Alles hat keinen Sinn. Gäbe es Götter, müßten wir ihnen dafür auf den Knien danken. Wir Menschen haben nämlich die Fähigkeit zur Sinnstiftung. Was würden wir wohl mit ihr anfangen, wenn schon alles einen Sinn hätte? Wir können allem einen Sinn geben, für welchen auch immer wir uns entscheiden.

Es geht nicht um den Sinn im kleinen Maßstab. Schmieden wir uns ein Werkzeug, dann geben wir ihm den Sinn und Zweck, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Das ist aber nicht die große Sinnfrage. Die beschäftigt uns beim Blick in den gestirnten Himmel: „Leuchten die für uns, Geliebter?“ „Ja, Liebste, ich schenke dir den hellen da rechts oben!“

Die Astronomie belehrt uns mittlerweise über das Werden und Vergehen von Sternen seit Jahrmillarden. Menschen gibt es seit ein paar hunderttausend Jahren, je nach dem, ab welcher Entwicklungsstufe wir sie so nennen mögen. Was haben unsere Vorfahren nicht alles an Gefühlen und Erwartungen in Sterne gelegt! Leuchten sie doch scheinbar unveränderlich, wie an den sich drehenden Himmel „gefixt“, in unerreichbarer Ferne: Fixsterne. Für uns?

Vorbei die Epochen, in denen kindliche Gemüter, unwissend noch Suchende, Götter in ihnen zu sehen glaubten, die über den Himmel ziehen. Wer glaubt noch an einen lieben Gott, da oben irgendwo über den Wolken, die uns oft den Blick ins kosmische Weite verdecken? Mit verblüffender Überheblichkeit bilden sich manche ein, das ganze, rund 14 Milliarden Lichtjahre durchmessende Weltall sei exklusiv für sie geschaffen worden. Daraus spricht säuglingshafte Egozentrik, die sich selbst im Mittelpunkt seines kleinen Reiches um Wiege und Teddybär wähnt, und die Milch spendenden Brüste sind gewiß, ganz bestimmt, nur für den kleinen Kerl geschaffen.

Milchstraße nennen wir den Spiralnebel, in dessen Seitenarm ein Paar Planeten um eine kleine, gelbe Sonne kreisen, um unsere Sonne. Ganz bestimmt ist die aber nur für uns geschaffen! Wer das glaubt, wird selig. Tatsächlich ist die Erde unsere Wiege. Doch wer will schon in der Wiege sterben, ohne die Welt gesehen zu haben? Wer das nicht will, entwickelt kosmisches Bewußtsein.

Mögen die Ewiggestrigen sich ängstlich wie in den Höhlen verbergen, in denen unsere Vorfahren einst Tier- und Jagdzauber an die Wände malten. Tief in den Schatten, in die das Licht keiner Fackel je drang, lauerte stets das Dunkle, das Unbekannte, das Unheimliche. Mit zauberischen Riten suchten die Höhlenjäger es zu bannen, zu besänftigen. Doch es begleitet unsere Geschichte seit der Zeit magischer Tieropfer über die Epoche magischer Menschenopfer bis hin zum rituellen „Iß, das ist mein Leib, und trink, das ist mein Blut!“

Raumfahrt tut not. Ist wichtig, wann wir unsere schöne, bunte Welt durch Übervölkerung in einen Müllhaufen verwandelt haben werden? Kommt es darauf an, ob es noch Menschen geben wir in jener absehbaren fernen Zukunft, in der die Kontinente sich wieder vereinen werden und sich auf den meisten Landmassen staubtrockene Wüsten bilden werden. Das ist noch ein paar Millionen Jahre hin, belehren uns Geologen. Menschen denken aber weiter in die Zukunft.

Raumfahrt tut not.
(Johnny Bruck (1921-1995), Titelbild eines Zukunftsromans

Menschliches Denken sucht nach Ewigkeiten: ewige Seligkeit, ewige Treue, ewiges Gedenken. Wenn unser Ende absehbar ist, schockiert uns das. Wir verdrängen es gern. Das Ende der Menschheit ist absehbar. Auf diesem Planeten wird es nicht ewig währen. Daß die Sonne sich in ferner Zukunft aufblähen und die Erde verschlingen wird, steht kosmologisch fest. Wenn unsere Nachkommen dann noch hier sind, ist Schluß mit ihnen.

Darum auf! Zu den Sternen! Sie sind unsere einzige Chance, als Art Mensch Unsterblichkeit zu gewinnen. Mutter Erde möchten wir niemals aufgeben. Aber wir werden uns hier gegenseitig auf die Füße treten und dabei die Natur in den Staub treten. Das ist keine metaphysische Prophezeiung, sondern eine Prognose aufgrund der heutigen Lage.

Wenn uns die Gesetzlichkeiten der Physik wirklich dauerhaft unmöglich machen sollten, Auswanderer-Raumschiffe oder dergleichen zu fremden Sternen und ihren Planeten zu schicken, wird unsere Spezies keine ewige Zukunft haben können. Wir müssen die wissenschaftlich-technische Entwicklung vorantreiben. Darin liegt unsere einzige Chance. Dazu gehört ein ethisches Grundverständnis, das dieser Entwicklung keine dumpfen, aus vorgestriger oder egoistischer Beschränktheit quellenden Grenzen setzt. Wir müssen geistig auf eine kosmische Zukunft vorbereitet sein, wenn wir eine Zukunft haben wollen.

Seit der Re­naissance gingen Wissenschaftler zunehmend ohne wer­ten­des Vor­ver­ständ­nis em­pirisch vor. Ihnen wurde evi­dent, daß das Universum ei­nem in sich wi­der­spruchs­freien Satz von Na­tur­­gesetzen unterworfen ist. So sah Galilei die Na­tur als ein voll­kom­men ge­ord­ne­tes Gan­zes an: Sie handele mit Not­wen­dig­keit und ver­letze nie ihre ei­ge­nen Ge­­setze.[1] Damit hat er das Credo jedes na­tur­wis­sen­schaftlich Den­ken­den formu­liert. Er betrachtet die Menschen als Teil des Natürlichen und den kausal wirkenden Naturgesetzen unterworfen.

Theologen behaupten: Allem Sein liegt eine unvor­denk­li­che, sinn­volle Ordnung zugrunde. Ihr seien wir unterworfen. Die mo­der­ne Na­tur­wissen­schaft dage­gen lehrt: Am Anfang war das Chaos. Alles Stoffliche un­ter­liegt nämlich dem Ge­setz des Ord­nungs­ver­­lu­stes, der Entropie: es ­ten­diert immer zum Un­ge­ord­ne­ten, Chao­ti­schen. Ihm wohnt keine erkennbare Quelle sinnvoll ordnender In­for­ma­tion in­ne. Im chaoti­schen nur Materiellen waltet keine hei­lige Ordnung. – Nur ein personales Be­­wußtsein kann Sinn stiften und Ordnung schaffen. Als hoch­dif­fe­ren­ziertes Endprodukt der Evolution vermag das erst der Mensch.

Weil keine heiligen Ordnungen über uns walten und uns überwachen, sind wir ethisch und moralisch frei. Wenn wir diese Freiheit nicht nutzen, werden wir in der Weiten des Kosmos über unsere eigenen Füße fallen – falls wir dort jemals hingelangen. Moralische Vorurteile könnten uns weiterhin fesseln, für immer zu knechten, ins Dunkel der Höhlen unserer Ahnen zu treiben und für immer zu binden. Die Literaturgattung der Science Fiction hat diese Szenarien seit Jahrzehnten durchdekliniert. Hier ist ein kosmisches Bewußtsein bereits entstanden, hat mögliche künftige Probleme und ihre Lösungen aufgezeigt.

Ist es unmoralisch, das Genom von Ansiedlern auf einem fernen Planeten zu verändern und sie so dessen Chemie und Ökosystem anzupassen? Müssen künftige Raumfahrer erst den Papst oder einen Ethikrat fragen, oder sollten sie lieber gleich zuhause auf der Erde bleiben? – Wie gehen wir mit künstlicher Intelligenz um, wenn Roboter tatsächlich einmal imstande sein sollten, Gefühle wie Menschen zu entwickeln. Müssen wir sie dann „menschlich“ behandeln? Solche und unzählige andere Fragen wurden schon gestellt und literarisch beantwortet.

In der weltweit größten Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“ werden kosmische Wesenheiten der Ordnung und des Chaos konzipiert. Beide haben negative und positive Auswirkungen auf das Leben. Neben viel Trivialem stellt gute Science Fiction die ganz großen Fragen und spielt Antwortmodelle durch.

Vor unse­ren Zeiten gab es nur blindes Walten natürlicher Kräfte. Dem Zerfall und der Auf­lö­sung ent­ge­gen wirkt nämlich das Gesetz der Kau­­sali­tät: Aus dem kos­­mi­schen Urchaos bil­deten sich pla­ne­ta­rische Sy­steme, aus dem Urmeer Ein­zeller und aus haarigen Höh­len­wil­den zur Ge­mein­schafts­­bil­dung fä­hige homines sa­pien­tes. Es entstan­den also im­­mer dif­feren­zier­tere Strukturen, die mehr auf ihre Um­­welt be­­­zo­ge­ne Infor­ma­tionen ent­hiel­ten als die ih­nen vor­ange­gan­ge­­nen. Sie ver­körperten da­­mit je­weils die „intel­li­gen­­te­re“, ge­ord­ne­tere Seins­­form. „Leben frißt ne­gative En­tro­­pie. … Alle leben­­den Systeme sind so be­schaffen, daß sie Energie an sich zu rei­ßen und zu spei­­chern ver­mö­­gen.“[2] Sie sind so konstru­iert, daß sie „in akti­ver Aus­ein­­­an­der­­set­zung mit ihrer Umwelt eine positive Ener­gie­­bi­lanz erwirt­schaften.“[3] Wir sind die jüng­­sten Ab­kömm­lin­ge, die Spit­ze dieser Py­rami­de, und ver­­­kör­pern so ein Höchstmaß an Ord­nung. Wer Ord­­­­nung als Prinzip ver­­tritt, ver­wirk­licht damit sich selbst: ein Seins­prin­zip nämlich, das of­­fen­kundig – aufgrund von Naturgesetzen – in uns ist.

Die Fragen, ob ein Ord­nungs­prinzip die Welt im Inner­sten zusam­men­hält und woher diese Ordnung etwa kommt, sind nur spekulativ zu be­ant­worten. Schon als Frage­formulierungen entstammen sie unserem Er­­fah­rungs­horizont und setzen bereits menschliche Denkmaßstäbe vor­­aus. Denen muß das kos­mi­sche Geschehen aber durchaus nicht un­ter­lie­­gen. Letzte Sinn­fragen stellen sich al­lenfalls hinter der Ord­nung in sich wi­der­­spruchs­freier Naturge­setze, die sich in uns ver­­körpert, aber nicht in ihr. „Unsere Bestimmung war nicht aus­gemacht,“ faßt Monod die philo­sophi­sche Quintes­senz des naturwissen­schaftlichen Welt­bil­des zu­sammen, „bevor nicht die menschliche Art hervor­trat, die als ein­zige in der belebten Natur ein logisches Sy­stem symbolischer Ver­stän­­digung benützt.“ Dieses „einmalige Er­eignis“ solle uns vor jeg­li­chem Anthro­po­zen­trismus warnen. Der alte Bund zwi­schen Mensch und mythisie­renden Onto­lo­gien sei zerbro­chen. „Der Mensch weiß end­­lich, daß er in der teil­nahms­losen Uner­meßlich­keit des Uni­ver­sums al­lein ist, aus dem er zufäl­lig her­aus­trat. Nicht nur sein Los, auch seine Pflicht steht nir­gendwo ge­schrieben.“[4]

Menschen sind wie Zigeuner am Rande des Universums (J.Monod).
Bild: Johnny Bruck

Diese Auffassung ist strikt naturwissenschaftlich. Sie setzt ihren Ehr­geiz nicht in Speku­la­tionen über letz­te Sinn­fragen, sondern macht die erkennbare Ord­nung des Kos­mos zum Gegenstand wis­sen­schaft­li­cher Beobachtung und Er­for­schung. Gäbe es Götter, würde sie diese zäh­len, messen oder wie­gen wol­len. Zu Göt­tern zu beten, die nie ant­wor­ten, kommt ihr nicht in den Sinn. Der Nach­weis eines Schöp­fer­got­tes würde mehr Fragen auf­­wer­fen als be­antwor­ten. Das na­tur­wis­sen­schaftliche Weltbild, so nimmt Monod die zen­tralen Aus­sa­gen des De­zisionismus vorweg, zerstört alle sinnvoll-werthaften Ontogenien, auf de­nen die normativistische (Monod formuliert „animi­­sti­sche“) Tradition be­­ru­hen sol­l: die Werte, die Moral, die Pflich­ten, Rechte und Verbote. Wenn der Mensch „diese Botschaft in ihrer vollen Be­deutung auf­nimmt,“ muß er „endlich aus seinem tausend­jährigen Traum erwachen und seine totale Verlas­sen­heit, seine radikale Fremd­heit er­ken­nen. Er weiß nun, daß er einen Platz wie ein Zi­geuner am Ran­de des Universums hat, das für sei­ne Musik taub ist und gleich­gültig gegen seine Hoffnungen, Lei­den oder Ver­brechen.“[5] Wer sich dadurch nicht ent­mutigen läßt, sondern gerade darin seine Frei­heit zur Sinngebung sieht, denkt kosmisch.

Die erkennbare Welt ge­horcht dem Gesetz des bloß Kausalen. Ni­co­lai Hart­mann hat – Kant[6] fol­­gend – auf die häufige Verwechselung des bloß Zweckmä­ßigen mit dem Zwecktätigen hin­gewiesen. Weil wir Menschen Zwecke setzen und Dinge als Mittel benutzen, meinen wir überall im Zweckmäßigen das Ergeb­nis einer Zwecktä­tigkeit zu se­hen. Das Zweckmä­ßige kann aber allein durch blindes Walten der Kau­sali­tät entstehen: So war das Organische aus dem Anorganischen ent­standen, und so ver­lief die ganze biologische Evolution. Daß es ei­ne Zweck­mäßigkeit ohne Zweck­tätig­keit gibt, „ist eine ganz ein­fache, in sich evidente Ein­sicht.“[7]

Hartmann sieht keinen Grund, warum bei der unüberseh­baren Man­nig­fal­tig­keit dessen, was zufällig zustandekommt, nicht dann und wann auch etwas Zwecktaugli­ches entstehen sollte. Das folge einfach aus den Ge­setzen der Stati­stik. Einmal ent­standen hebt sich aber das Zweck­mäßige da­durch vom Un­zweckmäßigen ab, daß es längeren Bestand hat. Die Zweck­mäßig­keit ei­nes Gebildes in sich selbst, etwa sei­ner Teile füreinander, bedeu­tet eben, daß es Bestand hat, Gleich­ge­wicht und Stabilität.[8] Die moderne Mo­lekular­biologie und Bio­che­mie führen die Entstehung des Lebens und seine Evolution auf drei Na­turgesetze zurück, durch welche Hartmanns philoso­phi­sche Er­wä­gun­gen bestä­tigt werden. Sie bilden in ih­rem Zusammenwirken „das ka­te­goriale Novum der organischen Determina­tion“.[9] Sie beruht auf der autono­men Mor­phogenese, der reproduktiven Invarianz und der Tele­onomie. Die erste: der sponta­ne Aufbau komplexerer Struk­tu­ren mit hö­he­rem Infor­mations­ge­halt, findet sich auch bei Kri­stallen und ist eher ein Me­­chanismus als eine speziell biologische Fähigkeit. Das Gesetz der In­varianz besagt für Orga­nis­men, daß jede Generation ihren ge­ne­ti­schen Code unver­ändert an die fol­gende weitergibt.[10] Teleo­­nomie ist die von Hart­mann er­kannte Zweck­mäßig­keit, diese Sta­bi­lität des Ge­noms zu erhalten. Monod de­finiert Teleo­nomie als die Über­tragung des für die Art charak­teristi­schen Invarianzge­halts von einer Ge­ne­ra­tion auf die nächste.[11] Damit meint er, daß bei der Repro­dukti­on der Ge­­nerationen die arterhaltenden Eigenschaften durch erfolgreiche Fort­­pflan­zung belohnt werden.

Teleonomie als biologischer Terminus ist damit eine rein kausale Ka­te­go­rie. Sie folgt nämlich der strengen Notwendigkeit kausal deter­­mi­nierender Prozesse: Die Se­lektionstheorie sieht die Invarianz ge­ne­­ti­scher Eigenschaf­ten als ursprüng­lich an. Te­leonomie ist hingegen eine sekundäre Eigen­schaft.[12] Aufgrund der Invarianz können Arten über Jahrmillionen genetisch völlig stabil bleiben. Die invariante Re­pro­­­duktion weist allerdings Ausrut­scher aus: die gele­gentlichen Mu­ta­tionen. Wann sie auftreten, unterliegt dem Zufall, ist aber statistisch quan­­tifi­zierbar. Solche Zu­fälle werden durch den Invari­anz­me­cha­nis­mus „eingefangen, konserviert und repro­duziert,“ sofern sie te­leo­nom sind. Nicht der Arterhaltung zwecktaugliche Mutatio­nen pflan­zen sich nicht fort. So verwandelt die Invarianz den Zufall mit Mo­­nods Wor­ten „in Ordnung, Regel, Notwendigkeit“, und er re­sü­miert: „Aus einem völlig blinden Spiel kann sich per de­finitionem alles ergeben, auch das Se­hen.“ Wir erken­nen also hinter der bio­lo­gi­schen Ter­mi­no­lo­gie Mon­ods sehr deutlich, daß die auto­nome Mor­pho­­genese, die In­va­rianz und die Teleo­no­mie rein kausale Wirkkräfte sind. Ohne sich der philosophischen Be­griff­lich­keit von Kausalität und Finalität zu be­die­nen, betont der Biologe, daß Zufall und Not­wen­­­digkeit „objektive“ Ge­ge­ben­heiten und keines­falls „projektiv ge­plan­­te“ Abläufe sind. Was am Menschen biolo­gisch geworden ist, ist höchst zweckmäßig im Sinne Hartmanns, aber nicht Ergebnis einer zweck­tätigen Handlung. Wäh­rend die Teleonomie als biolo­gischer Be­griff beinhaltet, daß die ihr unterworfenen Evolutions­prozesse rein kausal ablau­fen, be­haupten ver­schiedene Teleolo­gien, die Evolution sei ein finaler Schöp­fungs­pro­zeß. Dieses teleologische Denken ver­wirft Monod als un­wis­sen­schaft­lich. Es lasse sich mit dem Ob­jek­ti­vi­täts­postulat der Na­tur­wis­sen­schaft nicht vereinba­ren.

Monod zufolge wird jedes „Gesamtsystem schon durch unzählige Steu­­e­rungsme­chanismen zusammengehalten.“ Nur solche Mutationen bleiben er­halten, „die den te­leonomen“ – auf seine Selbst­er­hal­tung gerichteten – „Appa­rat in seiner schon ein­ge­schlagenen Orien­tie­rung zumindest nicht schwächen, sondern viel­mehr stärken oder gar – was sicher viel seltener vor­kommt – mit neuen Möglich­keiten be­rei­chern.“[13] Das Aufein­anderwirken der Teile zu ei­nem stabilen Ganzen nennt auch Konrad Lorenz ei­ne System­ei­gen­schaft. Seit Jahr­mil­liarden erzeugte der blinde, bloß kausale Zu­fall un­zählige Kombi­na­tionen ein­zelner Elemente zu­einander. Im­mer wenn zuvor von­ein­an­der un­ab­hän­gige Systeme zusammenge­schaltet werden, kommt es zu einer „Fulguration“: Es entstehen völlig neue Sy­stem­ei­gen­schaf­ten, ein neues Gan­zes, das vorher selbst in Andeu­tungen noch nicht da war.[14]

Das phy­si­ka­li­sche Den­ken des 20. Jahr­hun­derts geht von einer vier­­­di­men­sio­na­len Raum-Zeit-Vor­stel­lung aus. Be­griffe wie Raum, Zeit und Er­eig­nis sind nach Einstein „freie Schöp­fun­gen der mensch­li­chen Intel­ligenz, Werk­zeuge des Den­kens, die da­zu dienen sollen, die Er­lebnisse in Zu­sam­menhang zu brin­gen und sie dadurch besser über­schau­en zu kön­nen.“ Heute ver­steht die Phy­sik Ma­terialismus in ei­nem sehr um­fas­sen­den Sinn, der ener­getische Vor­gän­ge mit ein­be­zieht und sich nur vom Spi­ri­tua­lis­mus ab­grenzt; er kennt nämlich kei­ne „Geister“. Materie ist nur eine ande­re Er­scheinungsformen der Energie. Diese „Dynamisierung des Materiebegrif­fes … bedeu­tete buch­stäb­lich den Gnadenschuß auf den Substanzbegriff“[15] und entzog der Vor­stellung die Grundlage, moralische oder andere Ideen als etwas sub­stanzielles anzuse­hen.

Schon Ein­stein forderte mit Recht, „die Grund­­begriffe na­tur­wis­­senschaftli­chen Den­kens aus den pla­tonischen olym­pischen Ge­fil­den herunterzuholen und zu ver­su­chen, de­ren irdi­sche Herkunft auf­zu­decken.“ Für solches „phy­si­ka­li­sches wie über­haupt na­tur­wis­sen­schaft­liches Denken ist es cha­rak­te­ristisch, daß es im Prin­zip mit den ‚raum­artigen‘ Begriffen al­lein aus­zu­kom­men trach­tet und mit ihnen alle gesetzli­chen Be­zie­hun­gen aus­zu­drücken strebt. Der Phy­siker sucht Farben und Tö­ne auf Schwin­gun­gen zu re­du­zie­ren, der Phy­sio­lo­ge Denken und Schmerz auf ner­vö­se Prozesse, der­­art, daß das Psychi­sche als solches aus dem Kau­sal-Nexus des Sei­en­den elimi­niert wird.“[16] Die Wissen­schaft braucht kein Jenseits, um das Diesseits zu erklären. Sie hat das alte philosophische Leib-Seele-Problem gelöst: Sie wies die materielle Be­dingtheit mentaler Phänomene nach und „reduzierte die kognitiven Phänomene auf ihr neuronales Substrat“, weshalb nach Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-In­stitut für Hirnforschung in Frankfurt, alles darauf hindeutet, „daß die Hirn­forschung auf dem Weg ist, ihren reduktionistischen Ansatz auf alle relevanten Ebe­nen lückenlos auszudehnen. Sie wird die Phänomene neuronaler Kom­mu­ni­ka­tion auf ihre molekularen und zellulären Grundlagen zurückführen und ist dabei, Ver­­hal­tens­phänomene, einschließlich psychischer und mentaler Funktionen, durch neu­ronale Kommunikationsprozesse zu erklären.“[17]

Die Philosophie hat zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich die Sonne nicht um die Erde dreht und daß alle metaphysischen Spekulationen auf Grundlage des geozentrischen Weltbildes keinen Realitätsgehalt haben. Bis der letzte Scholastiker das wußte, vergingen freilich Jahrhunderte. Vielleicht geht es heute ein wenig schneller, bis sich unter Metaphysikern herumgesprochen haben wird, daß es keinerlei naturwissenschaftlichen Anlaß gibt, von Geistern oder Seelen zu spekulieren und Weltdeutungen auf solche Spekulationen zu gründen.

Lassen wir sie einfach in den geistigen Wohnhöhlen der Steinzeit zurück. Nur „kosmisches Bewußtsein“ wird uns für die Anforderungen des Kosmos fit machen.


[1] Galileo Galilei, Opere, VII, 43 und Brief vom 21.12.1613, zit nach Panajotis Kondylis, Metaphysikkritik, S.177.

[2] Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S.33.

[3] Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch, das riskierte Wesen, S.16 nach H. Hass, Das Energon, 1970.

[4] Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.157.

[5] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.151.

[6] Kant, Kritik der Urteilskraft, § 84, S.385.

[7] Nicolai Hartmann, Ethik, Berlin 1926, 4.Aufl.1962, S.202.

[8] Nicolai Hartmann, Teleologisches Denken, 1951, 2.Aufl.Berlin 1966, S.95.

[9] Hartmann, Ethik, S.679.

[10] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.33, 29 f.

[11] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.31.

[12] Alle Zitate dieses Absatzes: Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.38,94 f.,23,36 ff.

[13] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.111.

[14] Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S.47 ff.

[15] Panajotis Kondylis, Der Untergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, Weinheim 1991, S.160.

[16] Albert Einstein, Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, 16.Aufl., Braun­schweig 1954, S.89 f.

[17] Wolf Singer, Auf dem Weg nach innen, Ein kognitives System versucht sich selbst zu ergründen; 50 Jahre Hirnforschung in der Marx-Planck-Gesellschaft, Festrede in Göttingen am 26.2.1998 zum 50jährigen Bestehen, FAZ 27.2.1998.