Wer vom Totenkopf schwärmt, bricht das letzte Tabu der Spaßgesellschaft

Im Hause des Henkers redet man nicht gern vom Strick. Gab sich unsere Spaßgesellschaft auch tabulos, bewahrte sie doch den Tod als ultimates Schrecknis auf. Sie verbannte ihn sich aber aus den Augen: schob die Sterbenden ab in Sterbekliniken, verbrannte ihre Leichen oder verscharrte sie in Friedwäldern.

Doch Tote kommen wieder, manchmal, nachts, wenn einer voller Zukunftsangst erwacht und nicht wieder einschlafen kann. Vielleicht hat er die Bilder des italienischen Militärkonvois gesehen, der vorgestern über 400 Särge aus Bergamo herausschaffte. Wer den Tod verdrängen möchte, hat es jetzt selbst in der gewöhnlichen Rund-um-die-Uhr-Kinderstundenzeit der Privatsender schwer. Das Sterben ist unübersehbar. Der Tod meldet sich zurück.

Unseren Altvorderen war er vertraut. Jeden Tag konnte er an jedermanns Bett stehen. Kumpelhaft hieß er Freund Hein oder Gevatter Tod. Seine Allgegenwart bildete einen festen Bestandteil des Lebens und der Kultur der Lebenden.

Wer ihn wieder in sein Bewußtsein aufnimmt, der lebt vielleicht unbeschwerter, geradezu wie der hochmittelalterliche Dichter dieser Zeilen: Ich lebe und weiß nicht, wie lange. Ich sterbe, und weiß nicht, wanne. Ich fahre und weiß nicht, wohin. Mich wundert, daß ich fröhlich bin.

Neben fröhlicher Todesverachtung leben auch viele Menschen in beständiger Todesfurcht, die sich in Aberglauben kristallisiert. Auch ein harmloser Nachtfalter wurde manchen Toren verdächtig, scheint er doch das Zeichen des Todes auf dem Rücken zu tragen.

Die Furcht vor dem Tode, das törichte Verlangen, sein künftiges Schicksal zu wissen, die schlechte Aufmerksamkeit, welche man auf die natürlichen Zufälle insgeheim zu haben pflegt, machen, daß der größte Teil der Menschheit gar viele Dinge für Vorboten eines großen Unheils hält, vor welchen ein gesetztes und durch reifes Nachdenken aufgeheitertes Gemüt nicht im geringsten erschrickt. Ist es denn also wohl Wunder, daß auch der Totenkopf von vielen nicht ohne Schrecken erblickt wird, zumal da er bei seiner besonderen Zeichnung auch noch einen kläglichen Ton von sich gibt, sich nur bei Nacht sehen läßt und noch überdies beim Fliegen ein ziemliches Geräusch macht.

August Johann Rösel von Rosenhof (1705-1759), Insektenbelustigungen, Teil 3, 1755, SA. 14.

Wie wir hier sehen werden, bildet der Totenkopfschwärmer auch 270 Jahre nach diesen Worten Rösel von Rosenhofs noch immer einen Gegenstand abergläubischer Mystifizierung und Todessymbolik.

Der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos, Weibchen) trägt scheinbar einen Totenkopf auf dem Rücken.

Ein Totenkopfschwärmer vor dem Verwaltungsgericht

Wie sehr der Tod und der Totenkopf als sein Haupt-Symbol tabuisiert ist, zeigen sehr seltsame und aufschlußreiche Ausführungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in einem Beschluß vom 17.5.2018.

Die Klägerin war seit dem 1.7.2008 Hauptfeldwebel auf Zeit im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels bei der Luftwaffe der Bundeswehr. Sie begehrte die vorläufige Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst als Polizeikommissaranwärterin zum Einstellungstermin 1.7.2018. Sie wurde wegen einer Tätowierung abgelehnt.

Auf der Außenseite ihres linken Gesäßes befand sich ein Schmetterling. Auf der linken Außenseite ihres Oberschenkels war eine Libelle und der Spruch „don´t make it more complicated than it needs to be“ tätowiert. Auf der Vorderseite ihres linken Oberschenkels war „Better an oops than a what if“ zu lesen. Darunter befand sich ein Schädel, der durch Blüten- und Blattelemente verfremdet ist, in einem mit Ornamenten verzierten Spiegel. Auf ihrem Schienbein sind vom Knöchel aufwärts mehrere Blüten tätowiert. Aus diesen Blüten geht ein Fluginsekt hervor, auf dessen Thorax ein kleiner menschlicher Totenkopf gezeichnet ist:

Ein Totenkopfschwärmer! Das ließ sie in den Augen der Behörde als charakterlich ungeeignet für den Polizeidienst erscheinen- für das Gericht eine nachvollziehbare Meinung.

Die nicht ausgeräumten Zweifel der Behörde an der charakterlichen Eignung hatte die Behörde mit der „morbiden“ Natur der Tätowierung begründet:

„Ihr Vorbringen, die Tattoos bildeten ihre philosophischen Betrachtungen zum Thema der Vergänglichkeit des menschlichen Daseins ab, sei unglaubwürdig. Stattdessen liege die Vermutung nahe, daß ein Hang zum Morbiden für die Motivwahl im Vordergrund gestanden habe. Die Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst folgten bereits aus der kulturellen Rezeption des Insekts. Aufgrund seiner Lebensweise, die dadurch geprägt sei, daß es in Bienenstöcke eindringe und den Bienen den Honig und Nektar stehle, und der imposanten Erscheinung mit dem namensgebenden „Totenkopf“ auf dem Thorax habe es lange Zeit als unheilbringend gegolten.

Auch heute werde der Totenkopfschwärmer, etwa im bekannten Horrorthriller „Das Schweigen der Lämmer“, als Sinnbild für das Böse stilisiert. Schließlich leite sich der wissenschaftliche Name des Totenkopfschwärmers „Acherontia atropos“ von der Schicksalsgöttin Atropos ab, einer der drei sogenannten Moiren aus der griechischen Mythologie, deren Aufgabe es sei, den Lebensfaden zu zerschneiden.

Anknüpfungspunkt für die Ablehnung der Bewerbung sei aber nicht allein das Insekt als solches, sondern vielmehr die detaillierten Totenkopfabbildungen. Denn der Totenkopf diene im Allgemeinen der Symbolisierung oder gar der Androhung von physischer Lebensgefahr und Tod. Bereits in der frühen Seefahrt sei der Totenkopf als Symbol auf Piratenflaggen als Todesdrohung und als Aufforderung zur Übergabe eines Schiffes zum Einsatz gekommen.

Zudem sei bei einigen Heereseinheiten im 18. Jahrhundert die Sitte aufgekommen, ein Totenkopfsymbol als Abzeichen an der Uniform zu verwenden. Dem Feind habe so klargemacht werden sollen, daß er auch im Falle der Ergebung nicht mit der Schonung seines Lebens rechnen könne. Auch während der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft sei das Totenkopfemblem auf den Uniformen und Mützen der SS-Verbände zu sehen gewesen und bis heute den Regimeopfern in grausamer Erinnerung geblieben. Daß sich auch Rock- und Pop-Bands wie „Die Toten Hosen“ oder „Gun´s n´Roses“ des Totenkopfsymbols bedienten, lasse ihre Tattoos keineswegs in einem anderen Licht erscheinen. Denn dort werde der Totenkopf bewußt als Protestsymbol gegen herrschende Gesellschaftsnormen verwendet. Diese müsse sie als Polizeibeamtin aber gerade verteidigen.

Sicherlich seien Vanitas-Motive, um die es bei Totenkopfmotiven in einer Gesamtschau auch gehen möge, schon seit der Antike beliebt, um die Vergänglichkeit alles Irdischen darzustellen. Bei ihren Totenkopfabbildungen stünde für den objektiven Betrachter dennoch nicht die Vergänglichkeit im Mittelpunkt, sondern die überdimensionalen Totenköpfe selbst.

Ihr weiterer Vortrag, der grimmig dreinblickende Totenkopf im Spiegel sei in Wahrheit nur ein mexikanischer Zuckerschädel ändere daran nichts. Schließlich würde sie nicht in Mexiko, sondern in Baden-Württemberg eingesetzt werden. Hierzulande werde ein grimmig blickender Totenkopf jedenfalls nicht mit Süßigkeiten in Verbindung gebracht. Er wirke auf einen Großteil der Bevölkerung abschreckend. Spätestens das Totenkopfschwärmer-Tattoo mit dem in natura jedenfalls nicht vorkommenden detaillierten menschlichen Schädel im Torso habe nichts mehr mit den fröhlichen Feierlichkeiten in Mexiko zu tun. Die kulturelle Rezeption dieses Insekt habe nur die o. a. düstere Bedeutung. Entsprechende Negativ- und Horrorassoziationen blieben beim Betrachter ihrer Tätowierungen mithin nicht aus.

Habe sie sich die Totenköpfe aus Gefallen am Morbiden oder gar am Bösen stechen lassen, so läge hierin eine Einstellung begründet, die sich mit dem Beruf eines Polizisten nicht vereinbaren lasse. In dieser Interpretation widerspreche die Bedeutung des Tattoos fundamental dem in der Öffentlichkeit zu vermittelnden Bild eines Polizeibeamten, der eben nicht der „Böse“, sondern der „Freund und Helfer“ sein solle.

Habe sie sich die Tattoos dagegen ohne nähere Information über deren Bedeutungsgehalt stechen lassen, so würde dies zeigen, daß sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht überdenke. Gerade diese Vorausschau sei aber ein wesentliches Merkmal, das von einer Polizeibeamtin erwartet werden könne, die bei der Ausübung ihres Amtes eventuell erheblich in Grundrechte von Bürgern eingreifen müsse. Auch in diesem Fall wäre sie mithin ungeeignet für den angestrebten Beruf. Die begründeten Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung für den Polizeiberuf ließen sich weder durch eine Übertätowierung noch durch eine komplette Entfernung der beanstandeten Tattoos beseitigen. Entscheidend seien die mit der Motivwahl verbundenen Zweifel an ihrer charakterlichen Eignung.“

Begründung der Polizei baden-Württemberg für die Nichteinstellung der Bewerberin

Das Verwaltungsgericht räumte der Behörde ein weites Ermessen ein:

Im übrigen ist die Nachprüfung von ablehnenden Einstellungsbescheiden im Wesentlichen auf die Willkürkontrolle beschränkt. Denn es gibt keinen absoluten Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis. Art. 33 Abs. 2 GG regelt, daß jeder Deutsche „nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat“. Das Gericht kann eine angegriffene Einschätzung der Einstellungsbehörde hierzu nicht durch die eigene Einschätzung ersetzen.

VG Karlsruhe, Beschluß vom 17. Mai 2018 – 9 K 16661/17 –

Warum die Entscheidung der Einstellungsbehörde allerdings keine Willkür gewesen sein soll, begründete das Gericht wieder mit eigenen – biologischen und mythischen – Ausführungen:

    Soweit der Antragsgegner aufgrund der Tätowierung des Fluginsekts auf dem linken Schienbein der Antragstellerin einen charakterlichen Eignungsmangel annimmt, dürfte er mit dieser Beurteilung seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten haben. Es ist insbesondere nicht dargelegt, daß der Antragsgegner von unrichtigen tatsächlichen Bewertungsgrundlagen ausgegangen ist. Der Antragsgegner ist nach Hinweis der Antragstellerin davon ausgegangen, dass dieses Motiv nicht etwa – wie vom Antragsgegner zunächst angenommen – eine Motte, sondern einen Totenkopfschwärmer zeigt.

Seine Ausführungen, daß ein Totenkopfschwärmer aufgrund seiner Lebensweise als Eindringling in Bienenstöcke, der den Bienen den Honig/Nektar stehle, und aufgrund des namensgebenden Totenkopfes auf dem Thorax lange Zeit als unheilbringend galt und der Totenkopfschwärmer im bekannten Horrorthriller „Das Schweigen der Lämmer“ als Sinnbild für das Böse stilisiert wird, decken sich mit den Angaben in der freien Enzyklopädie wikipedia und werden von der Antragstellerin auch nicht substantiiert bestritten. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat er mit diesen Ausführungen zum Totenkopfschwärmer den speziellen Kontext des Totenkopfmotivs auf dem Thorax des Fluginsekts durchaus berücksichtigt.

VG Karlsruhe, Beschluß vom 17. Mai 2018 – 9 K 16661/17 –

Tatsächlich lieben Totenkopfschwärmer Honig und naschen auch gern einmal bei Bienen. Sie sind liebenswerte, flauschige dicke Brummer. Was das Gericht dann durch Rückgriff auf abergläubische Vorstellungen daraus macht, ist abenteuerlich und führt uns an den Anfang und Anlaß unseres Nachdenkens: den Tod und seine Tabuisierung.

Gern läßt mein Totenkopfschwärmer sich hier gefallen, daß ich den trinkfaulen Burschen aus einer Pipette Honigwasser saugen lasse.

Daß Totenkopfschwärmer Schmetterlinge sind, dürfte allgemein bekannt sein. Trotzdem schreibt das Verwaltungsgericht diesen Unsinn:

    Die von dem Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, die Antragstellerin bringe mit der Tätowierung dieses Insekts möglicherweise einen Gefallen am Morbiden oder gar am Bösen zum Ausdruck, dürfte unter Anwendung des oben genannten eingeschränkten Überprüfungsspielraums des Gerichts rechtlich nicht zu beanstanden sein. Weder stellt der Antragsgegner bei dieser Schlußfolgerung sachwidrige Erwägungen an noch verstößt er gegen allgemeingültige Wertmaßstäbe.

Die Antragstellerin hat nicht in Abrede gestellt, daß dieses Motiv Ausdruck ihrer inneren Einstellung sei. Sie hat ausgeführt, daß die beanstandeten Totenkopfmotive auf ihre Auseinandersetzung mit dem Thema „Tod“ zurückgingen. Für eine Aussagekraft dieser Motive im Hinblick auf ihre Einstellung zum Berufsbild eines Polizisten spricht insbesondere auch der Umstand, daß sie sich beide Motive nach Aktenlage erst nach ihrer ersten polizeiärztlichen Untersuchung am 4.10.2016 stechen ließ.

Der Totenkopfschwärmer dürfte beim Betrachter aufgrund der oben beschriebenen kulturellen Rezeption des Insekts regelmäßig mit dem „Morbiden“ oder dem „Bösen“ in Verbindung gebracht werden. Ihr Vortrag, daß sie das Motiv zusammen mit dem Tätowierer entwickelt habe und das Fluginsekt eine Fantasiegestalt sei, die Elemente eines Schmetterlings und eines Totenkopfschwärmers vereine und der Schmetterling für sie die Freiheit und Leichtigkeit des Lebens und die Wiedergeburt symbolisiere, ist nicht glaubhaft.

VG Karlsruhe, Beschluß vom 17. Mai 2018 – 9 K 16661/17 –

Hier macht sich das Gericht eine „kulturelle Rezeption“ finstersten Aberglaubens zu eigen und zum Rechtsmaßstab für die charakterliche Eignung einer jungen Frau, die unserem Land zuvor zehn Jahre lang als Soldatin treu gedient hatte.

Allgemeine Totenkopf-Phobie unserer Behörden?

Kaiser Wilhelm II. in der Uniform seiner Totenkopf-Husaren

Daß Gerichte die Tabuisierung speziell von Todessymbolik juristisch absegnen, ist kein Einzelfall. Unsere Behörden haben geradezu eine Totenkopf-Phobie. Am 6.12.2019 hat Bundesminister Seehofer den Verein Combat 18 verboten. In der Verbotsverfügung behauptet er, ein Totenkopf sei ein Kennzeichen des Vereins, und zwar nicht irgendeiner, sondern ein von der SS benutzter, und dessen Benutzung sei bei Strafe verboten.

Dieser Totenkopf war allerdings schon von Kaiser Wilhelms Husaren und von der gesamten Panzertruppe der Wehrmacht verwendet worden.

Die Klage des Vereins gegen die Verbotsverfügung liegt unter Aktenzeichen BVerwG A 5.20 beim Bundesverwaltungsgericht.

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