Die geschriebene Verfassung unseres Staates heißt Grundgesetz. In welcher Verfassung sich ein Gemeinwesen befindet, geht aber über die aufgeschriebenen Spielregeln weit hinaus.
Eine Staatsverfassung kann nur solange bestehen, wie sie der geistigen Verfassung seiner Bewohner und der materiellen Verfassung ihrer Lebensverhältnisse entspricht. Der Schweizer Philosoph Georg Kohler formulierte zu Recht:
Ordnung und kollektive Gesinnung, Institutionen und politische Kultur, müssen zueinander passen. Sie können einander befördern; sie können einander behindern (zuviel Kontrollmacht provoziert Sabotage und / oder den passiven Widerstand der Untertanen); gut geht das Ganze jedenfalls nur, wenn die objektiv-institutionelle Struktur und die subjektiv-bewußtseinsmäßige Moral aufeinander Bezug nehmen und etwa so in einem Wechselverhältnis stehen wie die Form und der Inhalt einer jeden gelungenen Äußerung menschlicher Kunstfertigkeit.
Georg Kohler, Bürgertugend und Willensnation, Zürich 2010, S.46.
Wenn es heutzutage in Berlin oder Hamburg mal wieder heftig kracht, passen offenbar für die linksextremistischen Milieus ihre Gesinnung und unsere staatlichen Institutionen nicht mehr zueinander. Die Staatsgewalt verkörpert sich in den Polizeibeamten, die auf der Straße unsere öffentliche Sicherheit und Ordnung schützen. Darum bilden sie seit Jahrzehnten das bevorzugte Haßobjekt der Kommunisten in allen ihren unterschiedlichen Rot-Tönen.
Die Mitte der Gesellschaft hat sich in ihren Eigenheimen, behütet von ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, eingeigelt, steht hinter der Gardine und wartet ab, welche Fahne morgen über unserem Lande wehen wird. Weil sie sich an deren Verteidigung nicht aktiv und kämpferisch beteiligt, bröckelt sie und ist löcherig geworden. Linksextremistische Parolen und Denkfiguren haben bereits staatliche Institutionen wie die öffentlich-rechtlichen Medien erobert.
Jedes Volk hat die Staatsform, die es verdient. Gegen den entschiedenen und anhaltenden Widerstand einer großen Mehrheit hat sich noch kein System auf Dauer halten können. Eine demokratisch und friedlich gesinnte Mehrheitsgesellschaft kann sich noch gegen einen extremistischen Straßenmob verteidigen – wenn sie dazu entschlossen ist. Diese Kräfte können erlahmen, wenn die rechtstreuen, friedlichen und ruhigen Bürger vor allem darum so friedlich und so ruhig geworden sind, weil sie das Straßenleben vor dem Fernseher im Altersheim verfolgen.
Unterdessen tobt sich in manchen Vierteln mancher Städte ein halbstarker Mob aus, der vor Jugendkraft kaum laufen kann. Viele rechnen sich wenig Chancen aus, jemals durch Arbeit zu Wohlstand, Ansehen und einem guten Leben zu kommen, und manche haben auch gar keine Lust dazu.
Wenn sich eine Menschenmasse zusammenballt und in Aktion tritt, kann sie zur Meute werden. Es bildet sich keine Schwarmintelligenz. Wie eine Karawane nicht schneller sein kann als das Lahmste der Kamele, ist ein Mob niemals schlauer als das dümmste seiner Mitglieder. Wer auch nur ein bißchen von dem Mob in der französischen Revolution und seinen Bestialitäten gelesen hat, wußte schon immer, was Friedrich Schiller meinte, hier würden „Weiber zu Hyänen“. Wer in den letzten Tagen die Bilder tobender Meuten in den USA und Städten wie Paris oder Berlin gesehen hat, kann diese auch historisch einordnen.
Eine Monarchie kann nicht bestehen ohne Monarchisten und eine Demokratie nicht ohne Demokraten, die sie als Lebensform leben und verteidigen. Der Kardinalirrtum reaktionärer Nostalgiker hat oft darin bestanden, weil es früher so schön gewesen sei, könnte es wieder so werden. In unserer Kaiserzeit hatte das Volk seinen Kaiser geliebt. Die Staatsform paßte zu den Gefühlen der Menschen. Sie blieben ihrem Kaiser oft innerlich treu über die Weimarer Jahre, das Dritte Reiche bis in die Bundesrepublik. Solche treuen Deutschen kannte ich. Mit der großen Masse der Menschen, wie sie eben seit 1918 waren, hätte aber keine Monarchie wieder eingeführt werden können.
Eine Staatsform funktioniert nicht ohne den auf ihr System, ihre Verfassung gerichteten Bürgersinn.
Berühmt ist die aristotelische Lehre vom Kreislauf und Verfall der Verfassungen, die wesentlich von der notwendigen, aber allemal prekären Wirklichkeit der geforderten Bürger- und Herrscherqualitäten abhängt. Fehlen diese Tugenden und regiert statt dessen nur der individuelle Eigennutz, dann wird die (gute) Monarchie zur (furchtbaren) Tyrannei, die Aristokratie, die diesen Namen verdient, zur ungerechten Oligarchie, und die „Politie“, also die mehr doer weniger demokratische Selbstregierung verantwortungsbereiter und -fähiger Polisbürger, wird zur „Ochlokratie“, zur Pöbelherrschaft.
Georg Kohler, am angegebenen Ort, S.47.
Ein solcher Pöbel kann sich ungehemmt austoben, wenn die rechtstreuen Bürger feige hinter der Gardine stehenbleiben und ihm freien Lauf lassen. In Berlin liebäugelt die linksradikale Regierung heimlich mit Forderungen linksextremistischer Randalierer. Statt die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen und den Rechtstaat walten zu lassen, stellen sie die Hüter unserer rechtsstaatlichen Ordnung unter „rassistischen“ Generalverdacht.
In Mecklenburg sitzt jetzt eine Altkommunistin ausgerechnet im Verfassungsgericht, in Thüringen sogar einer in der Regierung. Täglich tönen die ideologischen Stichworte des Neomarxismus aus den Lautsprechern unserer Radios und Fernseher. Selbst Demokraten plappern sie nach. Heute früh erkärte die angeblich liberale Leutheusser-Schnarrenberger auf DLF-Kultur, der Begriff „ethnisch“ sei aus dem Rassismus erwachsen. Auf solche geistigen Kniefälle vor dem Neomarxismus folgen die körperlichen, in denen allerdings linke Politiker in Deutschland schon historische Vorbilder und Erfahrungen haben.
Nicht zufällig hatte sich historisch immer nur in städtischen Milieus aus Pöbel der gewalttätige Mob geformt. Mit der Verrentnerung unseres Landes und den Menschenmassen in den Städten hat sich wiederum ein Pöbel herausgebildet, wie er 1789 in Paris und später anderswo Grueltaten verübt hatte. Weil Mob sich nie aus sich selbst heraus lenkt, führte das historisch immer zu totalitären Diktaturen derer, die sich das von Gewalt und Terror verursachte Machtvakuum zunutze machten.
Wer morgens um halb fünf aufsteht, seine Hühner, 5 Schweine und 5 Kühe versorgt, danach in die Fabrik fährt und nach Feierabend wieder füttert und das Land bestellt, kommt nicht auf dumme Gedanken. Er hat oft und viel freien Himmel über sich und eine innige Beziehung zu dem Verhältnis von Ursache und Wirkung: Was ich heute anbaue, esse ich morgen. Mein Schwiegervater lebte und lebt ein solches Leben. Von Kindheit an mußte er als Kriegswaise auf eigenen Beinen stehen.
In Berlin soll eine strukturelle Mehrheit bereits nicht mehr imstande sein, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu fristen. Als Sozialstaatsuntertanen ist diesen Menschen jede Selbständigkeit und der Gedanke an Eigenverantwortung fremd geworden. Sie sind in keinem Land mehr verwurzelt und haben nichts, das sie als ihr Eigenes betrachten und vor fremdem Zugriff schützen könnten. Ihre Identität ist beliebig austauschbar und verbindet sich nicht einer Heimat, Familie oder einem Vaterland.
So können ihnen geistige Minenleger leicht Ersatzidentitäten anbieten als Frauen, als Schwule, als Antifas oder irgend etwas anderes noch Abgedrehteres, das sich jedenfalls immer angeklagend und haßerfüllt gegen „die Gesellschaft“ richtet. Vervollständigt wird das neue Proletariat durch regelmäßigen Nachzug Entwurzelter aus aller Herren Länder. Die politischen Profiteure erkennen, daß ihnen jede Vergrößerung der leicht aufhetzbaren Menschenmasse nützt. Ohne hier zu weit zu schweifen: Schon das alte Rom stürzte, als die genügsamen bäuerlichen Römer mit ihren Staatstugenden immer weniger wurden und am Ende die amorphe Masse Entwurzelter sie übertraf. Die Res publica zu verteidigen war nicht ihre Sache.
Die geplünderten, flammenden Geschäfte in den USA, nach Wunsch der Antifa auch bei uns, bilden die „Flammenschrift an der Wand“ eines Menetekels, wie es dem Belsazar in der Nacht vor seiner Ermordung in Babylon erschienen sein soll. Unsere politische Klasse weiß diese Zeichen nicht zu deuten. Während unsere Demokratie mit wehenden fiskalischen Fahnen politisch den Bach runtergeht, feiern sie in ihren Luxuskabinen Sektparties, soweit sie nicht aufgrund sehr spezieller Neigungen auf ganz speziellen Parties ihr kurzlebiges Vergnügen suchen. Und
gemeinsam fahren alle, mit aufrührerischen Geschrei, auf dem geräumigen Schiff ohne Kapitän die schmutzigen Stromschnellen des großen Flusses hinab, mit schrecklichem und jähzornigem Jauchzen wie eine meuternde Besatzung. Und sie wissen nicht, wohin sie fahren, noch woher sie kommen, noch wie das Schiff heißt, das sie trägt, noch welcher Wind sie voranstößt. Wenn sich von Zeit zu Zeit eine düstere, prophetische Stimme erhebt und ruft: „Wehe den Schiffern! Wehe dem Schiff!“, so hält das Schiff doch nicht an, noch hören die Schiffer zu; und die Wirbelstürme rasen heftiger und das Schiff beginnt, in den Spanten zu ächzen, und weiter gehen die unzüchtigen Tänze und die üppigen Gelage, die Salven irren Gelächters und das wahnsinnige Lärmen, bis, in einem feierlichen Augenblick, dies alles plötzlich endet: die üppigen Gelage, die Salven irren Gelächters, das Ächzen des Schiffes und das Heulen der Wirbelstürme. Über all das breiten sich die Wasser, und die Stille ist über den Wassern, und Gottes Zorn ist über den stillen Wassern.
Juan Donoso Cortéz, Essay über den Katholizismus, den Liberalismus und den Sozialismus, 1851, S.72.
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