„Unsere Demokratie“ zwischen Parlamentarismus und Plutokratie
Unser politisches Establishment ist links und findet dabei sein finanzielles Auskommen. Das vom ursprünglich Kölner Soziologieprofessor Robert Michels schon 1911 geprägte Schlagwort vom ehernen Gesetz der Oligarchie hat sich wieder einmal erfüllt:
Was die da oben als „unsere Demokratie“ mit Zähnen und Klauen verteidigen, ist tatsächlich: ihre Demokratie. Sie haben das politische System so genannt, weil der Begriff massentauglich ist und vielversprechend klingt. Wollten nicht schon die USA die ganze Welt safe for democracy machen? In Deutschland ist es ihnen gelungen.
Ihre politischen Lizenznehmer legten uns 1948 ein System nahe, das bei theoretischer sozialer Durchlässigkeit doch gewährleistet, daß unser Land von einer mehr oder weniger großen politisch-medialen Funktionselite geleitet wird. Wer dazu gehören will, muß in ihrem totalen Parteienstaat so werden, wie die anderen da oben schon sind. Die Gesichter im Fernsehen wechseln gelegentlich, aber das System bleibt stabil. Deutsche mögen Stabilität und daß ihnen jemand das eigenständige Denken abnimmt. Das waren sie vor 1948 schon zwölf Jahre so gewohnt.
Daß „Demokratie“ verfassungsrechtlich nicht unsere Staats- und Regierungsform ist, weiß jeder Drittsemester. Unsere Staatsform ist Republik, und die Regierungsform ein Parlamentarismus, in dem der Bundestag das letztlich allmächtige und allzuständige Staatsorgan ist. Letztlich heißt: Spätestens im Ausnahmezustand, also wenn er will, kann der Bundestag von seiner Kompetenz-Kompetenz Gebrauch machen, seine Zuständigkeit also beliebig ausdehnen. Mit einer von ihm gewählten Regierung[1] und von ihm ausgesuchten Bundesverfassungsrichtern beantwortet sich auch die Frage einer Gewaltenteilung von selbst.
Und im Innern dieses Parlaments herrschen Staatsparteien des Parteienstaats. Sie machen im Hinterzimmer in Koalitionsrunden vorher unter sich aus, was der Bundestag später beschließt. Nach Robert Michels ehernem Gesetz der Oligarchie üben in jedem Herrschaftssystem nur wenige wirkliche Macht aus.[2]
Man hat errechnet, daß die Anzahl der Aristokraten im zaristischen Rußland, der ausschlaggebenden Lobbyisten in den USA und der Nomenklatura in der Sowjetunion mit 4%-6% der Bevölkerung immer annähernd gleich ist.[3] Im Parteileben läßt sich die Beobachtung machen, daß mit fortschreitender Entwicklung die Demokratie wieder eine rückläufige Bewegung macht. Mit zunehmender Organisation ist die Demokratie im Schwinden begriffen.
Robert Michels, Soziologie des Parteienwesens, 4.Aufl. 1989, ISBN 3-520-25004-7, S.26.
Durch ein System wechselseitiger Abhängigkeiten sind diese Parteipolitiker verflochten mit einem sie stützenden politisch-medialen Komplex, den sie Zivilgesellschaft nennen. Zu ihr zählen sie die üppig gedeihende Landschaft aus Nichtregierungsorganisationen, die in der laufenden Legislaturperiode mit hohen Millionenbeträgen aus unseren Steuergeldern bezahlt wird und die alles das tun, was ein poltisch neutraler Staat von Rechts- und Verfassungs wegen nicht darf: Die Indoktrination des Wahlvolks mit der Ideologie ihrer Herrscher bis hin zur Meinungskontrolle durch dubiose „Trusted Flaggers“ und ähnliche „Gatekeeper“, Blockwarte des politisch Korrekten und Zensoren der auf Internetplattformen öffentlich verbreiteten Meinungen.
Liberalismus und Finanzkapitalismus
Die erwünschte Staatsmeinung leitet sich aus Prämissen des Liberalismus ab. Dessen Philosophie beruhte ursprünglich auf dem metaphysischen Glauben an eine „unsichtbare Hand“, die das wirtschaftliche Gemeinwohl erzeugt, wenn man allen Akteuren freie Hand läßt. Sie erzeugt auch eine Art Surrogat von „Wahrheit“, wenn man alle Akteure in herrschaftsfreiem Diskurs zu Wort kommen läßt, wie die Diskurstheorie des hochdekorierten Staatsphilosophen Habermas behauptet.
Beide, die metaphysische Legitimierung als Liberalismus und ihre politische Ordnungsform Parlamentarismus, dienen letztlich der Aufrechterhaltung eines bestimmten Status quo, in dem sich die faktische Machtposition derjenigen normativ ausprägt[4] und stabilisiert, die ihren ökonomischen Vorteil aus einer Wirtschaftsverfassung ziehen,[5] in der ein freies Spiel der Kräfte weitestmöglich ist. Für diese Wirtschaftsform hat sich die Bezeichnung Kapitalismus eingebürgert.
Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1995, S.15.
Gegen soziale Markwirtschaft innerhalb eines Binnenmarktes ist politisch nichts einzuwenden. Dessen zu Wohlstand führende Spielregeln werden aber unterlaufen durch einen global agierenden reinen Finanzkapitalismus. Er führte die urliberale Metaphysik der unsichtbaren Hand ad absurdum.
Es verhilft den Bewohnern eines Landes keineswegs zu Wohlstand, wenn Finanzoligarchen global agieren, deren Vermögen höher als die Staatshaushalte von Staaten sind.
Auch die freie Meinungsäußerung als tragende Funktionsvoraussetzung jeder „demokratischen Willensbildung von unten nach oben“[6] wird zur Farce, wenn der Bevölkerung von Staatssendern vornehmlich genau die Meldungen serviert werden, die sie hören soll, während die Prediger und Sinnstifter in den Medienhäusern sie ideologisch vorkauen und nachbereiten.[7]
Ausländer? Gastarbeiter? Flüchtlinge? Migranten? Geflüchtete? Welcher Euphemismus gilt diese Woche?
„Herrschaftsverhältnisse sind längst „Definitionsverhältnisse“[8] Die Macht liegt heute dort, wo die Formeln und Begriffe entstehen, mit denen die Leitmedien Wirklichkeit beschreiben, und wo so auch bestimmt wird, wo wir hinschauen und wo nicht.[9]
Michael Meyen, Der dressierte Nachwuchs, Berlin 2024, ISBN 978-3-910568-6, S.15.
Zu den Leitmedien zählen nicht nur die öffentlich-rechtlichen, sondern auch rein privatrechtlich strukturierte. Wenn ein großer Teil unserer Presse direkt oder indirekt der SPD gehört, schließt sich der Kreis. Folgt man der Spur des Geldes, findet man die großen Mitspieler im Hintergrund: häufig in Übersee wohnende Finanzoligarchen, die durch ihre NGOs und vielerlei Stiftungen, Beteiligungen und personellen Verflechtungen von außen in innerstaatliche Willensbildungsprozesse eingreifen.
Zwei Busse, sagt Mathias Bröckers. Zwei Busse würden reichen, um die 80 Menschen auszunehmen, „denen die Hälfte der gesamten Welt“ gehört und die bei Bröckers wahlweise „Multimillardäre“ oder „Oligarchen“ heißen und an einer Stelle auch „Herren des plutokratischen Neofeudalismus, der unsere (fassaden-)demokratischen, (pseudo-)martktwirtschaftlichen, (a-)sozialen Gesellschaftssysteme unter Kontrolle hat.[10]
Michael Meyen, Der dressierte Nachwuchs, Berlin 2024, ISBN 978-3-910568-6, S.20.
Ausgerechnet die Allerreichsten sind so mächtig, weil der parlamentarische Liberalismus ein Gewaltmonopol für seinen Staat reklamiert und alle anderen Machtmittel außer Anwendung gesetzt hat.
Die Wahnidee, durch immerwährendes Gespräch ließe sich irgendeine Art von Wahrheit finden oder ließen sich reale Interessengegensätze aufheben, dient als Beruhigungspille für alle, die als Denker viel klüger, als Kämpfer viel stärker, als Kavaliere viel edelmütiger, als Philosophen viel moralischer, als Priester viel gläubiger oder als Künstler viel schöpferischer wären als diejenigen, die alle anderen durch einen einfachen Trick von Denkern, Kämpfern, Kavalieren, Philosophen, Priestern oder Künstlern zu Verbrauchern herabgewürdigt haben. Sie alle zählen jetzt nichts mehr in ihren besten Anlagen und gehorchen der Alleinherrschaft des schnödesten aller Machtmittel: des Geldes. Wo der zahnlose Diskurs zur alleinigen Moral erhoben wird, die finanzielle Beherrschung anderer aber erlaubt bleibt, herrschen diejenigen, die finanziell zubeißen können. Darum ist die Habermas’sche Diskurstheorie die „Rechtsphilosophie für den moralisierenden Handelsstaat.“[11]
Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1.Aufl. 1995, ISBN 3-924396-43-4., S.171
Damit werden in einem „plutokratischen Neofeudalismus“ (Mathias Bröckers) automatisch die reichsten Leute zu den Mächtigsten, weil sie mit ihrer Geldmacht die internen Spielregeln einzelner Staaten unterwandern und diese nach ihren Bedürfnissen subtil lenken können – wenn, ja wenn sie sich nicht irgendwann mit ihren Ambitionen gegenseitig auf den Füßen stehen. Dann entbrennen Geld- und Propagandaschlachten wie zwischen Bill Gates und Elon Musk, von denen zur Zeit der eine den hinter Joe Biden stehenden linksliberalen Deep State stützt, der andere sich aber für Trump entschieden hat. Seit seiner feindlichen Übernahme von Twitter sind sich Musk und das linke amerikanische Politestablishment nämlich spinnefeind.
Dieses verdient an der liberalen Einwanderungspolitik und der Biden’schen Kriegspolitik in der Ukraine nämlich hervorragend. So nimmt es nicht Wunder, daß der deutsche Appendix des Liberalism lieber heute als morgen in diesen Krieg ziehen möchte, wie eine notorische Kampfkrähe unserer FDP jetzt forderte – alles brav im Rahmen der NATO, versteht sich, nicht etwa sie persönlich.
Wer regiert hier eigentlich?
Michael Meyen zitiert ausführlich den 2015 verstorbenen US-Politologen Sheldon S. Wolin:
Laßt euch nicht von dem Demokratie-Gerede einlullen. Schaut doch einfach hin, wenn ihr wissen wollt, wer wirklich regiert. Dann seht ihr, daß der Staat die Konzerne geheiratet hat und daß beide alle anderen Formen der Macht adoptieren und alimentieren. Kirchen, Wissenschaft, Technik, Kultur. Hier beim Staat, Militär und Gewaltmonopol, und dort, bei den Konzernen, das Geld, das heute auch die Autorität und die Ressourcen nutzt, die sich aus Wahlen, politischer Rhetorik und Steuern speisen.
Sheldon S. Wolin, Umgekehrter Totalitarismus, Frankfurt/M. 2022, S.56, 70, 192, 221.[12]
Wolins Aufforderung, zu schauen, wer wirklich regiert, fand vor einigen Wochen volle Bestätigung angesichts des senilen und offenkundig entscheidungsunfähigen Präsidenten Biden.
Wer in Deutschland wirklich regiert, wird sich finden. Es sind jedenfalls Angehörige der Funktionseliten, die ihr finanzielles Auskommen und damit wieder ihre Geldmacht darin finden, “ihre Demokratie“ um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Rainer Mausfeld
hat gezeigt, daß Wahlen nie und nimmer frei sein können, solange die Meinungsbildung manipuliert wird und Parlamente mit Vertretern, die angeblich für uns alle stehen, schon lange vor unserer Zeit erkannt worden sind als „die kostengünstigste, wirksamste und stabilste Form der Machtausübung.“
Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis, Frankfurt/M. 2023, S.454, 466.[13]
Es bestätigt die Gesetzmäßigkeiten politischer Debatten, daß die hier von rechts rezipierten und zitierten Autoren durchweg Linke waren und sind, begonnen bei dem ursprünglichen SPD-Mitglied Robert Michels über Michael Meyen, der seinen Weg im „Roten Kloster“ begann, der journalistischen Kaderschmiede der DDR, dem taz-Autor Mathias Bröker und den linken Professoren Sheldon S. Wolin und Rainer Mausfeld. Die westliche Plutokratie bedroht ihre Uranliegen nach Gleichheit, Emanzipation und Selbstbestimmung ebenso wie die rechten Grundbedürfnisse nach Freiheit und Identität.
Im politischen Kräfteparallelogramm gibt es überall dort Übereinstimmungen mit Gegnern, wenn es gegen einen Dritten geht. So stimmen rechte und linke Kritik am Liberalismus und Finanzkapitalismus strukturell überein. Ebenso verhält es sich zwischen der Rechten und dem Katholizismus, wenn es gegen Sozialismus und Konsorten geht, und so fort.
„Unsere Demokratie“ dieser Plutokraten hat mit unseren Ideen einer Demokratie als Volksherrschaft von unten, dem Volk, hinauf zu den Staatsorganen nichts zu tun, setzt die Spielregeln demokratischer Selbstorganisation außer Kraft, wäscht unseren Landsleuten tagtäglich die Gehirne mit einer globalistischen Propaganda und zerstört das nationale Selbstbewußtsein unseres Volkes.
Wohin uns das geführt hat, können wir jeden Tag auf den Straßen unserer Städte erleben.
[1] Deren Bundeskanzler der Bundestag unmittelbar wählt, der die anderen Regierungsmitglieder bestimmt, aber jederzeit abgewählt werden kann.
[2] Robert Michels, Soziologie des Parteienwesens, 4.Aufl. 1989, ISBN 3-520-25004-7, S.13, 351 f., 354 beruft sich seinerseits auf Vorläufer wie Vilfredo Pareto und seine Théorie de la circulation des élites. Vgl. Michael Freund, Eliten und Elite-Begriffe, Herder-Initiative Bd.29, Hrg.Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Freiburg 1977, S.28 (35), S.28 (35).
[3] Konrad Lorenz, Der Abbau des Menschlichen, S.222.
[4] Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S.337 ff.
[5] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.66.
[6] Essential der Demokratie nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
[7] Vgl. im einzelnen Klaus Kunze, Die sanfte Gehirnwäsche, 2020, ISBN 978-910087-21-7, S.85 ff.
[8] Ulrich Beck, Die Metamorphose der Welt, Berlin 2017, S.129, 132.
[9] Michael Meyen, Die Propaganda-Matrix, München 2021.
[10] Mathias Bröckers, Klimalügner, Solothurn 2020, S.79-81.
[11] Christoph Schönberger, in: Der Staat, Bd.33, 1994, Heft 1, S.124.
[12] Sheldon Wolin, hier zitiert nach Michael Meyen, ebenda S.22.
[13] Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis, Frankfurt/M. 2023, S.454, 466, hier zitiert nach Michael Meyen, ebend, S.76.
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