Warum sich niemand um die Artenvielfalt kümmert
Für die Artenvielfalt in Deutschland benötigen wir Landschaftspfleger. Am besten in jedem Dorf einen, der seine Felder, Wiesen und Fluren ebenso kennt wie seine schädlichen Pappenheimer aus der Nachbarschaft. Auf dem flachen Land gibt es keine keinen, der sich für die Artenvielfalt verantwortlich fühlt. Weit weg in der Kreisstadt verwalten ein paar Bürokraten lustlos einen Naturschutz, der die Reste natürlicher Landschaft der mechanisierten Landwirtschaft überläßt.
Heimatpfleger, Jugendpfleger, alles wird durch ehrenamtliche oder hauptamtliche Helfer schon geschützt und gehegt, nicht aber die Landschaft und mit ihr die Artenvielfalt.
Die natürliche Landschaft
Es gibt in Deutschland so gut wie keine natürlichen Landschaften mehr. Was wir als Natur mißverstehen ist das Ergebnis jahrtausendelanger menschlicher Umgestaltung. Diese hat zu einer Landschafts- und Nutzungsvielfalt und damit zu einer größeren als der natürlichen Artenvielfalt geführt.
Seit Beginn der menschlichen Besiedlung wurden die Waldflächen gerodet. Höhepunkt der Rodung war das hohe Mittelalter. Es entstanden weite, offene, in Dreifelderwirtschaft extensiv genutzte Naturräume mit hoher Artenvielfalt und lichte Laubwälder mit Waldweide. Schmetterlingsarten wanderten ein: Eine Anzahl östlich-kontinentaler Arten breitete sich aus. Seit dem 18. Jahrhundert wurde dieses vielfältige Landschaftsbild immer schneller anhaltend umgestaltet.
„In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen die Wandlungen ein drastisches Tempo an. Dem immer rascheren Rückgang der Pflanzenarten […] folgte fast deckungsgleich ein ebensolcher Einbruch bei den Lepidopterenarten [Schmetterlingsarten]. Die ungemein konsequent durchgeführte Intensivierung von Industrie, Besiedlung, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft führte vor allem in den letzten 30 Jahren zu einer nie dagewesenen Reduzierung und Gleichschaltung der Vegetationsverhältnisse.“
Thomas MEINEKE Untersuchungen zur Struktur, Dynamik und Phänologie der Groß-Schmetterlinge (Insecta, Lepidoptera) im südlichen Niedersachsen, Dissertation, Göttingen 1984.
Seit 1984 hat die Lage sich verschlechtert. Die biologischen und ökologischen Zusammenhänge sind fachlich erforscht und bekannt. Es passiert nur nichts.
In vielen biologisch monotonen Agrarlandschaften könnte ein Schmetterling schlichtweg verhungern, denn dem Standort entsprechend mögliche Blumenwiesen gibt es nicht. Das Auge sieht fast nur Grüntöne. Immer effizientere, größere Maschinen und das systematische Vergiften aller Wildpflanzen und Kräuter haben die Möglichkeiten für einen Schmetterling, an einer Blüte zu trinken, bis auf wenige, schmale Wegränder verringert. 95% der Wiesen sind fast reine Grassteppen, die jährlich mehrfach mit Gülle vollgekippt und zweimal jährlich gemäht werden. Hier können nur noch wenige andere Pflanzen und kaum Schmetterlinge gedeihen.
Und an den wenigen übrigen Wegrändern, zusammengequetscht zwischen Korn- und Maisfeldern, geschieht das Unbegreifliche:
Da werden die letzten Quadratmeter Wiesenstreifen an Bach oder Weg mitten im Mai gemäht, um „sauber zu machen“. Man schneidet aus Unwissenheit den Blumen den Kopf und den Raupen die Futterpflanzen unter dem Hintern weg. Der Schnitt bleibt liegen. Mit ihren Kühen würden die Bauern nicht so umgehen. Ausreichend und biologisch sinnvoll wäre, einmal jährlich im Spätherbst zu mähen.
Hier gibt es keinen anderen Artenschutz als den Schutz der Lebensräume von Tieren und Pflanzen vor dem Menschen. Es müßten
„miteinander in Verbindung stehende Netze geschützter Flächen ausreichender Größe eingerichtet werden. In erster Linie kommen dafür Halbtrockenrasen, Feuchtwiesen im weitesten Sinne und naturnahe, lichte und strukturreiche Laubwälder, vorrangig Eichenmischwälder in Frage.“ Es müßten „nicht nur die Reste vorhandener Habitate mit hoher lepidepterologischer Wertigkeit bzw. Artendichte dringend geschützt werden, sondern es müßten zudem die in der Vergangenheit zerstörten Lebensräume zumindest teilweise entsprechend ihrer Bedeutung wiederhergestellt werden, wollte man ernsthaft eine Rehabilitation ursprünglicher Artenvielfalt und Artenstabilität, etwa wie zu Anfang des Jahrhunderts, bewirken.“
Meineke am angegebenen Ort
Es müßte? Wer denn? Unsere staatlichen Bürokraten tun nichts.
Hier hatte es noch eine Woche zuvor gegrünt und geblüht, säumten Futterpflanzenkolonien für Raupen von Tagpfauenaugen und unzähligen anderen Arten den Weg und boten dem Auge ein farbenfrohes Bild.
Am Rand eines Maisfeldes, der sowieso nur für die Biogasanlage angebaut wird, gibt es keinen landwirtschaftlichen Grund oder Anlaß, die Wegraine in der Hauptblühzeit zu zerstören. Damit sich hier keine ungewollten Büsche oder Bäume ansiedeln, würde das Mähen einmal jährlich im Herbst ausreichen.
Ohne Raupen und die vielen anderen Insekten gibt es hier aber auch die Singvogelarten nicht, die sich von ihnen ernähren, und ohne diese wieder keinen Kuckuck mehr, der hier in früheren Jahren im Sommer zu hören war.
Niemand fühlt sich verantwortlich
Die soziale Lage auf unserem „flachen Land“ führt ins demographische Elend: Die Kinder finden hier meistens keine Existenzgrundlage. Sie sind oft hoch gebildet oder doch gut ausgebildet. So wandern sie ab in Städte. Dort träumen manche einen Traum unberührter heimatlicher Natur und demonstrieren gegen Klimawandel und Abholzungen in Brasilien oder Indonesien – ein aller Ehren wertes Hobby.
Unterdessen stirbt in ihrer Heimat die Natur. Die Generation ihrer dörflichen Eltern und Großeltern wandert ins Pflegeheim, Omas Gemüsegarten wird aufgegeben. Die alten kleinbäuerlichen Parzellen, auf denen die Vorfahren Nebenerwerbs-Landwirtschaft betrieben hatten, werden einem Großagrarier verpachtet und schließlich zusammengelegt.
Neue, größere und schwerere Maschinen werden eingesetzt. Auf die letzten extensiv genutzten Weiden werden keine Tiere mehr getrieben. Sie werden bis zum Stehkragen mit Gülle vollgekübelt, bis auf ihnen nur noch Gras für Silage wächst.
Gebüsche an den Wegrändern verschwinden mit dem Zusammenlegen von Parzellen. Sie stören den Großbauern auch, wenn er mit breiten Maschinen und gigantischen Reifen über die schmalen, alten Feldwege fährt.
Es ist alles kein Wunder. Der Artenschwund hat viele Ursachen. Sie sind alle täglich in den Feldmarken unserer Dörfer zu besichtigen.
Wir benötigen dagegen konsequente Gesetzgebung und ihre Überwachung. Die jetzigen gesetzlichen Regelungen begünstigen Großbetriebe. Sie haben eine extrem intensive industrielle Agrarproduktion im Gefolge. Diese will ich nicht verbieten. Sie darf aber nicht mehr speziell gefördert werden.
Wünschenswert wäre es, wenn Gemeinden Grundstücke ankaufen und ganz aus der Nutzung oder zu extensiver Nutzung wie Schafweide weiterverpachten würden. So ließe sich gezielt ein Biotopverbund errichten, auf den viele Arten angewiesen sind.
Gefördert werden müssen Klein- und Nebenerwerbslandwirte. Die Beseitigung von Wegen und Ackerrainen beim Zusammenlegen von Parzellen muß aufhören und verboten werden. Ackerränder sind wichtige Lebensräume für Insekten und damit Nahrungsgrundlage für Vögel. Sie dürfen nicht vor dem späten Herbst maschinell gemäht werden.
In jedem Dorf muß ein gemeindlich zu bestellender Landschaftswart darauf achten, daß das geltende recht eingehalten wird. In unseren Dörfern gab es in früheren Jahrhunderten Feldhüter. Sie hatten eine ähnliche Funktion, aber mit anderer Zielrichtung. Die Landbevölkerung war oft bettelarm und neigte dazu, Holz zu machen oder Gras zu schneiden und Frucht zu ernten, wo das einem anderen gehörte. Die Feldhüter waren nicht beliebt, aber respektiert.
Heute würden Landschaftswarte eine biologische Grundkompetenz benötigen, die sie auf Wochenendlehrgängen erwerben könnte, und sie müßten die Bestimmungen kennen.
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Das gilt auch für große Bauern und Güllespritzer mit ihrer industriellen Landwirtschaft. Es erinnert sie im Alltag leider niemand daran.
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