Die Freiheit unter der Maske

Über das Unbehagen am Konformismus: die Auflösung aller Dinge, Deserteure und Waldgänger

Der Mann ohne Eigenschaften

Während aus den Fabriken gleichförmige Produkte industrieller Massenfertigung strömen, tendiert die Massengesellschaft auch zur Vereinheitlichung ihrer Menschen. Machen wir uns nichts vor: Ob wir mit rot-weißen Fanschals des einen oder mit blau-weißen eines anderen Vereins ins Stadion gehen, macht uns nicht zu unterschiedlichen Menschen. Die Moden und Versatzstücke scheinbar verschiedener Trends können nicht überdecken, daß die Menschen der Massengesellschaft in wesentlichen Fragen gleich geprägt sind.

Die meisten möchten auch gar nicht aus der gesellschaftlich anerkannten Rolle fallen. Das Bedürfnis nach Anerkennung ist ein psychisches Grundbedürfnis. Wer möchte schon Außenseiter sein? Dazu wird man schnell, wenn man sich nicht anpaßt. Also geht man lieber konform mit den üblichen oder den zu erwartenden unhinterfragten Gewohnheiten, den in Gesprächen geäußerten Meinungen über Gott und die Welt und den vielen kleinen und großen kulturellen Details.

Auf Effizienz und Profit maximierte Spielregeln belohnen den mit jedem anderen beliebig austauschbaren „Mann ohne Eigenschaften“, geografisch flexibel, anpassungsbereit an alles, bindungslos oder jederzeit willig, vorhandene Bindungen zu lösen. Nicht nur im Arbeitsleben wird Angepaßtsein belohnt. Auch als „Verbraucher“ und selbst als Bürger sind wir bei denen da oben umso beliebter, je konformistischer wir uns verhalten und keinen Ärger machen. Wer 2,20 m groß ist und im Kaufhaus eine Hose kaufen möchte, hat es ebenso schwer wie jemand, der drei Frauen heiraten oder seinen Kaiser wiederhaben möchte. Für Nonkonformisten gibt es keinen gesellschaftlichen Bonus.

Tomasz Alen Kopera, Der Deserteur, 2020.

Dem Unbehagen am Konformismus hat der polnische Maler Tomasz Alen Kopera immer wieder bildliche Gestalt gegeben. Texte wie diesen lesen nur intelligente Minderheiten. Ein Bild dagegen spricht jeden unmittelbar an und wirkt viel tiefer. Am Anfang war nicht das Wort. Am Anfang war das Bild. Die Wirkungsmacht eines einprägsamen Bildes übersteigt die jedes Textes. Die Gemälde des in Breslau lebenden Malers Kopera sprechen unmittelbar das Gemüt an und sind jedermann verständlich. Das bedeutet nicht, daß jeder Betrachter genau dasselbe assoziiert.

Aus dem Gehäuse entkommen

Koperas wiederkehrendes Motiv ist der gesichtslose, vereinheitlichte Massenmensch. Wie ein mythischer Golem nur aus Ton besteht, so umhüllt den Massenmenschen der Massengesellschaft eine Art Tonhülle, in die nichts dringt und aus der nichts dringt. Aus ihr gilt es auszubrechen, gerade so wie sich Max und Moritz in Wilhelm Buschs Bildererzählung aus der Teighülle hinausknabberten.

Wilhelm Busch, Max und Moritz knabbern sich aus der Hülle frei.

Der Ausbruch der Person aus der grauen Masse ist Koperas wiederkehrendes Thema, gleichsam seine Revolte gegen die moderne Welt.

Wir sehen sie beispielhaft in seinem neuesten Gemälde. Der Künstler selbst hat es „Der Deserteur“ genannt. Es ist aber jeder ein „Deserteur“, der sich einem Konformitätsdruck innerlich nicht beugt. Ernst Jünger hat diesem Typus des „Waldgängers“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Solche freien Geister stehen immer im Konflikt mit den Zumutungen gesellschaftlicher Normierungen:

Konformitätslust und -druck

Eine Gruppe quittiert jeden Verstoß gegen ihren Comment mit Stirnrunzeln oder gar einem sozialen Platzverweis. Für Deserteure gibt es keine Belobigungen. Selbst Gutmenschen können sich zu Marschkolonnen formieren. Wer aus dem Glied tritt, hat es schwer. Im Oktober 2020 kündigte der S. Fischer Verlag an, die 40-jährige Zusammenarbeit mit Monika Maron zu beenden. Sie war nicht mehr linientreu. Wer aus den miefigen Echokammern unserer Kulturszene ausbricht, wird gemobbt. Das in Kauf zu nehmen, ist der Preis der Freiheit, eine eigene, nonkonforme Meinung zu publizieren.

Der Evolutionsbiologe und Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt warnte schon 1988 vor dem „Meutesyndrom“: „Man reagiert seine eigenen Aggressionen am Prügelknaben ab.“ Bereits „Schimpansen stürzen im Kollektiv über Gruppenmitglieder her, die sich von der Norm abweichend verhalten.“[1] Machen wir uns als Menschen nichts vor. Je nach Situation sind wir „noch immer“, wie Erich Kästner in einem Gedicht spöttelte, „die alten Affen“. Am 4. Oktober 2020 zogen 60 Vermummte lautstark durch Konstanz vor das Elternhaus eines 26jährigen, der Mitglied der Identitären Bewegung gewesen sein soll. Dieser war nicht zuhause.

Die Junge Freiheit berichtet, die „Randalierer hätten zahlreiche Eier und Farbbeutel mit rotem Lack gegen die gelbe Hausfassade geworfen und den Briefkasten mit Bauschaum gefüllt. Zudem sei auf den Eingangsbereich vor dem Haus der Schriftzug „Nazi“ gesprüht worden.“. Der „Stiefvater habe sich dem Antifa-Mob gestellt, der daraufhin auf ihn losgegangen sei. Die Angreifer hätten den 49 Jahre alten Mann gegen den Kopf geschlagen. Währenddessen soll einer der Vermummten versucht haben, ihm sein Mobiltelefon zu entreißen. Als sich immer mehr Anwohner einschalteten, seien die Linksextremen geflüchtet.“[2]

Eibl-Eibesfeldt kennzeichnet den Konformitätsdruck der Gruppe als „normierende Aggression“: „Die Bereitschaft des einzelnen, sich der Gruppennorm anzugleichen, ist sehr stark. In ihrem Bedürfnis, der Mehrheit zu folgen, handeln Menschen sogar wider alle Vernunft.“[3] Das entspricht bis heute dem anthropologischen Forschungsstand. „Individuen streben“ darum „danach, anderen Mitgliedern ihrer Gesellschaft so weit zu gleichen, daß sie deren Respekt gewinnen,“ und gleichzeitig möchten sie doch so „unterschiedlich sein, daß sie sich als etwas Besonderes fühlen.“[4] Aber niemand möchte Opfer des „Schwarze-Schaf-Effekts“ werden: „Menschen werden feindselig gegenüber jedem Mitglied, dessen empörende Verhaltensweisen wie ein Affront gegen ihre Vorstellungen von ihrer Gesellschaft wirken.“[5]

Bereits traditionelle „Kleinverbände, die einander gut kennen, nehmen Anstoß an deutlich abweichendem Aussehen oder Verhalten eines Gruppenmitgliedes. Individualität ist nur innerhalb einer bestimmten Schwankungsbreite erlaubt. Wer von ihr abweicht, wird Objekt kollektiver Aggressionen.“[6]

Darum „gehört Zivilcourage dazu, die eigene Meinung gegen eine Mehrheit zu vertreten. Wir neigen dazu, mit dem Strom zu schwimmen, ohne erst kritisch zu prüfen, ob die Mehrheit wirklich vernünftig handel. Unter den objektiven Bedingungen der Massengesellschaft ist es schwer genug, einen nonkonformen Lebensstil zu pflegen. Unzählige durch Kindergarten, Schule und Universitären normierte geistige Einheitsmenschen kennen heute gar nichts anderes mehr als denselben zähen Brei aus ideologischem Moralismus und ausgrenzendem Gutmenschentum. Tag für Tag wird es ihnen von den öffentlich-rechtlichen Medien erneut eingelöffelt, damit sie bloß nicht auf andere Gedanken kommen.

Wir freien Geister

Es gehört erst viel Verstand und dann viel Kraft dazu, sich davon zu befreien und, wie in Koperas Gemälden immer wieder zu sehen ist, die Verkrustungen zu sprengen. Jenseits der staatlich geförderten sogenannten abstrakten Kunst hat sich ein neues, surrealistisches Genre gebildet, das zur Gegenständlichkeit zurückgekehrt ist. Es verbindet sie aber mit einem tiefen Symbolgehalt.

Und wenn die Gesichtslosen mit der Fahne auch alle nach links marschieren, kann man doch ausbrechen und nach rechts entkommen.
Gemälde von T.A.Kopera

Koperas Gemälde machen Mut. Wer sie betrachtet, weiß sich in seinem verzweifelten Sehnen nach geistiger Freiheit gegen den zähen Schleim des etablierten Kunstbetriebes nicht länger allein. Dieser Betrieb ist heute zutiefst ideologisch befrachtet. Er gefällt sich darin, daß Häßliche gegen das Schöne zu bevorzugen, das Perverse gegen das Gesunde, alles Zersplitterte, Fragmentierte und Gescheiterte gegenüber dem Vollendeten.

Kopera dreht diese Tendenz um. Die Auflösung jeder Form war Merkmal der künstlerischen Moderne. Sie entsprach damit der Auflösung aller strukturierten Vorstellungen gesellschaftlichen Zusammenlebens: Wie in der Kunst die ästhetische Formgebung zerbrach, zerbrach in der Moderne auch jede gesellschaftliche Form und Institution: Ehe, Familie, Staat. In Koperas Gemälden sehen wir hinter und unter den aufgesprengten Hüllen des Konformismus dagegen wieder ästhetische Formgebung, reine Schönheit und Hoffnung.

Unter den normierenden Verkrustungen wohnt der Persönlichkeitskern.
Gemälde von T.A. Kopera

Koperas Gemälde wecken diese Hoffnung. Die Auflösung aller Dinge mußte ihrerseits gesprengt werden, um den gesunden Kern wieder freizugeben: den freien Menschen und seine individuelle Persönlichkeit.


[1] Eibl-Eibesfeldt, Irenäus, Der Mensch – das riskierte Wesen, 1988, S.116.

[2] Tipold JF 6.10.2020.

[3] Eibl-Eibesfeldt (1988), S.117.

[4] Moffett, Mark W., Was uns zusammenhält, Eine Naturgeschichte der Gesellschaft, 1. Auflage 2019, S.356.

[5] Moffett (2019) S.390.

[6] Eibl-Eibesfeldt, Wider die Mißtrauensgesellschaft, 1994, S.114.

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  1. Ivo Edersleben

    Es ist wohl kein Zufall, daß Kopera Pole ist. Nach traditionellem polnischen Verständnis ist Aufsässigkeit – überspitzt ausgedrückt – nahezu eine patriotische Pflicht. Seine Bilder zeigen zwar einen einzelnen Ausscherer, aber der Witz ist, daß es eben sehr viel mehr als Einzelne sein müssen, damit ein Bild eine Gruppe von Anhängern gewinnt, was hier zweifellos der Fall ist.

    Den vorstehenden Beitrag finde ich etwas weltschmerzlich. Er behandelt die Erscheinung des Konformismus recht einseitig. Der Konformismus hat seine Funktion und die diesbezüglichen Verhältnisse sind insgesamt schon etwa so, wie sie am besten und funktionalsten sind.
    Ohne ein funktionierendes Fußvolk müßte jeder Wurf nach Größerem scheitern. Dieses Fußvolk erhält sich selbst nur mit Hilfe von Konformismus und einem natürlichen Streben danach. Insofern ist das grundsätzlich eine wertvolle Eigenschaft. Der Konformismus ist auch gut, um Entartungen zu steuern.

    Interessant ist es nun, das „schwere Los“ des Ausscherers zu betrachten. Auch das ist im Grunde genommen gut, denn – vereinfacht ausgedrückt und (nur) statistisch wahr – der schädliche Ausscherer zerbricht daran, während es dem nützlichen oft nicht viel anhat: Der Dieb wird geächtet und der Erfinder des Buchdruckes geachtet. Das ist eine Funktionsweise, die in einem gewissen Maße gewährleistet, daß sich mehr nützliche als schädliche Veränderungen einstellen.

    Wenn wir Ausscherer aus Überlegenheit ggü. der konformistischen Masse sind und das wissen, dann tut uns die Außenseiterrolle nicht wirklich weh. Dann sind wir auf die Art Außenseiter, wie es auch früher der Pfarrer in einem Dorf war: Geachtet, aber letzlich alleine. Der Hirte ist eben nicht Teil der Herde.

    Und das interessante ist, daß das von der Herde mitgetragen wird. Wenn die konformistische Masse bei einem Ausscherer eine natürliche Überlegenheit an Geist und Willen erkennt, läßt sie die Ansprüche auf Konformismus fallen.

    • Ja, ich habe hier nur einen Aspekt des Konformismus herausgegriffen. Mehr kann ein kurzer Blogbeitrag nicht leisten. Auf die vielen anderen Aspekte und auch auf eine gewisse soziale Funktionsnotwendigkeit von Konformismus bin ich in einer kleineren Schrift ausführlich eingegangen, die nächstes Jahr erscheinen wird.
      Hier kam es mir nur darauf an, den Abschied eines Künstlers von der Moderne zu zeigen. Die Moderne hat sozialpsychologische Kollateralschäden hinterlassen, die Kopera genial verbildlicht. Ich weiß nicht, ob ihm das selbst klar ist.
      Das Pathos des Ausbrechens aus einem oktroyierten Schematismus, der uns zu grauen, einförmigen Dutzendmenschen machen will, darf sich jeder aneignen und es nutzen, der darin eine gesellschaftliche Fehlentwicklung sieht.

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