Die Spatzen pfeifen es von den Dächern
Ein Topf mit Suppe auf dem Herd beginnt von unten zu blubbern. Die ersten Blasen bilden sich von unten, wo es zuerst heiß und unerträglich wird. Bevor die erkalteten Fettaugen oben endlich in Bewegung geraten, brodelt der ganze Topf. Und wenn der Deckel zu fest drauf sitzt, fliegt er dem verschlafenen Koch um die Ohren.
In Dresden prophezeite mir eine Kellnerin zu Füßen der Frauenkirche, es komme ein Bürgerkrieg. Das hat mich verblüfft. Wenige Tage zuvor erst hatte ich diese Möglichkeit hier anhand von Ray Galios Buch „Weltordnung im Wandel“ erläutert.
Die Kellnerin hatte das nicht gelesen. Aber an die Wende 1989 konnte sie sich gut erinnern. „Das können wir auch noch mal!“ Die wirtschaftliche Not werde steigen. „Das lassen wir uns nicht gefallen!“ Noch jede Regierung strauchelte, die ihren Bürgern nicht das Brot auf dem Teller ließ. Frieren für Habeck? Nein danke! Die Spatzen pfeifen von den Dächern: Der Aufstand kommt!
Der Salamiverkäufer auf dem Herbstmarkt sieht eine „Revolution“ nahen. Seine Augen blitzten. Ich entgegnete, im Westen sei die Stimmung noch nicht so ausgeprägt. Der Mann war wütend: Jetzt säßen die Sozialisten schon wieder oben. Er war aber zugleich entschlossen und furchtlos. In DDR-Zeiten hätte man Ostsachsen für das Tal der Ahnungslosen gehalten: kein Westfernsehen zu empfangen. Ist heute der alte Westen das Tal der Ahnungslosen?
Es heißt, die satten und glücklichen Knechte seien die größten Feinde der Freiheit. Werden sie demnächst nicht mehr satt, selbstzufrieden und glücklich sein? Und wer fühlte nicht, wie die uns verbliebenen Restbestände freien Denkens, freier Rede und diskriminierungsfreier Offenheit wegschmelzen wie Butter in der Sonne? Sich anders als linientreu zu äußern, zieht für Prominente ein schnelles Karrieende nach sich. Nicht gegendert? Die dämlichen Stern***chinnen vergessen? Klausur im Eimer! Dem randalierenden Asylanten gesagt, er sei hier im Lande nur zu Gast? Der Schutzmann kann seine Uniform an den Nagel hängen. Wo leben wir eigentlich inzwischen hier?
Das Frage ich hier zwei Ökonomen, den hochkarätigen Wissenschaftler Mancur Olson (1932-1998) und den Hedfond-Kapitalisten Ray Dalio (*1949).
Seit Beginn der Geschichtsschreibung kontrolliert in fast allen Gesellschaften ein sehr kleiner (allerdings unterschiedlicher) Prozentsatz der Bevölkerung (die ‚herrschenden Klassen‘ oder ‚die Eliten‘) den größten Teil des Vermögens und der Macht. […] Infolge dessen setzt sich die innenpolitische Führung stets aus bestimmten Klassen von Menschen zusammen, die über Wohlstand und Macht verfügen und in symbiotischer Beziehung miteinander stehen, damit die bestehende Ordnung erhalten bleibt.
Ray Dalio, Weltordnung im Wandel, Vom Aufstieg und Fall von Nationen, 2022, S.119.
Heute besteht die symbiotische Beziehung zwischen Kapitalisten und rotweintrinkenden Salonsozialisten mit ihrer Anhängerschaft aus Woken, Klimaneurotikern, Transen und Möchtegern-Gesellschaftsingenieuren in Presse, Funk und Fernsehen. Nichts an ihnen ist „Elite“ in des Wortes Bedeutung. Man muß keine Ausbildung und keinen Verstand haben, um Minister zu werden. Es genügt, die richtigen bunten Seifenblasen aufsteigen zu lassen. Ohne den Segen des ganz großen Geldes wäre das alles nicht möglich. Regenbogenfahnen vor Konzernzentralen sind kein Zufall. Ihr globaler Markt braucht amorphe, austauschbare Konsumenten und funktionierende Beschäftigte.
Auf Detailfragen wie die Fortexistenz und die Wohlfahrt des deutschen Volkes kann man dann leider keine Rücksicht mehr nehmen. In multikulturellem Rausch interessiert auch das Grundgesetz unsere neuen Herrscher nicht mehr. In Hannover werden Deutsche jetzt offen benachteiligt: Ein Drittel der städtischen Bediensteten müssen Ausländer sein. Der verfassungsmäßige Rechtsanspruch auf „gleichen“ Zugang zu allen öffentlichen Ämtern wird beseitigt. Er besagte, daß der am besten Geeignete eingestellt wird. Deutsche Obdachlose stehen staunend in Hamburg vor kostenlosen Neubauwohnungen – „nur für Ausländer“.
Als unsere neue Obrigkeit sich auf Demonstrationen noch als forschrittlich bezeichnet hatte, versammelte sie sich auch hinter Spruchbändern wie „Deutschland verrecke!“ oder „Nie wieder Deutschland“. Man hatte damals gelächelt, die würden sich schon noch beruhigen. Über ein gewisses Buch namens „Mein Kampf“ hatten viele auch bis 1933 gelächelt. Ihnen ist das Lächeln vergangen.
Viele Deutsche hegen den Verdacht, daß man uns alles nehmen will: unser Volkstum, unsere Geistesfreiheit, unseren Wohlstand, unsere Vermögen. Sie werden darum kämpfen:
Auseinandersetzungen oder Kämpfe zwischen denjenigen, die den Wohlstand groß angelegt umverteilen wollen, und den Gegnern eine solchen Umverteilung sind unvermeidlich.
Ray Dalio, Weltordnung im Wandel, Vom Aufstieg und Fall von Nationen, 2022, S.52.
Die bis neulich vertrauenerweckendste Institution unseres Staates war das Bundesverfassungsgericht. Umfragen zufolge ist sein Ansehensverlust dramatisch. Es brockte uns ein Urteil ein, demzufolge sich verfassungswidriger Gedanken verdächtig macht, wer für den ethnischen Erhalt des deutschen Volkes eintritt. Beginnt unser Staat sein eigenes Volk zu zerstören?
Die politmediale Funktionselite scheint sich nach ihrer Machtergreifung in einen permanenten Machtrausch zu steigern, in die permanente Revolution, von der sie als Alt-68er einst geschwärmt hatten. Wie 1933 muß eine Machtergreifung nicht außerhalb der bisherigen verfassungsmäßigen Formen vonstatten gehen. Sie geschah damals „legal“ – dem Buchstaben nach. Heute ist auch alles „legal“ – belehren uns unsere höchsten Richter. Schützen uns unsere verfassungsmäßigen Institutionen noch, oder wen?
Wie steht es denn mit unserer so wichtigen Gewaltenteilung? Funktionieren nicht Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung unabhängig? Oder bilden sie einen einzigen Filz aus immer denselben Fäden: roten, grünen, schwarzen, immer schön nach Proporz? Stellen wir uns einfach mal vor, im Jahre 1820 hätte jemand in Deutschland „Gewaltenteilung“ eingeführt: Regiert hätte ein Fürst Metternich, die Gesetze hätte Freiherr von Reitzenstein gemacht und zum obersten Gerichtsherrn wäre Fritz von Zitzewitz ernannt worden. Irgendwas wäre daran faul, nicht wahr? Aber daß unsere Institutionen alle von Funktionären aus denselben Ställen geführt werden, wundert scheinbar keinen.
Haben die Institutionen sich überlebt?
Nach zu langer Zeit überholen Institutionen sich und müssen erneuert werden. Das mahnte der verstorbene Mancur Olson an:
Wir können nun klarer erkennen, daß die Überzeugung einiger Konservativer, soziale Institutionen, die lange Zeit überlebt haben. müßten notwendigerweise nützlich für die Gesellschaft sein, falsch ist.
Mancur Olson, The Rise and the Decline of Nations, Yale University 1982, deutsch: Aufstieg und Niedergang von Nationen, 2.Aufl. Tübingen 1991, S.187.
Und er setzt erbarmungslos fort:
Wir können jetzt besser Thomas Jeffersons Bemerkung würdigen, daß »der Baum der Freiheit von Zeit zu Zeit mit dem Blute von Patrioten und Tyrannen aufgefrischt werden muß.«
Nach der Machtergreifung der Linksextremisten im Kabinett Scholz hat sich eine Verteilungskoalition unser Land zur Beute gemacht und vergibt kalt lächelnd ihre Pfründen: ein Pöstchen hier, ein Milliönchen aus dem Topf „gegen Rechts“ dort, eine Quote für Frauen, die andere für Ausländer, alles fest im Griff. Solche Verteilungskoalitionen würgen die wirtschaftliche Prosperität auf lange Sicht immer ab, schreibt Olson, was zum Niedergang einer Nation führe.
Um einen einprägsamen Ausdruck von Marx zu borgen, es gibt einen »inneren Widerspruch« in der Entwicklung stabiler Gesellschaften. Das ist nicht der Widerspruch, den Marx beanspruchte gefunden zu haben, sondern vielmehr ein innewohnender Konflikt zwischen den großartigen ökonomischen und politischen Vorteilen von Frieden und Stabilität und den längerfristigen Verlusten auf Grund des anwachsenden Netzwerks von Verteilungskoalitionen, die nur in stabilen Umwelten überleben können.
Mancur Olson, The Rise and the Decline of Nations, Yale University 1982, deutsch: Aufstieg und Niedergang von Nationen, 2.Aufl. Tübingen 1991, S.192.
Eine der bizarrsten Blüten des Liberalismus ist die Pluralismustheorie, jahrzehntelang unsere halboffizielle Staatsideologie. Unser System, besagt sie, sei so stabil, weil es eine „offene Gesellschaft“ bilde und für jede demokratische Modifikation empfänglich. Es könne sich beliebig biegen und darum nicht brechen. Der Glaube, ein offenes System zu sein und sich ständig verändern und Zeitproblemen anpassen zu können, täuscht. In diesem Kern seines Anspruchs ist er durch die Wirklichkeit widerlegt. Anpassungsfähig ist er nur in den Methoden zur Erhaltung und Stabilisierung seiner eigenen Macht. Ein Gemeinwesen kann sich aber immer nur eine bestimmte Zeitlang ein System leisten, dessen Führungsoligarchie eine geschlossene Gesellschaft bildet, nur noch ihren Gesetzen gehorcht und als Minderheit auf Kosten des Ganzen schmarotzt.
Soll das Ganze nicht schweren Schaden nehmen, erzwingen die Verhältnisse einen Systemwandel zur Ablösung der alten Machtelite und Durchsetzung eines Politikwechsels. Der Elitenwechsel pflegt nicht eine völlige Auswechslung der gesamten Führungselite zu sein, sondern ein Prozeß der Verschmelzung stets neuer Anwärter mit vorhandenen Eliten.
Die Revolutionäre von heute werden dann die Reaktionäre von morgen.
Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 1911, 4.Aufl.Stuttgart 1989, S.352, 196.
Adlige Vertreter früherer Untertanenstaaten standen dem Pöbel zuweilen mit stiller Verachtung gegenüber, bewahrten dabei aber Stil. Adel verpflichtet. Unsere neuen Herrscher verachten uns ebenso, aber mit einer Art Arroganz aus der Biotonne, der Verachtung einer Küchenhilfe, die besser Kartoffeln schälen kann als der Professor von der Charité. Die geistigen Welten der Bildung sind ihr fremd, doch die Gleichheitsparolen hat sie gut auswendig gelernt.
System für die Ewigkeit?
Deutschland hat sich schon zu lange vor grundsätzlich neuem Denken und nonkonformistischen Geistern abgeschottet. Irgendwann muß unweigerlich der Zeitpunkt kommen, an dem die Verhältnisse neue Lösungen erzwingen und andere Menschen sie durchsetzen werden, oder das Gemeinwesen zusammenbrechen wird.
Systeme sind nicht für Ewigkeiten da. Sie müssen die ständig erforderliche Innovation an Gedanken und Problemlösungsstrategien gewährleisten, eine permanente Evolution. Verfassungen als juristisch fixierte Problemlösungskonzepte müssen sich zwangsläufig wandeln können und mit den Problemen kommen und gehen. Da offenbar jedes System zum Gegenteil neigt, nämlich zum Beharren auf sich selbst und auf vergangenen Perspektiven, muß notfalls im Abständen ein ganzes System über Bord geworfen und ersetzt werden, um den unabdingbaren Wandel zu erzwingen. Das gilt gegebenenfalls für jedes System. Wo es verhindert wird, befindet das Gemeinwesen sich in höchster Gefahr. Manchmal kommt sogar
der Untergang von Staaten daher, daß sich ihre Verfassungen nicht mit den Zeitnotwendigkeiten ändern.
Niccolò Machiavelli, Discorsi, I.Buch, 11. Kapitel, Deutsche Gesamtausgabe, Hrg. Rudolf Zorn, 2.Aufl.1977, Buch III Kap.9.
Der Wechsel der Staatsformen ist aufgrund der sich ändernden Zweckmäßigkeiten „nötig, da es bisher noch nicht gelungen ist, dem Gemeinwesen eine Ordnungsform zu geben – zumal nicht von Beginn an -, die allen Herausforderungen im Politischen begegnen kann; und der Wechsel der Staatsformen aufgrund der unveränderlichen menschlichen Grundkonstanten ist leider unvermeidbar, da sich weder der Mensch ändern noch ein Gemeinwesen errichten läßt, das alle zufriedenstellt.“[1]
Die spannenden Systemfragen lauten: Sind Systeme für Menschen da oder Menschen für Systeme? Müssen wir bis zum Untergang dem System dienen, oder haben wir die Freiheit, ein uns dienliches System zu wählen? Die staatlichen Spielregeln unseres menschlichen Zusammenlebens bilden ein solches „System“. Wenn man die Menschenwürde, wie sie an die Spitze des Grundgesetzes gestellt worden ist, zum Maßstab nimmt, kann die Antwort nur lauten: Staatssysteme sind für die Menschen da und niemals etwa die Menschen für das System.
Ein System, mit dem wir uns selbst abschaffen, muß reformiert werden. Wir werden es erleben, ob sich die nächste Wende als Reform auf Grundlage bisheriger Institutionen vollziehen wird, als Revolution oder als Bürgerkrieg. Doch: Wir werden nicht schweigend untergehen!
[1] Markus Klein, Machiavellis Lageanalyse, in: Politische Lageanalyse, Festschrift für Hans-Joachim Arndt, 1993, S.129, (144 f.).
Uwe Lay
„Wer stellt die Systemfrage?“ Eine deplatzierte Antwort: Die Eurokraten trauen ihrem eigenen System nicht mehr so recht und darum werden vorsorglich (?) die demokratischen Rechte der Bürger beschnitten bzw Vorsorge getroffen, sie beschneiden zu können. Der liberale Rechtsstaat deliberalisiert sich selbst. Und der Sozialstaat, so gepriesen, kann nun auch nicht mehr die Wohlfahrt für alle garantieren, das Volk wird jetzt auf Verzicht, den Gürtel enger schnallen, auf den Konsumverzicht eingeschworen und das obgleich doch die „soziale Marktwirtschaft“ der Garant für das Wohlergehen aller war. Man glaubt seiner eigenen Ideologie nicht mehr und akzeptiert so das Ende des Funktionierens dieses Marktwirtschaftsmodelles.