Wie unserer Demokratie die Demokraten abhanden kommen
„Ihr seid mir schöne Demokraten!“, soll der letzte König von Sachsen 1918 Parteivertretern zugerufen haben. Es steckt leider nicht in jedem ein Demokrat, der sich so nennt. Wo keine Demokraten mehr handelten, durfte das Volk in den letzten Tagen bestaunen.
Es mangelt unserem Land zunehmend nicht an Demokratie, sondern an Demokraten. Wenn es eine Krise der Demokratie gibt und die letzten Tage schlecht für sie waren, ist das kein demokratietheoretisches Problem. Das demokratische System wird aber aufhören, demokratisch zu funktionieren, wenn sich die Demokraten innerlich von ihm verabschieden. Sie führen die Demokratie noch im Mund und im Namen, während sie eine neue Gesellschaft mit zunehmender Gesinnungsdiktatur errichten.
Das hysterische Aufheulen des polit-medialen Chors, die maßlosen und absurden Nazivergleiche, Schmähungen und Beschimpfungen, der auf Kommando entfesselte linksextreme Straßenterror und die physischen Drohungen auch gegen die eigene Familie: AfD-Politiker kennen solche Hexenjagden, für den FDP-Mann war es eine neue Erfahrung. Dazu der erpresserische Druck aus den eigenen Reihen – offenbar zuviel für den wackeren Mittelständler und Familienvater, der anders als die marodierenden linken Sturmtruppen eine selbstgeschaffene Existenz zu verlieren hat.
Kurt Zach, Risse in der Tollhausmauer, Junge Freiheit 7.2.2020
Ein Wesensmerkmal der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besteht darin, daß sie demokratisch ist. Das Volk wählt in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl seine Vertreter. Diese handeln als politische Parteien mit der jederzeitigen Chance demokratischen Machtgewinnes oder auch des Machtverlustes. Wer zum möglichen eigenen Machtverlust grundsätzlich nicht bereit ist, ist kein Demokrat. Der rechtsstaatlich geordnete, friedliche Machtwechsel gehört zur Demokratie. Wer sich mit der Möglichkeit des eigenen Machtverlustes und der Willensbildung von unten her, also vom Volk hin zu den Staatsorganen, nicht abfinden kann, ist Verfassungsfeind. Verfassungsfeind ist auch, wer die rechtsstaatlichen Regeln des Parlamentarismus bekämpft und eine autokratische Parteiherrschaft errichten möchte.
Angela Merkel verkündet auf Staatsbesuch in Südafrika, man müsse das Ergebnis der Wahl “rückgängig machen”. Ähnlich drückten sich andere Parteiführer aus. Apropos Parteiführer: In der Medienkritik der letzten Tage hieß es immer wieder nachdrücklich, Merkel, Kramp-Karrenbauer, Lindner und so weiter hätten ihre Läden “nicht im Griff”, sie zeigten keine “Führungsstärke” und dergleichen. Sehnt man sich da heimlich nach einem autokratischen Anführer der selbsternannten “Anständigen”?
Die Rechtmäßigkeit der demokratischen Thüringer Landtagswahl von 2019 und der des FDP-Abgeordeten Kemmerich zum Ministerpräsidenten ist unbezweifelt. Die Haßreden dagegen, sein beschmiertes Wohnhaus, die inquisitorischen Journalistenfragen, vor allem aber die Forderungen von vielen Spitzenpolitikern erweisen: Die hier einen demonstrierenden Straßenmob zum Äußersten aufhetzten und ihre Ultimaten stellten, sind keine Demokraten.
Die Arithmetik der Sitzverteilung im Erfurter Landtag ließ keine mehrheitliche Wahl des linken Parteienbündnisses um die umbenannte SED mit ihren kommunistischen Altkadern mehr zu. Ein antikommunistisches Bündnis der bürgerlichen Kräfte hätte eine Mehrheit gehabt, wird aber von CDU und FDP abgelehnt. Also ließ das Kräfteparallelogramm im Landtag keine andere Lösung zu als die Wahl des FDP-Fraktionsvorsitzenden als kleinstem gemeinsamen Nenner.
Aus Perspektive bürgerlicher, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung verteidigender Kräfte waren alle Demokraten gezwungen, die erneute Wahl der früheren SED und ihrer Gesinnungsgenossen zu verhindern, auch wenn die FDP zweifellos keinen Wunschkandidaten der CDU und der AfD aufbieten konnte. Die Thüringer CDU-Fraktion hat das möglicherweise, die Werte-Union hat es ganz klar erkannt.
Die Interventionen des 6. Februar von “ganz oben” bezweckten strategisch das Gegenteil. Merkel rügte, das gehe gar nicht. Andere Parteiobere auch der übrigen Parteien schlossen sich an. Wenn das Eingreifen von Merkel & Co. einen strategischen Sinn ergeben sollte, kann dieser nur darin bestanden haben, den neuen FDP-Ministerpräsidenten zu stürzen und durch den früheren von der umbenannten SED zu ersetzen. Eine andere Alternative stellte sich nämlich nicht. Entweder läßt die CDU Herrn Kemmerich regieren und stützt ihn, oder sie versucht ihn zu stürzen und läßt lieber den linken Ramelow als Wiedergänger von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl regieren.
Unsere Demokratie – und mit ihr die Medienlandschaft – ist unter Merkel so deformiert, daß vielen die massive Ent-Demokratisierung gar nicht mehr auffällt, daß sie die Ungeheuerlichkeit dessen, was in Thüringen geschehen ist, schon gar nicht mehr bemerken: Ganz offen wurde der durch die Abgeordneten geäußerte Wählerwille ignoriert, ja durch Druck aus Berlin, den Parteizentralen und von extremistischen Kräften auf der Straße ins Gegenteil gekehrt.
Boris Reitschuster, Merkels stiller Putsch
Die Affäre sieht wie ein, regional noch begrenzter, Kollaps der parlamentarischen Demokratie aus. Parteien, die Demokraten sein sollten, hatten unter der Führung der Partei des demokratischen Sozialismus eine Regierung gebildet. Deren Neuauflage nimmt die Bundes-CDU jetzt lieber in Kauf als einen FDP-Ministerpräsidenten. Damit haben sich die Spitzen der CDU aus dem Kreis der Verteidiger unserer Demokratie verabschiedet. Die Bürger in Thüringen spüren das. Sie wissen, gegen wen sie 1989 auf die Straße gegangen waren. Sie hatten damals vielfach der CDU ihr Vertrauen geschenkt und glaubten ihre demokratische Freiheit bei ihr gut aufgehoben.
Jetzt hat die CDU die Hintertür für erneute Regierungsjahre der alten SED geöffnet. Wem diese CDU-Spitzen noch einmal irgend etwas von der Verteidigung von Demokratie erzählen werden, wird ihnen das niemand mehr abnehmen. Sie bringen hier nicht etwa einen AfD-Ministerpräsidenten zu Fall, was man aus parteipolitischer Konkurrenz verstehen könnte, sondern einen der FDP, um lieber der alten SED wieder in den Sattel zu helfen.
Auf dem Weg zur Diktatur der Anständigen
Propagandistische Meisterleistungen suchten das zu vernebeln und zu rechtfertigen. Während autokratische Befehle der Bundeskanzlerin auf die Häupter der Thüringer Abgeordneten prasselten, wurde Merkels Verachtung demokratischer und parlamentarischer Entscheidungsfindung als Kampf für die Demokratie ausgegeben. Nach ihrem Taktstock sangen sehr schnell unisono alle, deren Karrieren in Parteien und Medien sich mit dem politischen Establishment verbinden.
Um den offenkundig mangelnden Respekt vor einer rechtsstaatlich und demokratisch zustandegekommenen Wahl zu verbergen, schwang man sich selbst zu Hütern und berufenen Interpreten der Demokratie auf. Man muß die Art und Weise bewundern, in der völlig unschuldige Worte wie Demokratie niedergeschlagen, vergewaltigt, ihrer wahren Bedeutung und ihres Anstandes beraubt wurden, um dann für die CDU auf den Strich geschickt zu werden.
Zugleich mußte man dem politischen Gegner von der AfD die demokratische Gesinnung absprechen, wofür es allerdings bisher keinerlei Beleg gibt. Es ist propagandistisch leicht, eine Partei als dämonisch und ihren Landesvorsitzenden zum Erzdämon mit Flügeln darzustellen, wenn man tagtäglich über die Mikrofone herrscht und ein Zerrbild verbreitet, während niemand zu hören bekommt, was der Erzdämon selbst sagt. Man machte ihn zum “Nazi”, ein weiteres linguistisches Flittchen, das sich jedem in der Not anbietet.
Ein wesentlicher Teil des alten Parteienestablishments hat sich innerlich von der Demokratie verabschiedet. Er führt sie noch im Parteinamen und im Munde, aber nicht mehr im Herzen. Er hat Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Richtlinien des Handelns ersetzt durch moralisierende Wortseifenblasen und moralisierende Parolen: Was sich als Aufstand der Anständigen scheinbar rechtfertigen läßt, muß weder demokratisch noch rechtsstaatlich sein. Es zählt nur noch die moralische Gesinnung oder was man dafür hält, nicht mehr der Respekt vor demokratischen Spielregeln.
Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß der moralisierende Linksextremismus und seine bürgerlichen Steigbügelhalter bis in die CDU auch künftig demokratisch zustandegekommene Entscheidungen nicht mehr respektieren werden. Sie werden im Fall weiterer Wahlerfolge der AfD auch weiter Häuser beschmieren, Familien bedrohen, Autos anzünden und sich um Parteizentralen und Parlamenten gewalttätig zusammenrotten. Sie werden das Recht beugen und die Worte von Verfassung und Gesetzen verdrehen, um an der Macht zu bleiben.
Sie werden moralisierende und politologische Phrasen quetschen, um alle ihre Gegner als Nazis hinzustellen. Dagegen hilft nur das konsequente Beharren auf Recht und Gesetz. Wer Verfassungsfeind ist, bestimmt sich ausschließlich anhand juristisch klar definierter Merkmale und niemals anhand politologischer Luftnummern wie dem Begriff “Rechtsextremist”. Das Wort hat keinen harten Bedeutungskern.
Halten wir uns vielmehr daran, was das Bundesverfassungsgericht unverändert gültig schrieb:
So läßt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen:
Bundesverfassungsgericht
die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung,
die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung,
die Verantwortlichkeit der Regierung,
die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
die Unabhängigkeit der Gerichte,
das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.
In den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder ist dieses Richterrecht auch geschriebenes Gesetz geworden. Wie jedes Gesetz bildet es die Magna Charta der Schwächeren. Das sind in der derzeitigen historischen Lage die bürgerlichen Kräfte. Auf dem Weg in eine als Diktatur der Anständigen getarnte linksextremistische neue Gesellschaft liegen sie quer.
Sie müssen verinnerlichen, daß sie die letzten Verteidiger der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sein könnten und daß sie mit dieser Grundordnung ihre persönliche und politische Existenz zu verteidigen haben.
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