiede zu sensibilisieren, schlägt in ihr Gegenteil um. Wenn Nationen, Kulturen und Geschlechteridentitäten lediglich soziale Konstruktionen oder kontingente Zuschreibungen sind, dann erübrigt, ja verbietet es sich, von Unterschieden auszugehen. Das Differenzdenken mündet in Gleichmacherei, die in ihrer Konsequenz und in ihrem Rigorismus jeden identitätspolitischen Ansatz weit übertrifft.“
Michael Esders, Sprachregime, 2020, S,112.
Schreibe einen Kommentar