Klaus Kunze

Kategorie: Philosophie Seite 7 von 20

Besessen vom Teufels- und Gotteswahn

Die Irren werden zahlreicher

Ohne Zweifel nimmt die Anzahl psychisch leidender Menschen zu. Immer mehr Zeitgenossen müssen sich auf dem schmalen Grat zwischen psychopathischem Charakter[1] und manifester Geisteskrankheit hüten, einen falschen Schritt zu tun.

In meiner anwaltlichen Praxis vermehren sich die Rechtsfälle wie Kaninchen, die erst nach psychiatrischen Gutachten richterlich entschieden werden können. Die Spanne reicht vom vielleicht nicht schuldfähigen Angeklagten bis zu familienrechtlichen Streitigkeiten um „auffällige“ Eltern oder Kinder.

Wenn bei aufsehenerregenden Morden immer häufiger über psychische Probleme des Täters spekuliert wird, ist das nicht bloß darauf zurückzuführen, daß orientalische Messermörder aus politischen Gründen als bedauernswerte Kranke hingestellt werden, während Taten schizophrener Deutscher wie in Hanau propagandistisch  als rechtsextreme Taten eingeordnet werden. Jochen Sommer ärgert sich über das obligatorische „psychisch krank“ bei Messermorden:

Vor Gericht erfolgten dann der in solchen Fällen deutschlandtypische, obligatorische Freispruch wegen „Schuldunfähigkeit” aufgrund einer „psychischen Erkrankung” und die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie in Emmendingen, wo er seit vier Jahren untergebracht ist.

Weiterlesen

Der türkische Heiland

Für Johannes Scherr waren kirchliche Christen und Kommunisten Brüder im Geiste. „Von 1848 bis 1849 war er Abgeordneter der Zweiten Kammer des württembergischen Landtags für Geislingen. Scherr mußte nach der gescheiterten demokratischen Revolution 1849 in die Schweiz fliehen, wo er sich habilitieren konnte und 1860 zum Ordinarius für Geschichte am Polytechnikum Zürich aufstieg.“ (Wikipedia).

Als Urdemokrat und Patriot mußte er emigrieren, um einer 15jährigen Haftstrafe zu entgegen. Er starb dort 1886 als hoch geachteter Professor und Publizist. Von seinen Werken gehört die Deutsche Kultur- und Sittengeschichte von 1857 zu den Standardwerken und wurde zuletzt 1925 von Franz Blei dreibändig herausgegeben.

Zu den 1849 aus Deutschland in die Schweiz „hinausgefegten“ Demokraten zählte auch Johannes Scherr (Karikatur von Ferdinand Schröder zur Niederlage der Revolutionen in Europa 1849. Zuerst erschienen in den Düsseldorfer Monatheften unter dem Titel Rundgemälde von Europa im August 1849, Wikiwand)

Scherr begrüßte 1871 den deutschen Sieg über Frankreich und die Reichseinigung in einer Ansprache vor einer Festversammlung in der Züricher Tonhalle:

Allerdings gab es eine Minderheit, glücklicher Weise eine verschwindend kleine Minderheit, zusammengesetzt aus schwarzen und rothen Pfaffen, aus den Fanatikern des ultramontanen und des kommunistischen Aberglaubens, welche Minderheit von dieser Einheit sich ausschloß.

Weiterlesen

Die musikalischen Kannibalen

Moulin Rouge in Köln aufgeführt

Als Kind faszinierten mich Kaleidoskope. Drehte ich eines, erzeugte es in seinem Innern immer wieder andere geometrische Muster. Und doch beruhten sie nur auf der ewigen Rekombination immer wieder derselben Plastikelemente. Es konnte sich nichts grundlegend Anderes oder Neues bilden, nur die ewige Wiederkehr des prinzipiell Gleichen.

Ein Kaleidoskop ist nicht kreativ. Es würfelt nur immer dieselben Einzelelemente durcheinander und kehrt das Untere zuoberst. Wie eine Handvoll Würfel in einem Würfelbecher nur eine mathematisch berechenbare Höchstzahl an Wurfkombinationen hervorbringen kann, ist auch ein Kaleidoskop ästhetisch, aber steril.

Das trifft auch den Kern unserer Popkultur. Sie feiert eine späte Blüte in einem Bühnenstück namens Moulin Rouge, das seit November 2022 auch in Deutschland aufgeführt wird: Atemberaubend wie ein Kaleidoskop schwelgt es in üppigen Formen und Farben, verharrt in ewiger Wiederkehr musikalischer Versatzstücke und verendet in rührseligem Bühnenkitsch einer schwindsüchtig dahinsterbenden La-Boheme-Mimi, die hier Satin heißt. Weiterlesen

2023 klaren Kopf bewahren

Sinnloses Schicksal

Wer sich die Wirkung des sinnlosen Zufalls nicht zu erklären weiß, nimmt gern Zuflucht bei einem Glauben: oft an esoterische, metaphysische Wesenheiten. Darunter leiden Menschen besonders, wenn die Erklärungsbedürftigkeit des „Schicksals“ die Kräfte des Verstandes weit übersteigt: Warum wird dieses Jahr der Kohl nicht fett? Warum mußte gerade dieser gute Mensch bei einem Unfall sterben?

Für schlichte Gemüter bietet sich vor der harten Realität eine Zuflucht bei numinosen höheren Mächten an. Von diesen erwartet er klare Anweisungen. Erfüllt er sie, sollte ihn das schützen. Viele Religionen nennen solche göttlichen Anweisungen „Gebote“. Halb aufgeklärten Schlaumeiern war die Vorstellung peinlich, da thronte irgendwo im Nirgendwo ein alter Herr mit Rauschebart, regiere die Welt und überwache seine Gebote. Sie behaupteten als „Naturrechtler“, die moralischen Gebote seien von seiner Geburt an jedem Menschen immanent. Alle Welt habe sich darum gefälligst an sie zu halten. Weiterlesen

DFB-Elf als Menetekel einer zerfallenden Gesellschaft

„Elf Freunde müßt ihr sein!“ So hatte 1957 ein Buchtitel Sammy Drechsels gelautet. Aus Freunden bestand der von Hansi Flick zusammengewürfelte Flickenteppich erkennbar nicht, der bei der WM so jämmerlich scheiterte. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete:

Mehr oder minder unverblümt richtete sich die Kritik des Spielgestalters Ilkay Gündogan auch gegen seinen Kollegen aus der Premier League. Der Profi von Manchester City sagte: «Man hatte das Gefühl, dass nicht jeder den Ball unbedingt haben wollte. Wir haben viel zu oft und viel zu einfach den Ball verloren.» Havertz zeigte sich nach dem Spiel irritiert über die Worte Gündogans, er verwies auf die große Anzahl an Torchancen. Die Episode illustriert allerdings auch: Mit jener Harmonie, die Außenstehenden gegenüber gern behauptet wird, ist es im Team des viermaligen Weltmeisters nicht sonderlich weit her.

Stefan Osterhaus, Mit dem Rücken zur Wand: Vor dem Spiel gegen Spanien deutet viel auf Spannungen im deutschen Nationalteam hin, NZZ 27.11.2022

Von einer Leidenschaft und Bereitschaft jedes Spielers, unbedingt alles für Mannschaft und Sieg zu geben, war nichts zu sehen – wie auch, bei einer so heterogenen Gesellschaft? Weiterlesen

Das Vermächtnis Apollons

Erkenne dich selbst!

Gelegentlich sollten wir kurz innehalten. Lassen wir einmal unsere Gedanken fliegen und betrachten den eigenen Standpunkt und Weg aus der Vogelperspektive.

Erkenne dich selbst – Γνῶθι σεαυτόν – stand auf dem Tempel des Apollon zu Delphi. Ein solches Ich bedient sich vieler Denkwerkzeuge und -modelle, um sich den Durchblick durch das verwirrende Getümmel der Ereignisse und das Angebot an Werkzeugen zu verschaffen, sie zu verstehen. Nicht jedes Denkmodell funktioniert, und nicht jedes Werkzeug paßt. Wir bezeichnen Deutungsmodelle herkömmlich als …ismen wie Sozialismus oder Liberalismus, und jedes möchte die Welt in seiner Weise erklären.

Alle Menschen suchen nach „der Wahrheit“ und „der Wirklichkeit“, aber mit sehr verschiedenen Werkzeugkoffern. Magisches Denken hatte die Welt völlig anders gedeutet als ein Mormone, der den Schlüssel zur Wahrheit im Buch Mormon gefunden zu haben meint. Weiterlesen

Leiden an der Realität

Bauern sind nicht die Dümmsten

Ein Bauer würde niemals den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren. Wer mit den Gummistiefeln im Mist steht, verliert nicht leicht die Bodenhaftung an das Irdische. Nur durch beherztes Zufassen kann er sein Tagewerk vollenden. Was seine Kuh ausscheidet – weiß er – fällt nach unten.

Wer sich hingegen nach mühsam geschafftem Abitur an das weitaus schwierigere Werk einer Geisteswissenschaft macht, ist höchst gefährdet. Muß wirklich alles nach unten fallen? Ist Gravitation nicht höchst ungerecht? Und sollte man sie nicht besser anders konstruieren?

Warum können Frauen nicht fliegen?

Wäre Gravitation gerecht, könnten Frauen fliegen. Es beginnt im Kopf des blassen Studenten zu denken: „Ist nicht die ganze Welt so ungerecht zu mir?“ Aus Kindern werden Leute, aus solchen großen Kindern manchmal auch Politiker. Die neueste bärbäckische Tollheit hörte ich gestern im Radio: Es gebe leider noch keine „Klimagerechtigkeit“! Weiterlesen

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén