Die heimlichen Monarchisten
„Die Königin ist tot. Es lebe der König!“
Ja, so hätte es früher in deutschen Ländern geheißen. Die Tonlage unserer Staatsmedien ist auf Moll gedämpft. Wir sollen traurig sein.
„Es lebe der König?“
Nicht mein König.
Die verstorbene alte Dame als Person verdient meinen Respekt. Unsere Außenministerin – nicht meine Außenministerin freilich – verdient ihn nicht. Elizabeth hätte uns den Terror des 2. Weltkriegs großzügig verziehen, hieß es von ihr sinngemäß.
Ach so. Wer hatte doch noch 1939 wem den Krieg erklärt? Schwamm drüber. Elizabeth war es nicht. Laßt die Engländer ihre Königin betrauern, das gehört sich so.
Aber wir? Hier spottet der Bonner Publizist Theo Homann – nein, nicht über die Queen – über uns:
Neben der Haßliebe zum Russen steht die Neidliebe zur Angelsachserei, der in ihrer britischen Teilmenge soeben die bis dato regierende Königliche Hoheit abhanden kam. Queen Elizabeth die Ewige ist verstorben und ihr tatsächlich ein wenig unvermutet erfolgtes Ableben wird in der BRD nicht nur in offiziösen Kreisen und den Gossenmedien „begangen“, als habe man einen lieben Verwandten verloren. Derlei Reaktion kann nicht wundern, lebt doch im einfältigen Volke, dem in egalitären Demokratien das eigentliche zivilisatorisch-stilbildende Sagen zukommt, noch viel Sympathie für gekrönte Häupter und allerlei dynastisches Treiben. In der BRD hat dieses Liebäugeln mit monarchistischen Wertschätzungen sein Patrimonium in Bayern wie auch in Northrhine-Westphalia, dazu im allzeit anglophilen Hannöversch-Welfischen, besonders aber in den vormals rheinpreußisch regierten Republikteilen.
Theo Homann, Facebook, 9.9.2022.
Mit der Neidliebe hat er Recht. Die Engländer gönnen sich noch, was sich viele Deutsche im Stillen noch wünschen: einen König. Sie sind keine Monarchisten – Gott bewahre! Alles gute Demokraten. Keine Verfassungsfeinde, denn wer eine Parlamentsmonarchie wie in England anstrebte, gälte bei uns juristisch als Verfassungsfeind.
Kann man „emotionaler Monarchist“ sein? Offenkundig sind es viele Deutsche, was sich seit Jahrzehnten an den Sympathiekundgebungen zeigt, wenn die Queen hier mal zu Besuch kommt. Nicht nur unterschwellig, ganz offen wird sie dieser Tage in den Medien verehrt. Ein fundamentalistischer Demokrat würde sich erschüttert abwenden.
Quer zum Zeitgeist
Eine Königin als geachtetes Staatsoberhaupt steht quer zum egalitaristischen Zeitgeist. Alle Menschen seien gleich, heißt es. Manche sind es aber doch nicht, die Queen etwa, und niemand beschwert sich. Die ideale Staatsform, philosophierte man schon im antiken Athen, ist die Monarchie unter einem guten König.
Wir hatten das hier auch lange, zuweilen aber auch mit rechten Pfeifen als König wie Friedrich Wilhelm IV. Im Vormärz hieß es in einem burschenschaftlichen Spottgedicht:
„Friedrich Wilhelm, Preußens König, hat an Grütze gar zu wenig,
denkt beim Glase Branntewein, es müssen alles Demagogen sein!“
Zitiert nach: Harald Lönnecker (1963- 2022), Politische Lieder der Burschenschaften aus der zeit zwischen 1820 und 1850, in: Lied und populäre Kultur – Song and Popular CultureS, 48. Jahrgang (2003), ISBN 3-8309-1442-3, S.85 ff. (94).
So nannte man „Verfassungsfeinde“ damals amtlich, bevor Preußen eine geschriebene Verfassung hatte. Weil man den Bundespräsidenten nicht verspotten darf, ohne demnächst um 6 Uhr früh ungebetenen Besuch zu bekommen, möchte ich an dieser Stelle keinen weiteren Vergleich anstellen. Der Mann hat es aber besser als der 1861 gestorbene König, weil er nichts entscheiden muß. Manche Leute reden gern und viel, obwohl sie nichts zu sagen haben. Auch die Queen hatte nichts zu sagen, ebensowenig wie ihre Vorgänger, die seit der Glorious Revolution im Parlamentarismus zu Papiertigern herabgesunken waren. Immerhin durfte die Queen noch Regierungserklärungen verlesen. Vorlesen steht jeder Großmutter gut an.
Zuweilen hat sie sich aber persönlich geäußert, und was sie dann sagte, durchwebte der Geist alter Zeiten:
„Wenn wir alle gemeinsam mit unerschütterlichem Glauben, hohem Mut und ruhigem Herzen voranschreiten, dann werden wir in der Lage sein, aus diesem alten Gemeinwesen, das wir alle so sehr lieben, eine noch größere Sache zu machen – freier, wohlhabender, glücklicher und ein mächtigerer Einfluß für das Gute in der Welt – als es dies in den größten Tagen unserer Vorväter war. Um dies zu erreichen, müssen wir nichts weniger als unser ganzes Selbst geben. Es gibt ein Motto, das viele meiner Vorfahren führten – ein edles Motto: ‚Ich diene‘. Diese Worte waren für viele frühere Thronfolger eine Inspiration, als sie sich im Mannesalter ritterlichen Aufgaben weihten. Ich kann nicht ganz das tun, was sie taten. […] Ich möchte diese Weihe jetzt vollziehen. Sie ist ganz einfach. Ich erkläre vor Ihnen allen, dass ich mein ganzes Leben, ob lang oder kurz, dem Dienst an Ihnen und dem Dienst an unserer Familie des Reiches, zu der wir alle gehören, weihen werde.
Elizabeth II. mit 21 Jahren, „A speech by the Queen on her 21st Birthday, 1947“, The Royal Family, 21.04.1947, übersetzung: Renovatio.
Ein Lied aus uralter Zeit
In mir klingt ein Lied, ein kleines Lied aus uralter Zeit. Von Preußen singt es und einer Fahne, die mir weiß und schwarz voranschwebt. Alte Lieder stimmen mich wehmütig. Sie spülen den Verlust elementarer Bedürfnisse ins Bewußtsein.
„Ich diene!“ Nicht dem erbärmlichen, kleinen Ich, dem Individuum, das sich heute selbst vergottet. Dienst setzt etwas kategorial Höheres voraus. Auf die äußere Realität dieses Höheren kommt es dabei gar nicht an. Man kann auch einem Etwas dienen, das man sich nur vorstellt, etwas Ideellem.
Früher glaubten wir in Deutschland daran, daß es für eine Person etwas Höheres gibt als den Eigennutz:
Wer auf die Fahne von Preußen schwört,
der hat nichts, was ihm selber gehört!
Nach dieser Devise lebten und starben Deutsche generationenlang, auch nicht gebürtige Preußen wie der Freiherr von Stein. Preußen war eine Idee.
Zu dienen und etwas Höherem zu leben als der eigenen physischen Existenz ist das Gegenteil des extremen Individualismus unserer Zeit. Es ist der Geist, der aus Queen Elizabeths zitierten Worten spricht. Nach dieser Devise hat sie gelebt. Für England gelebt. Früher hatten wir solche Frauen und Männer auch.
Das preußische Pflichtethos wurde bald in ganz Deutschland übernommen: Der Kölner Demokrat Robert Blum (1807-1848) wurde erschossen nach seinen letzten Worten: „Ich sterbe für die deutsche Freiheit, für die ich gekämpft. Möge das Vaterland meiner eingedenk sein!“ – „Es lebe das heilige Deutschland!“ waren auch 1944 Stauffenbergs letzte Worte.
Gedenkstein für Robert Blum am Fischmarkt in Köln (Foto: bevi)
Preußen ist von den Siegermächten aufgelöst worden. Die heutigen Deutschen wissen nichts mehr von den Worten des Reichspräsidenten Hindenburg, der einst sagte: unsere Ahnen hätten das alte Preußen groß gemacht durch Gottesfurcht, pflichttreue Arbeit und Vaterlandsliebe. Aus diesem Geist aber lebte und sprach Elizabeth II. Wenn sie in Deutschland in weiten Kreisen hohen Respekt genoß, dann in dunkler Ahnung ihres gelebten Pflichtethos, das es früher auch in Deutschland gab und das unser Land zusammengehalten hatte. Sie sprach in preußischem Stil.
Es ist die höchste Auszeichnung, wenn spätere Generationen sagen: Das ist griechisch, jenes ist gotisch, dieses romanisch, und das ist preußisch. Was sie meinen, können sie vielleicht gar nicht definieren: sie meinen Wahrhaftigkeit gegen sich selbst, Pflichterfüllung im Kleinen in dem Bewußtsein, daß das Kleine ein Teil des Großen ist; sie meinen Sauerkeit, Einfachheit und vor allem Disziplin.
Joachim Fernau, Sprechen wir über Preußen, Die Geschichte der armen Leute, 1981, 6.Aufl.1994, S.314 f.
Wir brauchten das Pflichtethos von keinem ausländischen Monarchen zu lernen. Wir müßten uns nur auf uns selbst und unsere eigene Tradition besinnen:
Ich bin der erste Diener meines Staates.
Friedrich II. von Preußen
Gegenbild zur Moderne
Die englische Königin hatte diese Eigenschaften auch. Ihr Vorbild brachte eine Saite in uns zum Schwingen. Viele ahnen, was wir verloren haben.
Haben sie nicht allen Grund für ein schlechtes Gewissen? Pflichttreue und Unbestechlichkeit – wo sind sie hin? Für Politiker der derzeitigen Generation scheinen das Fremdworte zu sein. Dienen? Wem dient man denn, außer seinem eigenen Fortkommen?
Alle Wertbegriffe des alten Preußen sperren sich gegen die Ideologie der Moderne: Pflichterfüllung gegen Beliebigkeit, Dienst an der Gemeinschaft gegen hemmungslosen Egoismus, Treue gegen „Flexibilität“, Beruf und Berufung gegen „Job“, Bescheidenheit gegen Großtun, und Suum cuique: Jedem das Seine.
Das Königtum als Idee, sei es in England oder Preußen, beruht auf Prinzipien, die denen der Moderne radikal widersprechen: Königtum beruht auf Hierarchie und angeborener Ungleichheit. Die Moderne dagegen setzt auf Gleichheit. Modernem Konstruktivismus sind alle Menschen gleich. Jeder kann jede Rolle spielen. Lieschen Müller müßte auch Königin von England werden können.
Königtum bedeutet aber, etwas zu verkörpern, das man nicht einfach so werden kann. Thronfolge setzt ein substanzielles Sein voraus, kein Rollenspiel. Darum hatte auch Napoleons „Kaisertum“ auf den wackeligen Füßen nackter Militärmacht und der kurzlebigen Begeisterung der Volksmassen geruht und war mit seinem Tod dahin. In England aber ist heute Charles König. Er ist der Sohn Elizabeths. Damit ist er – „substanziell“ – der einzig legitime Thronfolger und neue König.
In Deutschland lebt die Familie derer auch fort, die den einzig legitimen Nachfolger auf einem deutschen Kaiserthron stellen würde, wenn wir einen solchen Thron denn hätten.
Statt dessen haben wir etwas ungleich Wertvolleres: ein Grundgesetz, das uns das verbietet, und einen wachsamen Verfassungsschutz. Er wacht überall und behütet uns vor jedem atavistischen Gefühlsmonarchismus. Wie glücklich können wir uns doch schätzen!
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