Die Geschichte beschleunigt sich

„Panta rei“, wußten schon alte Griechen: Alles fließt. Der Generation unserer Eltern und Großeltern war das noch bewußter als vielen, die nach dem letzten Weltkrieg geboren sind. Manchen erinnerte der Lauf der Geschichte an eingeschlafene Füße: Das Ende der Geschichte sei gekommen, gurute Francis Fukuyama.

Die anscheinend nicht zu bremsende Bevölkerungsexplosion in Übersee und die erkennbare Endlichkeit der globalen Ressourcen beschleunigt Entwicklungstendenzen, die wir selbst in Gang gesetzt haben. Wem bestimmte Völker die ständige Verdoppelung ihrer Zahl letztlich zu verdanken haben, liegt auf der Hand. Ohne die Segnungen europäischer und amerikanischer zivilisatorischer Errungenschaften würden viele heute noch im geschichtslosen Schlummer ihrer Eingeborenenkulturen vor sich hin träumen.

Waren nicht auch wir glücklicher, damals, als im Europa der Steinzeit und Bronzezeit Jahrhundert um Jahrhundert vor sich hin floß, ohne daß sich im Alltag der Menschen etwas spürbar änderte? Man lebte ohne Plattenbauten, Atombombenarsenale, Giftmüll und Tarifverhandlungen vermutlich subjektiv und persönlich oft nicht minder glücklich als wir heute, trotz Donnerbalken, Zugluft im Gemeinschafts-Langhaus und der einen oder anderen Steinbeil-Keilerei mit den blöden Nachbarn vom Dorf nebenan.

Ich behaupte das auch vor dem Hintergrund ethnologischer Studien namhafter Anthropologen bei Resten heutiger sogenannter Indigener oder Urvölker in Afrika oder Südamerika. Die massenhafte Vermehrung von Menschen auf zu engem Raum hat auch in Deutschland zu immer deutlicheren zivilisatorischen Defiziten und sozialen Ausfallerscheinungen geführt. Wir sind viel zu viele, das ist gar keine Frage.

Die historischen Veränderungen, die sich abzeichnen, sieht nur derjenige nicht, der sie nicht sehen will. Kein historischer Zustand war jemals in Stein gemeißelt. Es gibt keine Sicherheit. Viele Deutsche leben noch mit einer Vollkasko-Mentalität: Gegen alles versichert, glauben sie, kann ihnen individuell nichts geschehen.

Es gibt keine Sicherheit

Es kann aber geschehen und geschieht auch, daß uns der Boden unter den Füßen wegbricht: der Boden unserer Zivilisation, unserer Kultur, unseres Rechtsstaats, unserer Demokratie, unserer Vorstellung von persönlicher Freiheit. Mancher braucht nur aus dem Fenster zu gucken, andere sehen es im Fernsehen.

Wir werden auch zahlenmäßig immer weniger. Ein Volk, das sich von Generation zu Generation halbiert, darf sich nicht wundern, wenn es am Ende von der Bühne der Geschichte abtritt. Die neuen Schauspieler stehen dem Welttheater schon bereit: viele haben sich in der Komparserie schon verschleiert.

Es war und ist immer alles im Fluß. Werden und Vergehen menschlicher Völker und Kulturen kennt keinen Endpunkt. Der Strom der Geschichte tröpfelt manchmal spärlich, kann aber zum Rinnsal oder auch zum reißenden Strom werden. Unter dem ständigen Zustrom unwägbarer Umstände bewegen sich die Menschen und Völker wie Algenklümpchen im Brunnen:

mal unten, mal oben, mal vergehend, aber auch immer wieder neu werdend. Und wenn die Wasserschnecke sich noch so sehr an dem Algenklümpchen festhalten möchte, findet sie doch keinen dauerhaften Halt.

Geschichtsphilosophen haben früher viel Unsinn erzählt: von einem angeblichen Anfang der Geschichte in einer kommunistischen Urgesellschaft, von einem fiktiven Gesellschaftsvertrag, von goldenen, silbernen und eisernen Zeitaltern, von Gesetzmäßigkeiten der Geschichte oder einem historischen Materialismus und dem schließlichen Paradies auf Erden oder von einem Ende der Geschichte. Das sind alles geistige Seifenblasen ohne Realitätswert, Strohalme der Hoffnung für das zagende Ich, das nach Trost und Sicherheit sucht.

Es gibt keine Sicherheit. Gibt es Trost? Tröstet es nicht, daß immer noch jeder seines Glückes Schmied ist? Wir werden zwar alle sterben. Aber kommt es nicht gerade darum nur darauf an, wie wir leben?

Die Spuren schwacher Menschen vergehen wie ihre Spuren im Sand. Starke Menschen aber schaffen, bauen und gestalten. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Laßt die Schwachen knien, der Starke steht und beugt sich nicht. Auf Knien herumzurutschen oder nackenbeugend den Hintern in die Luft zu strecken, ist nicht unsere Art. Demokraten tun so etwas nicht. Sie sind mündige Bürger und keine demütigen Untertanen.

Noch ist die Zukunft offen. Es liegt an den starken Personen, sie zu gestalten oder uns wie ein Algenklümpchen im Wasser irgendwann vergehen zu lassen. Der deutsche Regisseur Roland Emmerich hatte dem fiktiven US-Präsidenten im Kinofilm „Independence Day“ die Worte in den Mund gelegt: „Wir werden nicht schweigend untergehen!“

Nein, das werden wir nicht.