Die Auflösung des deutschen Volkes
Das ethnische deutsche Volk befindet sich in amtlicher Auflösung. Diese Auflösung wurde von langer Hand geplant und wird jetzt quasi generalstabsmäßig durchexerziert. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern das nüchterne Resultat eines Blickes auf die Fakten und auf die politischen Absichten der maßgeblichen Akteure.
Das deutsche Volk ist ein mehrdeutiger Begriff. Ursprünglich hatte es sich nicht zwingend mit Verwandtschaft zu tun. Zum folc gehörte in althochdeutscher Zeit, wer dem Kriegsvolk „folgte“. Einem wandernden Volk schlossen sich in der Völkerwanderungszeit vielerlei Leute an. Im Laufe der Jahrhunderte verband sich das Wort Volk aber fest mit dem Begriff des deutschen Volkes. Zu ihm zählte man alle Menschen deutscher Muttersprache.
Die harten Fakten und ihre Gründe
Bekanntlich lebten niemals alle Deutschen in einem Staat zusammen. Den verschiedenen deutschen Staaten haben immer auch Menschen angehört, die nicht deutsch sprachen. Volkszugehörigkeit ist ein faktischer Zustand, Staatsangehörigkeit ein rechtlicher. Daß die Staatsangehörigen der Bundesrepublik weniger würden, läßt sich nicht feststellen. Es können ausreichend Pässe nachgedruckt werden.
Der Unterschied war früher auch gesetzlich völlig klar:
“Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird”
§ 6 Bundesgesetz über die Vertriebenen und Flüchtlinge (BGBl. I 1971, 1563 ff., und die Neufassung vom 2.Juni 1993, BGBl.1993, 829 ff. sowie andere Gesetze.
Die Deutschen als Volk halbieren sich aber von Generation zu Generation. Das hat strukturelle Gründe und wird von einem mächtigen ideologischen Druck flankiert. Daß dieser spezifische Druck nicht die alleinige Ursache ist, zeigt uns ein Vergleich mit Nachbarländern, in denen der weltanschauliche Rückblick auf die Jahre vor 1945 zu einem positiven Verständnis der nationalen Identität führte und die trotzdem nicht dem Phänomen des anhaltenden Geburtenschwundes entgangen sind.
Die historische Demographie und die Genealogie weisen übereinstimmend auf, daß es seit Beginn schriflicher Aufzeichnungen über Geburten einen Sog vom Land in die Städte gab. Nie haben Städte ihre Einwohnerschaft aus sich selbst heraus reproduziert. Sie empfingen immer Zuzug vom Land. Bevölkerungsüberschuß auf dem Land, aber Bevölkerungsschwund in den Städten, das ist eine Gesetzmäßigkeit, deren Gründe gut erforscht sind. Stadtbürgern brachte Kinderreichtum häufig Armut, dem Landvolk fleißige Hände und eine Art Altersvorsorge.
Eine industrielle Massengesellschaft ist städtisch. Sie benötigt zu ihrem Bestandserhalt fortwährenden Zuzug. Heute leben die wesentlichen Teile der deutschen Bevölkerung in solchen Verhältnissen. Kinderreichtum wird wirtschaftlich nicht belohnt, sondern durch Absinken des Sozialstatus bestraft.
Die weichen Fakten und ihre Gründe
Wollen die Deutschen überhaupt noch ein Volk sein? In politischer Hinsicht ist das ihre Existenzfrage.
“Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.”
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.53, 54.
Die ohnehin ablaufenden Notwendigkeiten und Ursachenketten der industriellen Massengesellschaft wurden und werden in Deutschland massiv verstärkt durch eine volksfeindliche Ideologie. Diese ist tendenziell kosmopolitisch und sublimiert damit auf geistiger Ebene die materiellen Erfordernisse globalen Wirtschaftens. Das Volk wurde begrifflich seit den 1970er Jahren von der Bevölkerung verdrängt. Der Perspektivenwechsel begann in der Soziologie, wo “die Bevölkerung” einer von mehreren Parametern ist. Vom Linksradikalismus wurde er begierig aufgenommen, verallgemeinert und auch angewandt, wo an sich das gesamte Volk im Gegensatz zu Nachbarvölkern gemeint sein müßte.
In Deutschland breitete sich vom linksradikalen Spektrum aus eine haßerfüllte Grundhaltung gegen alles aus, was unser Schicksal ausmacht, Deutsche zu sein. Wie der Soziologe Helmut Schoeck anhand von Schulbüchern der 1970er Jahre bereits aufgezeigt hat, wurden Schulkinder schon damals planmäßig neurotisiert:
„Wie ein riesiger Staubsauger, der, einem Tintenfisch gleich. mit Dutzenden von Schläuchen aus der Seele des Kindes jeden Winkel absaugt, in dem noch ein Rest Sinn verborgen sein könnte, sind die linken Lernziele und Schulbücher bzw. vom Lehrer selbst zusammengebauten Unterrichtseinheiten ein wohlüberlegtes Instrument zur Abtötung jedes Erlebnisses von Sinn.“
Helmut Schoeck, Kinderverstörung, 1987, S.128.
Die damalige neurotisierte Jugend nähert sich heute bereits dem Ruhestand, nachdem sie weitere Generationen von Kindern indoktriniert hat. Was dabei herauskommt, kann man gelegentlich freitags Schule schwänzen sehen: einen Marsch ungebildeter, hirnloser emotionaler Analphabeten, aufgehetzt und hysterisch schreiend balancieren sie täglich auf dem schmalen Grat zwischen selbstverstümmelndem Ritzen und panischer Furcht vor einem Klimatod. In neurotischer Verkürzung der Wunder des Lebens haben sie nur sich zu empören gelernt, und Anti-etwas zu sein ist ihr Lebenssinn. Aus der Empörung
„wird Haß, wird Feindseligkeit gegen die eigenen Bezugspersonen, das eigene Volk und Land, und dieser Haß, so richten es die Schulbuchverfasser ein, muß nun auch noch seine vermeintliche Berechtigung in den Augen des Kindes bekommen: deshalb flößt man ihm den Verdacht ein, die eigene Gesellschaft, die Leute bei uns hätten Hunde ohnehin lieber als Kinder. Jetzt, als verfolgte Minderheit im eigenen Land, kann sich das verstörte Kind mit den fernen Kindern in den Entwicklungsländern voll identifizieren.“
Helmut Schoeck a.a.O. S.108 mit entsprechenden Nachweisen.
Nach diesem Blick in die Kindheit und Sozialisationsgeschichte der heutigen GRÜNEN wird deutlich, warum der geballte Haß des Linksradikalismus der Vorstellung gilt, das deutsche Volk sei etwas Wertvolles, das man vielleicht sogar verteidigen und beschützen sollte. Jahrgang um Jahrgang wurde vorenthalten, welche vielfältige Geschichte unser Volk hat, das man einst als Volk der Dichter und Denker rühmte. Was aber sollen sie lieben an ihrem Volk, wenn man die in Schulen vermittelte Geschichte von tausend Jahren auf zwölf reduziert und die Kinder nur zu Gedenkstätten der Selbstscham schickt?
Dadurch wurde das Bewußtsein zentral getroffen, Teil einer überzeitlichen Solidargemeinschaft zu sein, den Vorfahren etwas zu verdanken und eigenen Kindern etwas zu schulden. Doch
“keiner lebt für sich allein. Jeder ist auf Gemeinschaft … in der Abfolge der Generationen angewiesen.”
Wolfgang Schäuble, Wie leben aus der Wurzel des Überlieferten, FAZ 25.8.1995.
Zu dieser Gemeinschaft gehören alle, die sich zum
“deutschen Volkstum als national geprägter Kulturgemeinschaft, nicht als anerkannter oder nicht anerkannter Rechtsinstitution, sondern als einer rechtlicher Wertung a priori vorgegebenen Seinsform, bekennen oder nicht bekennen.”
Friedrich Schröer, Deutsche Volkszugehörigkeit von Minderjährigen, Bayerische Verwaltungsblätter 1973, 148 ff..
Wer sich, von jahrzehnterlanger Charakterwäsche indoktriniert und neurotisiert, seiner Wurzeln schämt, gibt seine Identität irgendwann auf. Bereits 1978 stellte der Historiker Hellmut Diwald schon für die Deutschen fest:
Charakteristisch ist daß sie nicht mehr in der Lage sind, sich als Deutsche, als eigenes Volk mit eigentümlichen Merkmalen einzuschätzen.
Hellmut Diwald, Geschichte der Deutschen, 1978, S.123.
Der grüne Minister Robert Habeck steht ganz in dieser Tradition. Mit dem Begriff Vaterlandsliebe kann er nichts anfangen. Das gilt für fast alle großen gesellschaftlichen Akteure: Für die Merkel-CDU gilt es ebenso wie für die großen Kirchen. Wer das deutsche Volk erhalten will, gerät schnell amtlich in den Verdacht, er sei ein Verfassungsfeind. Dabei wird die Liebe zum eigenen Volk mit Chauvinismus oder Kollektivismus verwechselt.
Wenn Sie nicht glauben können, was gesellschaftlich relevante Kräfte mit dem deutschen Volk konkret vorhaben, schauen Sie einfach mal, was ein prominenter Genosse dazu schreibt:
Die Vaterlandsliebe
Braucht unser Staat überhaupt ein Volk – und braucht unser Volk einen Staat? Nichts bleibt heute unangezweifelt. Doch was ist “Volk” überhaupt? Ein noch nicht staatlich verfaßtes Volk
„erwächst aus einer geschichtlich gewachsenen, substantiellen Gemeinsamkeit einer Gruppe von Menschen. Sie verweist und findet ihren Grund in der subjektiv unverfügbaren Vergangenheit: aus gemeinsamer Geschichte, Schicksal, Sprache, Kultur erwächst solidarische Verbundenheit. Ihre aus geschichtlicher Kontingenz geprägte Gestaltung widerstrebt rationaler Erklärbarkeit.“
Otto Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, 2.Aufl. 2016, S.318.
Ein Staat erwächst einem Volk, sobald es sich Institutionen schafft und diese mit staatlicher Autorität ausstattet: mit umfassenden zwischenmenschlichen Regelungsbefugnissen. Diese staatliche Ordnung benötigt eine Ethik mit gemeinschaftsbildenden Tugenden. Elf Leute sind keine Fußballmannschaft, wenn sie sich nicht an die für alle geltende Spielregeln halten. Wenn sie in alle Himmelsrichtungen auseinanderfliegen, bilden Vögel keinen Schwarm mehr. Ohne Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, gibt es keine kollektive Handlungseinheit: keine Fußballmannschaft, auch keinen Staat.
Diese Bereitschaft besteht in der Anerkennung spezifischer Tugenden wie die der Staatstreue, der Vaterlandsliebe und der Familienbindung. An eine metaphysische Realität solcher gemeinschaftsbildenden Werte muß niemand glauben. Wer Gott nur vom Thron stürzt, um sich selbst – individuell oder kollektiv – daraufzusetzen und als „gottesebenbildlich“ anzubeten, hat nicht begriffen, was Aufklärung tatsächlich bedeutet. Daß es solche Werte aber bei allen Völkern und in allen Kulturen gibt, läßt den Schluß zu, daß es offenbar einen Nutzen hat, wenn die Mitglieder einer Gruppe ein die Gemeinschaft stabilisierendes System von Normen anwenden.
So verstanden schweben die Werte für eine Gemeinschaftsordnung nicht in übersinnlichen Sphären. Sie beeinflussen höchst real das menschliche Zusammenleben, weil viele Menschen gefühlsmäßig zu ihnen neigen. Es herrscht, wer den Inhalt des Glaubens bestimmt, auf dessen Grundlage die in der Staatsverfassung konkretisierte Wertordnung ruht. Es gilt daher ein System von Tugenden durchzusetzen, das unsere individuelle Freiheit mit dem Bestand der Gemeinschaft verknüpft, der wir alle angehören und die uns die individuelle Freiheit nach innen und außen garantieren soll. Diese Normen gibt es in Deutschland traditionell. Es ist sinnlos, Hirngespinste aus der intellektuellen Retorte zu ziehen. Rationalistisch ausgeklügelte Werte erwärmen niemandem das Herz. Sie können weder die nötige soziale Bindungskraft entfalten noch Folgebereitschaft erzeugen. Nur die in den Gefühlen der Menschen wirklich vorhandenen, überlieferten Werte, Tugenden und Gemeinschaftsideen können dauerhaft sozial funktionieren: die Familie, das Volk und alle auf sie bezogenen Sekundärtugenden.
Diese empfundene Identität mit meinen mir verwandten und gleichgesinnten Mitbürgern ruft jene eigentümliche Solidarität hervor, die sich mit dem Begriff der Vaterlandsliebe verbindet. Meine Opferbereitschaft richtet sich auf mir verwandte Menschen, mit denen ich mich gleich weiß in ihrer grundsätzlichen Sicht auf die menschlichen Verhältnisse. Mit ihnen bilde ich gern einen staatlichen Bund, eine Solidargemeinschaft, deren personales Substrat immer diese konkreten Menschen sind und nicht abstrakte Begriffe.
Vaterland ist eine Metapher, ein symbolisches Wort für alle lebenden, verstorbenen und künftigen Menschen, die dieses Vaterland gebildet haben, bilden und bilden werden. Sie sind es, die ein Mensch liebt und denen er sich solidarisch verbunden fühlt. Wenn man den Begriff des Volkes nicht als bloße Sammelbezeichnung für viele einzelne Menschen betrachtet, kann man nur zu dem Schluß kommen, daß es Völker nur in unserer Vorstellung gibt: “In mente“, hätte William von Ockham gesagt: im Geiste. Real vorhanden sind allerdings die Verwandtschaftsbeziehungen, die gemeinsame Sprache und die gemeinsame Geschichte der Angehörigen eines Volkes. Alle diese Umstände bewahren das Phänomen “Volk” aber nicht, wenn es als Volk nicht mehr “in mente” ist: im Bewußtsein seiner Angehörigen also, denn das
“Deutschland, welches wir lieben und zu sehen begehren, hat nie existiert und wird vielleicht nie existieren. Das Ideal ist eben etwas, das zugleich ist und nicht ist. Es ist die im tiefsten Herzen der Menschen leuchtende Sonne, um welche unsere Gedanken” sich drehen.
Paul De Lagarde, Deutsche Schriften, 1884, zitiert nach Sammlung Diederichs, Deutsches Wesen, Hrg. Friedrich Daab, 1914, S.83.
Das ideale Deutschland befindet sich in uns. Das reale Deutschland aber können nur konkrete Menschen sein, die Gesamtheit aller Deutschen. Wer sich für sie verantwortlich fühlt und sie zu seiner Herzenssache macht, rechnet zu ihnen die Gesamtheit der Lebenden, der Toten und der Ungeborenen. Das ideale heimliche Deutschland dagegen trägt jeder nur in sich allein.
Alle Gruppen und Kollektive existieren nur insoweit und auch nur solange, wie sie von den handelnden Gruppenmitgliedern als Kollektive tatsächlich wahrgenommen werden. Wenn die Einzelmitglieder der Gruppe aufhören, gruppenbezogen zu handeln, wenn der Wille, die Gruppe zu bilden und die Gruppe bestehen zu lassen, erlischt, dann erlischt die Gruppe überhaupt. Das ist das Ziel aller derer, die das deutsche Volk heute auflösen. Sie lösen es auf, indem sie das emotionalen Zusammengehörigkeitsgefühl und den Willen zerstören wollen, gemeinsam Deutsche zu sein.
Eine Familie kann sich durch Scheidung auflösen. Eine politische Partei kann durch Verbot aufgelöst werden. Auch die Mitglieder eines Volkes können sich zerstreuen. Nachdem die Athener die melischen Männer getötet und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft hatten, gab es für den Rest der Weltgeschichte keine Melier mehr. Völker sind eben nicht Gedanken Gottes, sondern handelnde Kollektive von Einzelmenschen, die im Kollektiv handeln wollen und das tatsächlich tun. Wenn der Wille zu gemeinsamem Handeln und damit zur gemeinschaftlichen Existenz erlischt, endet das Volk überhaupt. Völker sind nicht Gedanken Gottes, sondern kollektive Gedanken vieler Menschen. Das zum Bewußtsein seiner selbst gekommene Volk bezeichnet die romanische Tradition als Nation: Nation sei ein tägliches Plebiszit. Die Nation als Willenseinheit zusammengehörender Menschen erfordert es, die Entscheidung für das Zusammengehören und das gemeinschaftliche Handeln täglich neu zu treffen.
Nationen sind daher vergängliche Gebilde und in ihrer Existenz verletzlich. Ihre Existenz hängt davon ab, den Willen zur Gemeinschaft tagtäglich aufrecht zu erhalten. Einer Nation diesen Willen, die Überzeugung von ihrer eigenen Identität also, zu nehmen, befördert sie von der präsenten Existenz “in mente” ins Reich der Schatten, in den Orkus des bloßen Erinnerns, in die reale Nichtexistenz. Finis Germaniae? Das kann uns passieren, liegt aber allein an unserem Wollen. Ob eine
“Nation als politische oder auch kulturelle Einheit erhalten bleibt, hängt nicht von irgendeiner unwandelbaren Substanz ab, die ihr innewohnen soll, sondern von den langfristigen Erfordernissen der planetarischen Lage, genauer: von der Art und Weise, wie die Akteure diese Erfordernisse begreifen und sich darauf einstellen.”
Panajotis Kondylis, Die Zukunft der Nation, FAZ 26.10.1994.
Es liegt ein irreführender, weil transzendenter Akzent in der Formulierung eines Gedichts, man solle an sein Volk und dessen Zukunft glauben. Das Volk gibt es, oder es gibt es nicht. Richtig wäre die Formulierung, man solle den Willen, in Gemeinschaft als Volk zu handeln, nicht aufgeben.
Ein so verstandener Wille zu gemeinschaftlichem und gemeinschaftsbezogenem Handeln stünde nie in Gefahr ideologischer Verabsolutierung, kollektivistischer Totalitätsansprüche oder quasireligiöser Erweckungshoffnungen. Als Begründung für das kollektive Phänomen, das wir je nach Aspekt der Betrachtung als Volk, Nation oder Staat bezeichnen, genügt die Einsicht, daß der Gemeinschaftsbezug des Handelns letztlich die Daseinsbedingungen des Einzelnen sichern muß. Am Anfang muß kann nur die Einsicht stehen, daß jeder Einzelne die Nation und einen handlungsfähigen Staat für sein persönliches Wohlergehen und das seiner Nachkommen unabdingbar braucht. Auf der freien Entscheidung für die Nation mag dann eine “säkularisierte” Weltanschauung aufbauen, die sich der Liebe zu ihren Nächsten nicht schämt und selbstverständliche Solidarität mit allen anderen Deutschen einschließt.
Handeln in nationaler Solidarität
Das Volk als Solidargemeinschaft von Verwandten hat sich historisch bewährt. An ihm allein muß und kann sich soziales Handeln ausrichten. Andere Solidargemeinschaften wir religiöse haben sich historisch nicht als dauerhaft und darum als ungeeignet erwiesen (Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S.186). Solidarität erfordert differenzierendes Denken in Kategorien menschlicher Ungleichheit, denn die Solidargemeinschaft
„ist wesentlich und legitimerweise Abstammungsgemeinschaft, insoweit sie diejenigen ausgrenzt, die außerhalb der Gemeinschaft stehen, weil sie an deren Gemeinsamkeit nicht teilhaben: die Angehörigen einer Solidargemeinschaft stehen sich einander näher als den Menschen im übrigen, d.h., sie sind im Verhältnis zueinander gleicher als im Verhältnis zu anderen.“
Otto Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, 2.Aufl. 2016, S.309 f.
Eine typisch juristische Vorstellung besteht darin, eine rechtliche Verpflichtung als unsichtbares Band zu symbolisieren, das einen Menschen mit einem anderen verbindet. So kann man sich vorstellen, daß die realen Angehörigen eines Volkes durch ihr tägliches Handeln eine Art Bund[1] unter sich aufrechterhalten, der wie ein ideelles Band alle Einzelnen miteinander verbindet, berechtigt und verpflichtet.
Überall auf der Welt gab es diese Solidargemeinschaften bereits vor der Geburt jedes heute Lebenden. Man wird in eine Abstammungsgemeinschaft hineingeboren. Niemand kann sich frei aussuchen, mit welchen anderen Menschen er sich staatlich organisieren und ihnen solidarisch sein soll. Eltern und Vorfahren sind bereits da, bevor das Kind in die unkündbare Solidargemeinschaft hineingeboren wird.
„Die Unkündbarkeit des Bundesschlusses verbindet viele Generationen miteinander. Die bündische Gemeinschaft verfügt dadurch über Vergangenheit und Zukunft und ermöglicht dadurch die Statuierung einer Verantwortung des einzelnen vor der Nachwelt.“
Depenheuer a.a.O. (2016), S.313 f.
Die Gemeinschaft miteinander solidarischer und untereinander verpflichteter Menschen ist der einzige rechtfertigende Anlaß für den Einzelnen, gegebenenfalls für andere Menschen große Opfer zu bringen. Das gilt auch für Menschen, die er gar nicht persönlich kennt. Warum akzeptiert ein egoistischer Einzelner, den Ertrag seiner Hände Arbeit durch staatliche Umverteilung zu Bedürftigen wandern zu lassen, die nicht arbeiten? Auf rein persönlicher Ebene wecken die Gefühle der familiären Liebe und Fürsorge solche Bereitschaft. Auf überpersönlicher Ebene kann man sich den Staat als Solidargemeinschaft wie eine große Familie denken. Er institutionalisiert und regelt die Hilfsbereitschaft und Fürsorge in analoger Weise.
Wir akzeptieren das, wenn wir den Gedanken familiärer Solidarität auf unser ganzes Volk übertragen. Sie besagt, daß jeder für den anderen, notfalls mit seinem Leben, einzustehen hat. Diese anderen gelten ihm als seine Angehörigen im weitesten Sinne, mit denen er sich emotional verbunden fühlt aufgrund gleicher Abstammung, gleicher Geschichte und gleichen Schicksals. Der Staat kann nicht sinnvoll nur als unpersönliche Verteilungsanstalt materieller Güter verstanden werden, sonst würde er keine Opferbereitschaft wecken. Er muß darum
„als personenbezogenes Gebilde gedacht werden, dessen Substrat nur das Volk sein kann. Tatsächlich liegt im Begriff des Volkes der Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach dem materiellen Grund der staatsbürgerlichen Solidarität. Diese findet ihre Grundlage in der substantiell durch Volkszugehörigkeit, rechtlich durch Staatsangehörigkeit vermittelten Gemeinsamkeit der Staatsbürger.“
Depenheuer a.a.O. (2016), S.324.
Die Solidarität der Mitglieder einer solchen Solidargemeinschaft untereinander erfordert ein Denken in Gleichheits- und Ungleichheitskategorien. Untereinander gelten sie als gleich. Wer nicht dazu gehört, ist Ausländer und damit ungleich. Ihm wird nicht das Maß an Solidarität geschuldet, das einem Inländer zukommt. Schließlich ist er auch seinerseits nicht verpflichtet, notfalls mit seiner ganzen Existenz für einen Staat einzustehen, der für ihn Ausland ist. Es existiert kein Weltstaat und keine globale Solidargemeinschaft. Für radikal kosmopolitisches Denken ist das schrecklich. Es möchte von der Ebene des Individuums die des Staates überspringen und unmittelbare Solidaritätspflichten zwischen allen Menschen begründen.
Kosmopolitisches Denken kann dabei die Frage nicht beantworten, warum ich mich jemandem gegenüber solidarisch fühlen und Opfer bringen soll, der mir nicht angehört und den ich nicht liebe, vielleicht aufgrund seines Verhaltens, seiner Kultur und anderer Eigenheiten auch gar nicht lieben möchte. Wenn ich mich mit jemandem schlechterdings nicht identifizieren kann, mag ich mich auch nicht für ihn aufzuopfern. Je ferner er mir steht, je weniger er mir und den Meinen ähnelt, desto weniger fühle ich mich ihm solidarisch. Ich empfinde zwischen ihm und mir keine substantielle Gleichheit.
„Die staatsbürgerliche Solidarität, d.h. die Identifikation mit der Nation über alle sonstigen Unterschiede und Gegensätze hinweg, ist fundiert durch die unverfügbare Zugehörigkeit zu einer konkreten Volksgemeinschaft. Der Begriff des Volkes im substantiellen Sinne vermag jene Basis substantieller Gleichheit der Staatsbürger zur Sprache zu bringen. Im Zentrum des substantiellen Volksbegriffs steht das Volk als ethnische oder kulturelle Größe.
In ihm gründet die politische Einheit des Volkes. Dieser Nationenbegriff ist objektiv: er garantiert die nationale Identität, ohne sie von subjektiven Willensbekundungen bestimmen zu lassen.“
Depenheuer a.a.O. (2016), S.333.
Kosmopolitisches Denken übersieht aber auch, daß die verschiedenen Solidargemeinschaften nicht nur den Zweck haben, im Sozialleben untereinander solidarisch zu sein. Sie haben auch die Funktion, die Art und Weise des Zusammenlebens gegenüber Bedrohungen von außen zu garantieren. Diese droht potentiell aus Ländern, die im Innern ebenfalls Solidargemeinschaften bilden, aber völlig andere Vorstellungen von gutem Zusammenleben haben. So kann man die Solidargemeinschaft unseres Staates auch betrachten als staatliche Gemeinschaft derjenigen, die in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht in einem islamischen Kalifat oder einer asiatischen Autokratie leben wollen.
„Denn jede Gemeinschaft muß eine Grenze zur sozialen Umwelt setzen, sonst kann sie keine kraftspendende Identität gewinnen.“
Udo Di Fabio a.a.O., S.103.
Wer die Kraft aufbringen möchte, die zur Verteidigung unserer Identität notwendig ist, darf niemals schweigen: nicht wenn „Deutschland verrecke“ an Hausmauern geschmiert wird, nicht, wo „Allah ist groß“ gebrüllt wird, nicht, wenn wir Welle auf Welle gegen Afroasiaten ausgetauscht werden, und überall da nicht, wo unser Staat, seine Grundordnung und mit ihr unsere eigemtümliche freiheitliche Lebensweise angegriffen wird.
Deutschland als Wille und Vorstellung
Schließen Sie ihre Augen, und lauschen Sie: Es lebte einst eine alte Großmutter. Manchmal kam ihre kleine Enkelin zu Besuch. Sie war der einzige, kleine Sonnenstrahl im Leben der alten Dame. Die aber sorgte sich um das Kind. Im Leben des Kindsvaters spielten nämlich Einflüsse mit, denen die Kleine nicht zum Opfer fallen sollte. Verzweifelt rief sie sogar das Familiengericht an und wollte sie zu sich nehmen. Aber das Schicksal riß die beiden für immer auseinander.
Können Sie sich die Oma gut vorstellen? Haben Sie sie bereits lieb gewonnen? Machen Sie sich ein Bild von ihr?
Dann stellen Sie sich danach bitte eine Frau vor, die wegen vierfachen Mordes verurteilt worden ist. Alle Opfer waren vermögende alte Männer. Mengen Sie nun in ihrer Vorstellung Schlafmittel in Erbsensuppe, und weben sie die Suppe in diese Geschichte ein, in der auch ein Gehilfe eine Rolle spielt, der sich mit dem Erwürgen und Verbrennen bestens auskennt.
Sehen Sie jetzt auch diese Frau klar vor Ihrem inneren Auge? Machen Sie sich ein Bild von ihr?
Sie dürfen die Augen nun wieder öffnen. Ihre beiden Vorstellungen sind wahr. Aber die Frauen sind in Wirklichkeit ein und dieselbe. Nur hatte ich Ihnen erst einen und dann einen anderen Aspekt der Geschichte vorenthalten. Wenn man sich völlig unterschiedliche Vorstellungen von etwas macht, gelangt man zwangsläufig zu völlig verschiedenen Bildern. Bei einem körperlichen Gegenstand, den man sieht, kann das nicht passieren.
Stellen wir uns aber keinen Körper vor, sondern soziale Beziehungen zwischen Personen, wird die unterschiedlich mögliche Wahrnehmung politisch hoch brisant.
Wenn man ganz unterschiedliche Fakten zugrundelegt, kommen verschiedenartige Bewertungen heraus: eine liebenswerte Oma oder eine Mörderin. Soziale Gebilde aber wie die Familie Krupp, der Verein Bayern München oder der Staat DDR bestehen aus mehr einzelnen Fakten, als ein Mensch gleichzeitig kennen und berücksichtigen kann. Wenn sie vergangen sind, gibt es sie nur noch in unserer Vorstellung. Wir müssen uns die Fakten wie zu einem Bild zusammensetzen, also im Kopf eine Idee davon bilden, was für uns ihr Prägendes ist.
Natürlich reden wir hier über Deutschland, das haben Sie schon gemerkt. Friedrich Schiller sagte über Wallenstein: „Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Genau um solche schwankenden Bilder geht es. Welches Bild wir uns von Deutschland machen, hängt von den Fakten ab, die wir in dieses Bild einfließen lassen. Darum stellen sich verschiedene Menschen völlig Verschiedenes unter „Deutschland“ vor. Je nach dem hassen sie es, lieben sie es oder bleiben gleichgültig. Zwischen „Blühe, deutsches Vaterland!“ und „Nie wieder Deutschland!“ klafft eine tiefe Kluft. Die ihr Vaterland lieben und die es hassen machen sich nämlich so unterschiedliche Vorstellungen von Deutschland wie von einer liebevollen Oma oder einer Mörderin.
Jeder hat sein persönliches Deutschland
Es gab und gibt keine präzise, einheitliche Idee „Deutschland“. Jeder hat seine eigene Idee von Deutschland im Herzen – genauer gesagt: im Kopf. Sie ist historisch eine junge Idee. Zwar schließt sie mehr als tausend Jahre unserer Geschichte ein. Wer in historischem Zusammenhang von Deutschland spricht, beginnt spätestens im 9. Jahrhundert bei Ludwig dem Deutschen. Im Mittelalter selbst stellte man sich aber kein Land Deutschland vor. Man lebte staatlich im Heiligen Römischen Reich, und dessen Reichsvolk waren auch mehrheitlich Deutsche. Sie hatten aber noch nicht die Idee eines abgrenzbaren Landes namens Deutschland.
Platon hatte Ideen für real gehalten. Sie seien die Urformen des Seins, und in der körperlichen Welt sähen wir nur ihre schattenhaften Abbilder. Nehmen wir eine Kugel. Unter einer idealen Kugel werden alle Menschen sich dasselbe vorstellen. Ein Land ist aber keine Kugel. Es weist nicht für alle Leute dieselben Merkmale auf. Wir können uns sogar Länder und Orte vorstellen, die es gar nicht gibt, zum Beispiel das sagenhafte Avalon oder Tolkiens Auenland. Jeder kann sich die Idee eines solchen Ortes ein wenig unterschiedlich denken.
Als die Franzosen 1681 Straßburg besetzten, um zu bleiben, hatten die Kölner keine Idee von „Deutschland“. Ihnen ging das Gefühl ab, man hätte ihnen etwas weggenommen. 1794 hißten die Franzosen dann in Köln die Trikolore. Sie behaupteten: zu ihrer „Nation“ könne jeder gehören, der sich zu ihr bekenne. Nachdem sie auf dem Neumarkt einen Freiheitsbaum errichtet hatten, nahmen sie sich die Freiheit, die Kunstschätze Kölns zu plündern. Die Roten Funken erhielten französische Uniformen und durften 1812 zum Ruhme Frankreichs nach Rußland mitmarschieren.
Der Sachse Johann Gottlieb Fichte entwickelte dagegen kreative Ideen und propagierte diese ab 1807 in seinen „Reden an die deutsche Nation“. Seine Idee von Deutschland setzte sich schnell durch. Ernst Moritz Arndt kleidete sie in die Worte: „Soweit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt.“ Ungeachtet der Staatsgrenzen sah er das deutsche Vaterland überall da, wo Deutsche wohnen. Die zukunftsweisende Idee wehrte die französische Rechtfertigung dafür ab, wo immer möglich Teile Deutschlands zu annektieren und die Bewohner flugs zu Franzosen zu erklären. Nicht durch einen Willensakt, durch keine Beitrittserklärung sollte man aus seinem Vaterland aus- und in ein anderes eintreten können. Deutscher zu sein galt jetzt als Frage der objektiven Identität. Das Vaterland sollte seine Kinder nicht einfach loslassen können und diese ihm nicht entrissen werden dürfen.
Die im 18. Jahrhundert erst schüchtern knospende Vaterlandsliebe blühte im 19. voll auf. Im selben Lied forderte Ernst Moritz Arndt: „Das ganze Deutschland soll es sein! O Gott im Himmel, sieh darein und gib uns rechten deutschen Mut, daß wir es lieben treu und gut!„. Die Liebe zu Deutschland drückt bis heute auch das Lied der Deutschen aus und gehört traditionell zum positiven Verständnis der Idee „Deutschland“. Wer sie teilt, denkt an Deutschland als Land unseres deutschen Volkes in Jahrhunderte zurückreichender Tradition: an die deutschen Kaiser des Mittelalters, die romanischen und gotischen Kathedralen, an ein leidgeprüftes Volk, das sich aus Kriegen wie dem 30jährigen immer wieder kraftvoll erhoben und unsterbliche Werke der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaften geschaffen hat.
Das pöse, pöse, Deutschland
Und dann gibt es noch das böse Deutschlandbild, die Idee einer angeblichen direkten Traditionslinie von Friedrich den Großen (böse) über Bismarck (böse) zu Hitler (böse). Es ist die Idee eines Deutschlands, das eigentlich an allem schuld ist, und wo nicht, werden wir das auch noch bald herausfinden. Diese Vorstellung vom bösen „Deutschland“ gründet auf der Wahrnehmung ganz anderer Fakten als die vom guten „Deutschland“.
Vor allem aber gründet sie zentral auf derjenigen normativen Vorstellung von „Deutschland“, die damals die Nationalsozialisten hatten. Ohne deren Idee von „Deutschland“ wäre die heutige Idee vom „bösen Deutschland“, das man nicht lieben kann und das man schnellstens abschaffen muß, gar nicht vorstellbar. Beide Ideen sind nämlich miteinander verbunden.
Die Idee vom bösen Deutschland gründet zwar auch, aber nicht hauptsächlich auf anderen Fakten als die Idee vom guten Deutschland. Sie gründet sich darauf, was man sich heute von der bösen Idee der Nationalsozialisten von Deutschland für Vorstellungen macht. Immerhin hatte sich Hitler immer auf Deutschland bezogen. Wenn Deutschlandhasser heute Deutschland hassen, hassen sie das, was sie sich unter der Idee der Nationalsozialisten von Deutschland vorstellen. Sie nehmen Hitlers Deutschlandbild für bare Münze und zum Maßstab der Idee „Deutschland“. Sie meinen, damit die einzig gültige Vorstellung von Deutschland zu haben. Sie haben dabei die Idee eines „Deutschland“ , ständig beschäftigt, Minderheiten zu hassen, Juden auszurotten und fremde Länder zu erobern.
So hegen Deutschlandhasser eine antifaschistische Idee davon, welche nationale Idee zwangsläufig hinter dem Wort „Deutschland“ stecken müsse. Deutschlandhaß setzt heute ein bestimmte Vorstellung davon voraus, was frühere Menschen sich einst vorgestellt hatten. Er beruht auf der Idee von einer Idee. Die Deutschlandhasser von heute stellen sich im Grunde dasselbe Bild von Deutschland vor wie jener – Wie hieß er doch gleich? Sie bewerten es nur mit umgekehrtem Vorzeichen.
Jener hatte seine Absicht, „das Ende des Judentums in Europa“ herbeizuführen, vorher öffentlich verkündet. Das prägt mein Bild seines Nationalsozialismus. Muß es zwangsläufig mein Bild von Deutschland prägen? Er behauptete sinngemäß, die Verkörperung Deutschlands zu sein. Muß ich ihm das abnehmen?
Wenn Merkel sagte, Auschwitz sei Teil ihrer nationalen Identität, hätte jener – Sie wissen schon, wen ich meine – ihr nicht widersprochen. Seine Obsession zielte darauf ab, was in jenem Ort geschah. Die Idee eines von Juden „gereinigten“ Deutschlands, verbunden mit Orten wie Auschwitz, war Teil seiner nationalen Identität. So bildet der Ort für beide Kanzler einen festen Bestandteil der Identität – für den einen vielleicht triumphierend, für die andere eher verschämt.
In gewisser Weise hält das Denken jenes von damals jene von heute fest im Griff. Deutschlandhasser haben eine fremdbestimmte Idee von „Deutschland“. Der große Bestimmer von einstmals beherrscht heute noch ihr Denken. Seine Vorstellung seines Deutschlands ist zu ihrer geworden, und in Abscheu und Selbsthaß möchten sie Deutschland und mit ihm die Vorstellung zerstören, die sie so quält.
Fakten spielen nur im Hintergrund eine Rolle, wenn jemand sich eine Idee seines persönlichen Deutschlands bildet. Nach der Gauland’schen Vogelschißtheorie machen zwölf böse Jahre gegenüber 1200 anderen Jahren nicht das Deutschland Prägende aus. Es kann sich jeder selbst aussuchen, welche Ereignisse aus 1200 Jahren er für sein Bild von Deutschland verinnerlicht. Wirklich jeder? Kann wirklich aus 1200 Jahren auswählen, wer in der Schule nur von zwölf gehört hat? Vielleicht waren es auch dreißig, wenn Lehrer zu den gewissen zwölf Jahren noch die Jahre davor genommen hatten, um den historischen Ursprung des Bösen zu verdeutlichen.
Lieben Sie mal ein „Land der Täter“, wie man Deutschland jahrzehntelang genannt hat und heute noch im Staatsfernsehen nennt. Lieben Sie es mal, wenn Ihre Klassenfahrten Sie vorzugsweise zu Konzentrationslagern geführt hatten. Lieben Sie es ruhig, wenn Sie es schaffen, nachdem Zeit Ihres kurzen Lebens Deutschland vor allem im selben Atemzug mit den Worten Nazis und Auschwitz gefallen ist und dieser Kerl – wie hieß er doch noch? – jeden Tag auf irgendwelchen mindestens drei Fernsehsendern seinen Krieg „im Namen Deutschlands“ verliert!
Die Saat der Selbsthaßpropaganda
Es tröstet, daß ich hier stark vereinfache und zuspitze. Man kann dem volkspädagogischen Druck auch entrinnen. Die Gedanken sind frei. Aber nicht jeder vermag der täglichen Berieselung zu entgehen. Nicht jeder bildet sich selbst historisch fort. Die suggestive Kraft der Selbsthaßpropaganda ist so stark, daß selbst schlichte Gemüter ihr erliegen, die ihr zum Trotz ihr Gegenteil wollen. Wer in vermeintlicher Liebe zu Deutschland die vom Deutschlandhaß vermittelten Vorstellungen verinnerlicht, hält dann womöglich in seinem Wahn für einen Beweis von Vaterlandsliebe, wenn er bewaffnet vor einer Synagoge aufkreuzt und wild um sich ballert. Er macht sich damit selbst zum Abziehbild des linken Zerrbildes von einem sein Vaterland liebenden Menschen.
Liebe vermag die Welt manchmal so zu sehen, wie sie nicht ist. Wenn wir uns entscheiden, zu unserem Land zu stehen, kann unsere Idee von Deutschland nur die eines liebenswerten Vaterlandes sein. Jenseits des verminten Geländes rein deskripitiver Geschichtsschreibung, außerhalb der Zäune und Wachtürme moralisierender Geschichtsdeutung, da sind wir frei. Hier können wir uns entscheiden, welche Merkmale unsere Idee von Deutschland aufweisen soll. Auch normative Komponenten dürfen zu dem ideellen Bild gehören. Wie soll unser Land aussehen?
Die Germania in meinem Kopf ist keine Mörderin, sondern eine liebenswerte Großmutter, zu deren Füßen eine fröhliche Schar kleiner Enkelkinder spielt.
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